Österliche Bußzeit 2025: Ideen zur inhaltlichen Ausgestaltung – „Der Herr ist der Herr, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue“ (Ex 34,6)

Die „Österliche Bußzeit“ gehört als Vorbereitung auf Ostern ebenso wie die Zeit des Advent als Vorbereitung auf Weihnachten und Ausrichtung des neuen Kirchenjahres auf das Kommen Jesu am Ende der Zeit zu den „geprägten Zeiten“ des (katholischen) Kirchenjahrs. In diesen Zeiten geht es um den Kern des christlichen Glaubens und seine Verwurzelung in der jüdischen Tradition.

Die österliche Bußzeit ist eine Zeit  der Umkehr. Dabei standen oder stehen die persönlichen Sünden um Mittelpunkt der Gewissenserforschung. Nun haben Umkehr und Sünde in unseren Zeiten einen schalen klang. Sie sind mit ‚Negativem‘ verbunden. Der Zeitgeist hat es jedoch lieber positiv. Dennoch können die sog. Vielfachkrisen ebenso wenig wie die damit verbundenen Ängste und Verhärtung der Herzen, die nach Durchgreifen gegenüber Fliehenden und Nicht-Arbeitenden schreien, darüber hinwegtäuschen, dass all das nicht positiv weg-‚gedacht’ und/oder meditiert werden kann. Angesichts solcher Problemlagen wäre die österliche Bußzeit als kritische Reflexion der Krisensituation und der Verstrickung der Einzelnen mit ihren Gefühlen, mit ihrer Wahrnehmung, ihrem Denken und Verhalten in diese Krisensituationen ausgesprochen aktuell wie unverzichtbar. Wenn Sünde die Absonderung von Gottes Wegen der Gerechtigkeit und des Friedens als Wege der Befreiung meint, ist es dringend an der Zeit nachzudenken: über strukturelle Sünde als Verfestigung von Strukturen des Unrechts und der Gewalt wie über individuelle Sünde als kritische Frage danach wie Menschen diese Strukturen in ihrem Denken und Verhalten reproduzieren und bejahen.

  1. Grundorientierung

Grundorientierung für eine gesellschaftskritische wie persönliche Reflexion könnte ein Impuls aus dem Buch Exodus sein. Mose war auf den Berg gestiegen, um die Tafeln des Bundes neu in Empfang zu nehmen. Gott ging „vor seinem Angesicht vorüber und rief: Der Herr ist der Herr, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue.“ (Ex 34,6)

1.1 Zum Erzählzusammenhang

Im Erzählfaden des Buches Exodus steht der Vers im Zusammenhang der Geschichte vom Goldenen Kalb (Ex 32-34). Das Volk hatte sich von Aaron ein „gegossenes Kalb“ anfertigen lassen (Ex 32,1-4) und vor ihm bekannt: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten herausgeführt haben“ (Ex 32,4). In dieser Erzählung hat die Erfahrung ihren Niederschlag gefunden, dass das Volk Israel sich von seinem Gott der Befreiung getrennt und sein Vertrauen auf Götzen gesetzt hatte. Dies fand seinen Ausdruck in wachsenden Spaltungen zwischen Armen und Reichen und vor allem in der Herrschaft von Königen, mit denen sie einher gingen. Damit war der Bund gebrochen. Darin hatte Gott seinem Volk versprochen, ihm als Retter und Befreier auf seinen Wegen der Befreiung und eines Lebens in Freiheit nahe zu sein. Das Volk hatte sich verpflichtet, dem Bund entsprechend zu leben, darin den Wegen der Befreiung und seinem Gott die Treue zu halten.

