Text aus neuem Netztelegramm: Manna am Morgen und zum Abendmahl Brot

Im Oktober wird das Netztelegramm als kleine Zeitschrift erscheinen. Drei der ca. ein Dutzend Texte werden vorab online gestellt. Der zweite Text – von Dominic Kloos und Dr. Eberhard Löschcke – ist ein theologischer Impuls, der anlässlich der Tagung „Krise auf dem Tisch“ (Dezember 2023) des AK processus confessionis formuliert wurde.

Manna am Morgen und zum Abendmahl Brot

Die Erzählung vom Manna, das beim Exodus aus dem Sklavenhaus Ägypten in der Wüste vom Himmel kam, mag manchen als illusionäres Märchen daher kommen. Die Inhalte aus dem Kapitel 16 des 2. Buch Mose können aber auch als Einspruch gegen die heutige kapitalistische Gesellschafts- und Denkform gelesen werden.

Der leidempfindliche und herrschaftskritische Gott, der Mose im 3. Kapitel desselben Buches offenbart wurde, trägt Sorge für sein ganzes Haus Israel. Er hat es aus der Herrschaft Ägyptens befreit, nachdem er seine Schreie gehört und sein Leid gesehen hat (2. Mose/Ex 2-3). Trotzdem murren die Israeliten beim Zug durch die Wüste. „Murren“ klingt recht harmlos nach ‚Genöle‘. Gemeint ist aber ein (konter-)rebellisches Verhalten, das darauf zielt, die Rückkehr nach Ägypten zu erzwingen. Angesichts von Schwierigkeiten auf dem Weg der Befreiung werden Sehnsüchte wach, die sich zurücksehnen nach Ägypten und seiner vergötzten Herrschaft: lieber an ihren Fleischtöpfen sitzen als auf dem Weg der Befreiung durch die Wüste zu ziehen (16,3).

Mit der Gabe des Manna zeigt Gott die Alternative zum Sklavenhaus Ägypten auf. Er macht deutlich, wie befreites Leben aussehen könnte: Es gibt genug für alle, keiner muss Hunger leiden. Und jede*r kann so viel essen, wie er/sie benötigt. Dabei wird nicht von der Knappheit der Güter ausgegangen, sondern davon, dass Gottes reiche Schöpfung genug für alle bietet. Nur gehortet werden soll nichts, wie in den Vorratsstätten Ägyptens (2. Mose bzw. Ex 1,11). Sie waren darauf ausgerichtet, dass immer genug für Pharao und seine Lakaien vorhanden war, während für die meisten anderen bei Missernten nichts vom Vorrat blieb bzw. dieser unbezahlbar wurde. Die Vorratsstätten stehen für ein ‚Immer-mehr-Habenwollen’, nicht für sinnvolle Voraussicht für schwierigere Zeiten. Die Vorratshaltung konnte auch genutzt werden, in Krisenzeiten Vorräte teuer zu verkaufen. Im Zweiten Testament erinnert der reiche Kornbauer daran (Lk 12,13ff). Die Offenbarung des Johannes hat die Erhöhung der Preise für Weizen und Gerste als Nahrung der Armen im Blick, wenn es heißt: „Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar“, während den Gütern für ‚gehobenen Bedarf‘, „dem Öl und dem Wein“ kein Schaden zugefügt werden soll (Apk/Offb 6,6). Vor solchen Hintergründen wird verständlich, warum das Manna bei seiner Lagerung „wurmig und stinkend“ (2. Mose/Ex 16,20) wird.

Eine Ausnahme gibt es für eine kleine Vorratshaltung: Am sechsten Tag der Woche darf und soll man für zwei Tage sammeln und einen Teil für den siebten Tag aufbewahren. So ist das Sammeln des Brotes in der Wüste mit einer zentralen Kategorie biblischen Denkens und Handelns verbunden: Dem Sabbat. Während das Manna gegen die Fleischtöpfe Ägyptens steht, steht der Sabbat gegen Sklaverei und Unterdrückung. Er unterbricht die alltägliche Logik einer zweckgebundenen Zeit – heute die Zeit der auf Leistung und Akkumulation, auf die „Verwertung des Werts“ (Karl Marx) ausgerichteten Arbeit, die kein Ende findet. Der Sabbat steht für Unterbrechung, er macht frei zur Reflexion und menschenfreundlichem Tun etwa in den Werken der Barmherzigkeit. Er befreit von zweckgebundener, instrumenteller Zeit.