Das Goldene Kalb symbolisiert den Bruch des Bundes, den Bruch der Treue des Volkes gegenüber seinem Gott. Die Konsequenz ist eine Selbstzerstörung als Volk Gottes, als deren Ergebnis das babylonische Exil angesehen wurde. Obwohl das Volk den Bund gebrochen hat, bleibt Gott dem treu, was er mit seinem Namen versprochen hatte: für sein Volk da zu sein und Befreiung geschehen zu lassen (Ex 3,14ff). Dies kommt in der Selbstprädikation Gottes als „barmherziger und gnädiger Gott“ zum Ausdruck. Sie erinnert daran, dass Gott den Schrei der in Ägypten Versklavten gehört, Mose als Befreier gesandt und sich darin als „barmherziger und gnädiger Gott“ erwiesen hat. Dabei konnotiert gnädig bereits, dass dies ungeschuldet, also als freie Tat Gottes geschehen ist und auch weiter geschehen wird – wie es der mit dem Gottesnamen gegebenen Verheißung entspricht. Noch deutlicher wird dies in der Prädikation von Huld und Treue. Huld – in anderen Zusammenhängen auch mit Gnade übersetzt – unterstreicht die ungeschuldete Zuwendung Gottes zu seinem Volk als barmherziger Gott. Treue ist die Wiedergabe des hebräischen ämet. Hier wird es mit Treue übersetzt, hat aber auch die Bedeutung von Wahrheit. Gemeint ist – ganz im hebräischen Sinn – eine Wahrheit, die geschieht. Und so ist die hier gemeinte Wahrheit jene Wahrheit, dass Gott seinem Namen treu bleibt, trotz des Bundesbruches geschehen lassen will, was er mit seinem Namen versprochen hat. Darin erweist sich seine Langmut, wörtlich: seine Langsamkeit im Zürnen.

Entsprechend heißt es weiter: „Er bewahrt tausend Generationen Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, aber spricht nicht einfach frei, er sucht die Schuld der Väter bei den Söhnen und Enkeln heim, bis zur dritten und vierten Generation“ (Ex 34,7). Gottes Barmherzigkeit ist in unserem Zusammenhang eine Reaktion darauf, dass Israel in die Irre gegangen war. Dabei bleibt der Text realistisch. Er geht davon aus, dass mit Gottes Barmherzigkeit, die immer wieder Wege der Befreiung neu gehen lässt, die Schuld aber nicht einfach ‚weg‘ ist, sondern bis in die nächsten Generationen nachwirkt. Das entspricht der Erfahrung: Die Entscheidung, in Israel die Herrschaft von Königen einzuführen, hatte Auswirkungen in sozialer Spaltung und Unterdrückung bis hin zum babylonischen Exil. Hier kommt die Vorstellung von Tun und Ergehen zum Tragen. Handeln zieht Folgen nach sich. Nach damaligen Vorstellungen werden sie von Gott aufgrund des ‚natürlichen‘ Zusammenhangs von Tun und Ergehen in Kraft gesetzt. In anderen Traditionen der Bibel (z.B. Hiob) werden die Grenzen dieses Denkens in der Erfahrung des Leidens von Unschuldigen deutlich. Hier artikuliert sich die Theodizee-Frage als Rückfrage nach Gott angesichts des Leidens Unschuldiger. Unser Text erzählt nach dem Bekenntnis zu Gottes langmütiger Huld und Treue davon, dass der Bund neu geschlossen wird und so das sündige Volk aufgerichtet und neu auf den Bund ausgerichtet wird. So wird ein neuer Anfang möglich.

1.2 Berührungspunkte mit weiteren biblischen Traditionen

Entscheidend ist die bereits erwähnte Beziehung zur Offenbarung des Gottesnamens. Hier offenbart sich Israels Gott als ein Gott der Barmherzigkeit. Er hat ein offenes Herz für die Armen (miseri-cordia), die aus dem Elend der Versklavung nach Rettung und Befreiung schreien. Ihnen gilt das Versprechen, das Inhalt seines Namens ist: Mitzugehen auf den Wegen der Befreiung. Darin gründet der Bundesgedanke als Gottes Zuwendung zu seinem Volk, die aus freien Stücken, also ohne Vorleistungen bzw. Verdienste erfolgt, und seinem Versprechen, sich selbst und darin seinem Volk treu zu bleiben. Das gilt auch angesichts von Versagen, des Scheiterns des Bundes von Seiten des Volkes.

Nicht zufällig bildet die Selbstprädikation Gottes aus Ex 34,6 eine Art Glaubensbekenntnis bzw. einen roter Faden durch die Traditionen beider Testamente. „Es war allein Jahwes Treue zu seinen Verheißungen an die Väter (Ex 32,13; 331; vgl. Nu 14,16.23), seiner den Zorn überwiegenden Langmut (Ex 34,6-7; Nu 14,18) und seiner Gnade, die er Mose gewährte (Ex 33,17; 34,9), zuzuschreiben, dass seine Geschichte mit seinem Volk überhaupt weiterging.“[1] Im Exil wurde das Vertrauen auf Gottes Treue und Wahrheit zur Kraft, die einen Neuanfang möglich werden ließ.   Solche Erfahrungen wurden in die fünf Bücher Mose als ‚Gründungsgeschichte‘ Israels eingetragen.

Im Bundesbuch (Ex 21-24) wird der Bund im Blick auf Arme und Fliehende zu rechtlicher Geltung gebracht. Verwiesen wird auf die Erfahrung der Versklavung in Ägypten und der in der Befreiung erfahrenen Zuwendung Gottes. Die Bestimmung für die Fremden finden genau zu der Zeit Eingang in das Bundesbuch, als Fliehende infolge der Vertreibungen durch das Heer Assyriens als ‚Fremde‘ in Israel Zuflucht suchten. „Jahwe, der streitbare Gott, der Israel aus der Unterdrückung befreite, steht an der Seite der Unterdrückten und verteidigt gegen die Unterdrücker ihre elementaren Lebensrechte.“[2]

In Psalmen taucht Ex 34,6f als liturgische Bekenntnisformeln auf. Als Beispiel sei der Psalm 103 genannt. In Vers 8f heißt es: „Der HERR ist barmherzig und gnädig, langmütig und gnädig, reich an Huld. Er wird nicht immer rechten, und nicht ewig trägt er nach…“ Der Psalm ist Ausdruck einer persönlichen Frömmigkeit, die in den Traditionen Israels verwurzelt ist. Was dem ganzen Volk versprochen ist, gilt zugleich den Einzelnen: Der Herr rettet „dein Leben vor dem Untergang“, krönt „dich mit Huld und Erbarmen“ (V. 4), „Recht verschafft er allen Bedrängten“ (V. 6). Entsprechend der Traditionen Jesajas erweist er sich als „der Hohe und Erhabene“, der von sich sagt: „Als Heiliger wohne ich in der Höhe, aber ich bin auch bei den Zerschlagenen und im Geist Niedrigen, um den Geist der Niedrigen wieder aufleben zu lassen und das Herz der Zerschlagenen neu zu beleben. Denn nicht auf ewig will ich streiten und nicht für immer zürnen“ (Jes 57,15-16). Die Erkenntnis der ‚Sünden‘ des Volkes und Gottes Erbarmen prägt auch die persönliche Gottesbeziehung und die Hoffnung auf Gottes Vergebung angesichts persönlichen Scheiterns.

In Traditionen des Zweiten Testaments spielt sich Gottes Erbarmen u.a. in den Geschichten von der Brotvermehrung wider. Als Jesus „die vielen Menschen“ sah „hatte er Mitleid mit ihnen… Und er lehrte sie lange“ (Mk 6,34). Mit der Brotvermehrung lehrte er, dass geschehen soll, was in der Tora überliefert ist: Alle sollen in Israel satt und zu einem Volk werden (Mk 6,35-43). Und das gilt auch für die Völker (Mk 8,1-9).

Dass Israel, das nach der Zerstörung des Tempels und der Vertreibung durch die Römer zerschlagen am Boden liegt, aufgerichtet werden soll, zieht sich als roter Faden durch das Evangelium des Markus. Immer wieder erzählt Markus, dass Jesus die Not der Menschen sieht, sich erbarmt, sie aufrichtet, indem er zu ihnen sagt: Steh auf! Das gilt nicht zuletzt angesichts des Todes: zuerst im Blick auf Jesus, in dem Gottes Treue zu seinem Volk lebendig war. Er wird aus dem Tod aufgerichtet. In ihm können sich diejenigen aufrichten lassen, die verzweifelt am Boden liegen. Gottes Treue, die er an Jesus sichtbar gemacht hat, gilt ganz Israel und allen Menschengeschwistern, den Lebenden und den Verstorbenen. Die Lebenden werden zur messianischen Gemeinde zusammengeführt und zum Dienst an denen berufen, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit erfahren sollen. Den Toten gilt die Hoffnung, dass auch sie aus dem Tod aufgerichtet werden für das Leben in einem neuen Himmel und einer neuen Erde.