Mit dem Sabbat ist das Sabbatjahr, die Brache im 7. Jahr, und mit 7 Sabbatjahren das Jobeljahr verbunden: Das Sabbatjahr steht – in einer Agrargesellschaft wie der Antike – dafür, nicht alles aus den Böden herauszuholen, ihre Ertragskraft zu schützen. Das Jobeljahr findet nicht zufällig am großen Versöhnungstag Yom Kippour statt. Es ist der Tag, der für soziale Befreiung steht – der Armen zuerst und mit ihnen des ganzen ‚Volkes’. Das Jobeljahr beinhaltet als zentrale Kategorie die zedaka, was mit Gerechtigkeit/Wohltätigkeit übersetzt werden kann. Im Jobeljahr wird ein Ausgleich geschaffen: Diejenigen, die ihr Land oder gar ihre Kinder aufgrund von Verschuldung verloren haben, erhalten alles zurück und können Nahrungsmittel wieder primär für sich selbst produzieren. Durch den Schuldenerlass kann es zur Befreiung aus Landlosigkeit und Schuldknechtschaft, zum Ausbruch aus dem Teufelskreis der damaligen Armut kommen. Somit soll das Jobeljahr vor dem Hintergrund realer Abhängigkeiten von Gläubigern in der damaligen israelitischen Gesellschaft aufzeigen, dass sich die Akkumulation von Land und das Streben nach Reichtum nicht lohnt: Die soziale Spaltung wird rückgängig gemacht, Arme bleiben nicht arm. So soll die zedaka, die durch das Jobeljahr in Aussicht gestellt ist, die Bereicherung in der Gesellschaft begrenzen. Sie soll zum Shalom, wörtlich übersetzt zum ‚Genug-Haben’ beitragen: Wenn also Shalom/Friede herrscht, dann haben alle genug.

Manna gab es am Morgen, und zum Abendmahl gibt es Brot. Vom Brot hat Jesus gesagt: „Das ist mein Leib.“ Oder anders: „Das bin ich selbst. Damit erinnert euch an mich.“ Mit dem Brot erinnern wir uns an Leben, Tod und Auferstehung des Christus Jesus, des Messias. Diese Erinnerung ist eingebunden in die Erinnerung an Israels Gott und seine Wege der Befreiung aus den Sklavenhäusern der Geschichte. Aus der Kraft dieser Erinnerung hat Jesus gelebt und sich der Herrschaft Roms widersetzt – einer Herrschaft, unter der Arme ihr Land verloren und brotlos wurden. Nicht umsonst wählt Jesus das Grundnahrungsmittel seiner Zeit als Zeichen für sich und seine ‚Mission‘.

Das Brot erfährt in der Liturgie eine Art Trans-Form-ation. Dies ist ein Hinweis darauf, dass das Brot für Transzendierung, für ein Überschreiten von Grenzen jeglicher irdischen Herrschafts-Form steht. Wir haben gesehen, dass im Kapitalismus das Brot Warenform annimmt, der Wert-Abspaltungsform unterliegt. Zur Zeit Jesu war es die Form kaiserlicher Herrschaft mit ihren Ausbeutungssystemen, die das Brot immer schwieriger für alle zugänglich machte. In der kirchlichen Feier wird das Brot verwandelt: das Zeichen für das Leben Jesu ist ein Zeichen für das Leben und Überleben der Armen und Entrechteten, ein Zeichen der Solidarität mit ihnen. Das Brechen des Brotes wird zum Zeichen eines Bruchs mit den herrschenden Verhältnissen und zum Zeichen für eine neue Welt, die mit der Warenform und ihren abgespaltenen Momenten gebrochen hat und in der alle genug zum Leben haben. Die es gemeinsam essen, werden ermutigt, sich in Menschen zu verwandeln, die unter den heutigen Herrschaftsverhältnissen versuchen, den Weg des Messias Jesus zu gehen und für eine gerechtere und solidarische Lebensweise einzutreten, für einen Verein freier Menschen, wie es Karl Marx formuliert hat. Die Wandlung des Brotes zielt also auf eine Transzendierung des kapitalistischen Ganzen.

Manna und Brot sind verbunden mit der Befreiung, dem Sabbat, der zedaka, dem Shalom, dem Genug-für-alle, mit der messianischen Hoffnung. Der Sabbat ist Höhepunkt der Schöpfung (1. Mose 1/Gen 1) und zugleich eine Verheißung auf Shalom auf Erden, die immer eine Kritik an bestehenden Herrschaftsverhältnissen impliziert – heute an den patriarchal-kapitalistischen; und der Sabbat ist zugleich eine Verheißung auf die Vollendung im messianischen Reich Gottes, die Wirklichkeit werden soll in einer neuen Schöpfung, in einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“ (Apk/Offb 21,1).