  1. Gnade und Umkehr im Evangelium des Lukas[3]

Bei einem ersten Auftreten in Nazaret deutet Jesus seine Sendung mit einem Zitat aus Jes 61f. Er ist gesalbt und gesandt, den Armen das Evangelium zu verkünden… (Lk 4,17ff). In all dem geht es darum „ein Gnadenjahr des Herrn“ auszurufen (7,19). Gemeint ist das Jobeljahr (Lev 25), das mit einem neuen Anfang für Israel durch Schuldenerlass und Neuverteilung des Landes verbunden ist. Darauf hin soll Israel, das den Wegen Gottes nicht gefolgt ist, umkehren – und zwar alle in Israel. „Umkehr zur Vergebung der Sünden“ (Lk 3,3) hatte schon Johannes gepredigt. Jesus deutet sein Mahl mit Zöllnern und Sündern (5,27ff) durch den Hinweis, er sei „nicht gekommen um Gerechte, sondern Sünder zur Umkehr zu rufen“ (5,32). In der Akzentuierung dieser Szene auf die Umkehr unterscheidet sich Lukas von Mt 9,9ff wie auch von Mk 2,13ff. Die Szene Lk 13,1ff sowie die Gleichnisse von der Suche nach Verlorenen (Lk 15) unterstreichen, dass alle umkehren müssen. Zachäus (Lk 19,1ff) ist das Beispiel eines Menschen, der umgekehrt ist und Heil erfahren hat. Dennoch herrschen in Israel die Zustände, die im Minengleichnis (19,11ff) geschildert werden. Im Rahmen dieser Verhältnisse ist Israel zu Fall gekommen, weil es nicht „erkannt“ hat, „was Frieden bringt“ (19,42). Der Tempel ist zur „Räuberhöhle“ geworden statt „ein Haus des Gebetes“ (19,46) zu sein. Israel ist zerrieben worden zwischen der Tempelaristokratie, die mit Rom liiert war, und zelotischen Gruppen, die meinten oder vorgaben, ein neues Reich Israel als Herrschaft errichten zu können, und dies als messianische Sendung verstanden. Sie agierten nach Art einer Bande, die Angst und Schrecken verbreitete. Dagegen betont Lukas den Messias als leidenden Gottesknecht, an der Seite derer, die unter Herrschaft und Terror zu leiden haben (vgl. die Leidensankündigungen sowie den Streit um ‚Dienen und Herrschen‘ beim Mahl, 22,24ff, bes. 25f).

Die Gnade der Umkehr kommt vor allem in der Auferweckung des unter der Herrschaft Roms gekreuzigten Messias zum Zug. Mit der Auferweckung des „Menschensohns“, der um seiner Sendung willen leiden „musste“ (24,7), wird Israel neu gesammelt und aufgerichtet. Die von Jerusalem und der Katastrophe der Zerstörung aller Hoffnungen fliehenden Jünger werden neu gesammelt (24,13ff). Der Friede, der mit der Geburt des Messias für die Erde verkündet worden war (2,14), der angesichts der Katastrophe der Zerstörung Jerusalems die Erde verlassen hatte und nur noch für den Himmel galt (19,33), kehrt auf die Erde zurück: „Friede sei mit euch!“ So spricht der Auferweckte seine Jünger an (24,26). Im Namen des Gekreuzigten, den Gott auferweckt hat, „wird man allen Völkern Umkehr verkünden, damit ihre Sünden vergeben werden – angefangen in Jerusalem…“ (24,47). „Angefangen“ meint mehr als einen zeitlichen Anfang. Es geht um einen inhaltlichen Anfang, der geprägt ist von der Botschaft von der Auferweckung des gekreuzigten Messias. Er ist mit inhaltlich mit Israel und mit Israels Gott verbunden, der sich und seinem Wort in der Auferweckung des gekreuzigten Messias Geltung verschafft hat – gegen die Macht Roms und darin gegen alle Herrschaften und Herrschaftsverhältnisse. Diese Botschaft ist inhaltlich mit Israel (Jerusalem) verbunden und geht geschichtlich von ihm aus. Entsprechend betont Lukas in der Apostelgeschichte: „Geht nicht Weg von Jerusalem…“ bzw. wie sich auch übersetzen lässt: „Lasst euch nicht von Jerusalem trennen“ (2,4). Der Weg zu den Völkern wie ihn Lukas in der Apostelgeschichte schildert geht von Jerusalem aus und bleibt mit Jerusalem, d.h. mit Israels Gott verbunden. In die Befreiung, die Israel erfahren hat, sollen die Völker einbezogen werden. Was Israel in der Auferweckung seines Messias erfahren hat und woran alle Volker teilhaben sollen, sind  „Huld und Treue“, die Gott als barmherziger, gnädiger und langmütiger Gott Israel erweist. Insofern wird hier kein ‚neuer Bund‘ geschlossen, sondern der ‚alte Bund‘ bekräftigt, neu in Kraft gesetzt und den Völkern der Zugang zu ihm eröffnet.

  1. Ideen zu den einzelnen Sonntagen

Erster Fastensonntag

Im Zentrum steht die Versuchung Jesu (Lk 4,1-13). Sie beinhaltet die Absage an die Versuchungen von Macht und Herrschaft und ihren Inszenierungen. Darin wird inhaltlich an das Goldene Kalb angeknüpft. Vor ihm sollte Israel in die Knie gehen und denen folgen, die sagen: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten herausgeführt haben“ (Ex 32,4). Die Erste Lesung (Dtn 26,4-10) nimmt Bezug auf ein bei der Darbringung der ersten Früchte gesprochenes Glaubensbekenntnis, das sich auf die Befreiung aus Ägypten als Wurzel des Glaubens an Israels Gott bezieht. Mit der Formulierung „Das Wort ist dir nahe“ (V. 8) greift Paulus (nach der Zweiten Lesung Röm 10,8-13) die Mose am Ende des Deuteronomium in den Mund gelegte Rede auf. Darin heißt es „Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten“ (30,14). Es ist das Wort, das zwischen Gott und Götzen und darin zwischen Segen und Fluch, Leben und Tod zu unterscheiden lehrt (30,15ff). Die Nähe dieses Wortes geschieht in Jesu Leben, seinem Tod und seiner Auferweckung. Daher kann der Mund angesichts der Repräsentanten römischer Herrschaft bekennen „Jesus ist der Herr“ (Röm 10,9, vgl. auf 1 Kor 12,1ff) und auf das Herz (als Ort der Erkenntnis) darauf vertrauen: „Gott hat ihn von den Toten auferweckt“ (Röm 10,9) und darin „Gerechtigkeit und Heil erlangen“ (Röm 10,10).

Zweiter Fastensonntag

In der Geschichte von der Verklärung (Lk 9,28b-36) wird die Verwurzelung des Glaubens an den Messias im Glauben Israels deutlich. Mose und Elija sprechen mit ihm über sein „Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte“ (9,31). Die Wolke begleitet sie als Symbol der Gegenwart Gottes, der bereits Israel ‚in einer Wolke‘ auf seinem Weg durch die Wüste geleitete. Darin wurde Israel zum ‚Sohn Gottes‘ erwählt. Jetzt proklamiert die Stimme aus der Wolke Jesus als Gottes auserwählten Sohn (V. 35). Das löst Israels Gottessohnschaft nicht ab, sondern will deutlich machen, dass Israels Wege der Befreiung und seine Verheißungen in Jesus als dem Messias aus Israel gegenwärtig sind und ‚geschehen‘. Die Geschichte von Jesu Verklärung erzählt Lukas kurz bevor sich der Weg Jesu nach Jerusalem wendet und er Jesu messianischem Weg als Weg von Israels leidenden Knechten Gottes verdeutlicht.

Die Erste Lesung (Gen 15,5-12.17-18) erinnert an den Bund Gottes mit Abraham (Gen 15). In ihn sind bereits die Völker als Nachkommen Abrahams einbezogen. Darauf greift Paulus zurück, wenn es ihm um die Sendung zu den Völkern geht. Im Glauben Abrahams, den Gott ihm „als Gerechtigkeit“ anrechnete, ist die Rede des Paulus von der „Rechtfertigung aus Glauben“ verwurzelt, zu der die Völker Zugang haben. Die Zweite Lesung (Phil 3,17-4,1) greift die Erfahrung des Paulus auf, dass seine Botschaft von dem gekreuzigten Messias auf Unverständnis und Ablehnung stößt. Sie haben „Irdisches“, ‚Brot und Spiele‘, die Anpassung an die Verhältnisse, die ihre „Heimat“ sind, im Sinn. Dagegen setzt Paulus: „Unsere Heimat ist im Himmel“ (Phil 3,20). Da geschieht Gottes Wille, da ist auch der Friede Wirklichkeit, den das Imperium verweigert. Da wird statt dem Kaiser Gott „die Ehre“ gegeben (vgl. Lk 19,38). Die Übersetzung des griechischen Wortes ‚politeuma‘ mit ‚Heimat‘ verdunkelt den gesellschaftskritischen Akzent, den Paulus hier setzt. ‚Politeuma‘ meint ein ‚Gemeinwesen‘[4]. Luther hat den Begriff mit ‚Bürgerrecht‘ übersetzt. Also „Unser Bürgerrecht ist vom Himmel“

Dritter Fastensonntag

Im Text des Evangeliums (Lk 13,1-9) deutet Lukas die Gewalttat des Herodes und den Einsturz des Turmes am Schiloach-Teich als Ereignisse, die auf den drohenden Krieg Roms gegen die Juden hinweisen[5]. Angesichts dieser Situation müssen alle umkehren. Gott gewährt noch eine ‚Gnadenfrist‘ wie das Gleichnis vom Weingärtner zeigt. Sein Langmut ist seine Langsamkeit im Zürnen. Dass die Frist nicht genutzt wurde, wird im Evangelium in der Zerstörung Jerusalems deutlich. Jerusalem hat nicht erkannt, „was Frieden bringt“ (19,41). Dennoch ist auch das nicht Gottes letztes Wort. Er will in seinem Messias ganz Israel aufrichten.

Die Erste Lesung (Ex 3,1-8a.13-15) erinnert an die Berufung des Mose und die Offenbarung des Gottesnamens. Dieser Name verspricht, dass Befreiung und Rettung geschieht und geschehen wird. In der Zweiten Lesung (1 Kor 10,1-6.10-12) erinnert Paulus an die Wüstengeneration. Sie machten einen Aufstand gegen Wege der Befreiung (sie ‚murrten‘) und wollten zurück nach Ägypten. Darin spiegelt sich Israels Geschichte, in der es immer wieder die Versuchung gab, Verhältnisse wie in Ägypten zu schaffen, also Gott mit Götzen zu vertauschen.

Vom Vierten Fastensonntag bis Palmsonntag – so ein möglicher Vorschlag – könnte bei den Evangelien eine lectio continua folgen, eine fortlaufende Lesung von Lk 19,1–47.

Vierter Fastensonntag

Das Evangelium (Lk 19,1-10) erzählt von der Umkehr des Zachäus. Darin ist „heute … diesem Haus Heil geschenkt worden“. Auch Zachäus ist „ein Sohn Abrahams“. Ihm gilt die Sendung des Menschensohns „zu suchen und zu retten, was verloren ist“.

Als Erste Lesung könnte Dtn 6,4-9 als weiterführende Antwort auf die Erste Lesung vom 3. Fastensonntag (Ex 3,1-8a.13-15) in Frage kommen. Im Text der vorgesehenen Zweiten Lesung (2 Kor 5,17-21) thematisiert Paulus den Dienst der Versöhnung. Er ist verwurzelt in der Barmherzigkeit Gottes (vgl. Ex 34,6).

Fünfter Fastensonntag

Als Evangelium wäre Lk 19,11-27 eine direkte Weiterführung der Geschichte von der Umkehr des Zachäus. Nach der Umkehr des Zachäus und weil Jesus „schon nahe bei Jerusalem war, meinten die Menschen, die von all dem hörten, das Reich Gottes werde sofort erscheinen“ (V. 11). Zachäus ist zwar umgekehrt, aber noch nicht alle, vor allem: die römischen Herrschaftsverhältnisse sind geblieben, die Mächtigen sind nicht vom Thron gestürzt und Erniedrigten bleiben ‚unten‘. Das wagt der letzte „Diener“ auszusprechen (V. 21). Die Logik der Herrschaft ist in V. 26f formuliert. Als Erste Lesung käme ein Text aus Jes 58 (z.B. 58,6ff) in Frage, der eine Perspektive der Umkehr und Alternative zur Herrschaft Roms erschließt. Die Zweite Lesung könnte wie vorgesehen Phil 3,8-14 bleiben. Paulus verweist auf die prägende (die ‚Form‘ des Lebens bestimmende) Macht der Auferstehung des Messias. In dieser Macht kann Israel aufgerichtet werden, kann es einen Bruch mit der Herrschaft von Gewaltverhältnissen geben. In der „Macht der Auferstehung“ wird „man“  nach der Auferweckung des Messias „Umkehr verkünden, damit ihre Sünden vergeben werden“ (Lk 24,46).

Palmsonntag

Das für Palmsonntag vorgesehene Evangelium (Lk 19,28-40) könnte erweitert werden auf 19,28-47 (mit der Formulierung: „Nach dieser Rede zog Jesus voran und ging…“ statt  der unbestimmten Einleitung der Perikope mit „in jener Zeit“). Für unseren Zusammenhang wären von Bedeutung: Die Jünger rufen aus, was sie in den ‚Machttaten‘ Jesu erkannt haben: „Er kommt als  König“ und das „im Namen des Herrn“. Er steht für den Frieden, der „im Himmel“, d.h. in der Welt Gottes gilt. Auf der Erde gilt die pax romana. Ihr setzen zelotische Gruppen einen (Pseudo-)Frieden entgegen, der nur eine neue Herrschaft konstituieren, aber nicht Gewaltherrschaft überwinden will. Der Friede, der im Himmel gilt, ist weder die pax romana noch diejenigen, die nur um eine andere Herrschaft kämpfen, damit verbinden. Das hat Jerusalem nicht erkannt, sondern hat sich zerreiben lassen. Die Oberschicht (Tempelaristokratie) steht an der Seite Roms, gegen das zelotische  Gruppen kämpfen. So scheitert die geforderte Umkehr. Folge davon ist die Zerstörung Jerusalems mit einem Tempel, der zur „Räuberhöhle“ (V. 49) gemacht wurde. Der Messias setze sich dafür ein, dass der Tempel ein „Haus des Gebetes sein“ soll. Er soll ein Symbol dafür sein, dass Gott inmitten seines befreiten Volkes ‚wohnt‘, das seinen Wegen der Befreiung hin zur Überwindung von Verhältnissen treu bleiben bzw. sich ihnen wieder zuwenden soll, sodass Menschen nicht arm und unterdrückt sind. In der Lesung Phil 2,6-11 kommt der Weg des Messias an der Seite der Erniedrigten zum Ausdruck. Dieser Weg „stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“, erfüllt die Armen „mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lk 1,52f). Auf diesem Weg sind ‚Umkehr‘ und ‚Umsturz‘, also die grundlegende Veränderung der Verhältnisse miteinander verbunden. Hier geschieht, was der Inhalt von Gottes Namen ist.

Gründonnerstag

Als Evangelium bietet sich Lk 22,14-23 an. Lukas hat den Streit, wer der Größte in einer neuen Welt der Herrschaft ist, in das Mahl eingetragen. Der Menschensohn geht einen anderen Weg. Wer ihm folgt, muss umkehren, d.h. mit der Logik der Herrschaft brechen. Genau dafür steht das Mahl.

Ostern

Akzente könnten auf Gottes Barmherzigkeit, seine Treue zu seinen Wegen der Befreiung und den damit verbundenen Verheißungen liegen. Seine Treue erweist er dem gekreuzigten Messias, der ‚stellvertretend für alle‘ seinem Gott die Treue gehalten hat. In seiner Auferweckung bietet er denen, die nicht umgekehrt sind, neu seine Treue an. Sie erfahren Gottes Barmherzigkeit, die auch denen gilt, die ‚in die Irre‘ gegangen sind. Von diesem Messias soll Israel sich aufrichten, sammeln und versammeln lassen, um neu Wege der Befreiung gehen zu können. In der „Macht der Auferstehung“ werden Horizonte der Umkehr und der Vergebung erschlossen. Lukas buchstabiert den Glauben an die Auferweckung des Gekreuzigten in jene Situation, in der Israel – in der Sicht des Lukas – als Folge seiner Irrwege am Boden liegt.

Eine spannende Herausforderung könnte es sein, Inhalte der biblischen (Kon-)Texte mit heutigen Herausforderungen zu verbinden, in denen sich die Frage nach Umkehr stellt:

  1. Fastensonntag: Sehnsucht nach der Normalität der kapitalistischen Fetischverhältnisse und ihre Sicherung mit ‚Durchgreifen‘ an den Brennpunkten Migration, ignorierte Umwelt, Verarmung in den reichen Ländern und noch mehr in den armen… (Zur Veranschaulichung bzw. für Material zur inhaltlichen Gestaltung sind jeweils Links zu Texten eingefügt: Rechtsextremismus in Deutschland: Das Problem ist nicht einfach die AfD)

– 2. Fastensonntag: Antijudaismus im Christentum (Antisemitismus und gesellschaftlicher Wahn)

– 3. Fastensonntag: Eskalation von Katastrophen aber keine Umkehr, sondern Weiter so! (2 Texte zu  Walter Benjamin und seiner Fortschrittskritik)

– 4. Fastensonntag: Versuchung, vom Einzelnen her zu denken als Flucht, Umkehr als Frucht der Begegnung mit dem anderen (statt von gleich zu gleich), Problem: Umkehr ohne Umsturz, Methodologischer Individualismus, falsche Unmittelbarkeit und Projektion (s. Texte unter erster und zweiter Fastensonntag)

– 5. Fastensonntag: strukturelle Sünde, Misereorsonntag, wörtl.: Sonntag des Erbarmens, Leid (Erbarmen) gibt zu denken, die Erkenntnis von Schuldzusammenhängen macht frei, öffnet den Blick (Ohne Kapitalismuskritik kein Heil? Die darin zitierte Literatur gibt weitere Hinweise)

– Palmsonntag: Erkennen, was dem Frieden dient, Gefährlichkeit von Rüstungsspiralen, Erkennen, der eigenen Beteiligung an den Problemen statt Freund/Feind-Mechanismus, Gerechtigkeit schafft statt Frieden statt Herrschaft (Stellungnahmen zum Krieg in der Ukraine: 2022, 2022a, 2023)

– Gründonnerstag: Konkurrenz, wer der ‚Größte‘ ist im Kampf um Selbstbehauptung auf unterschiedlichen Ebenen, in individueller Selbstbehauptung und -inszenierung, Vernichtungskonkurrenz in der Wirtschaft, politische Inszenierungen statt Streit um ‚Wahrheit‘ (s. die oben genannten Texte und Handlungsfetischismus in einer reflexionslosen Gesellschaft, S. 140ff.)

Herbert Böttcher

[1]     Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, Göttingen 1992, 511.

[2]     Ebd., 290.

[3]     Lukas ist besonders im Blick, weil die diesjährige österliche Bußzeit in das kath. Lesejahr C fällt, in dem in den Gottesdiensten vor allem die Evangelien nach Lukas gelesen werden.

[4]     Vgl. auch Horst Balz/Gerhard Schneider (Hrsg.), Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Band III, Stuttgart Berlin Köln 21983, 310.

[5]     Zur Auslegung vgl. Luise Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2005, 78 – 88.