Hinführung und Text zur ersten Lesung (Dtn 5,6–9)
Das Buch Deuteronomium ist das letzte Buch der fünf Bücher Mose und reflektiert am Ende der Tora noch einmal die Erinnerungen an die Heilstaten Gottes. Erinnern bedeutet, entsprechend den Weisungen Gottes zu leben. Diese Weisungen verbinden Gottesdienst und Dienst am anderen Menschen, Gottesliebe und Nächstenliebe. Beides gehört untrennbar zusammen. Möglich wird das in der Treue zu Gott und seinem Bund, im Hören auf Gottes Weisungen. Der Text der Lesung ist bis heute das jüdische Bekenntnis zu dem einen und einzigen Gott.
Lesung aus dem Buch Deuteronomium
4 Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig. 5 Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. 6 Und diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. 7 Du sollst sie deinen Kindern wiederholen. Du sollst sie sprechen, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. 8 Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden. 9 Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben.
Hinführung zur zweiten Lesung: 2 Kor 5,17–21
Mit dem 2. Korintherbrief begegnet Paulus Spannungen innerhalb der Gemeinde in Korinth und Spannungen zwischen ihm selbst und seinen Gegnern. Umso wichtiger ist ihm das Thema Versöhnung: Versöhnung zwischen Gott und den Menschen allgemein und Versöhnung in der Gemeinde in Korinth ganz konkret. Das ist möglich, weil jeder Christ mit der Taufe Christus gleichsam angezogen hat, so dass er in der Nachfolge Christi Gerechtigkeit Gottes werden kann.
Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther
17 Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. 18 Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. 19 Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat. 20 Wir sind also Gesandte an Christi statt und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! 21 Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.
Evangelium: Lk 19,-10
1 Dann kam er nach Jericho und ging durch die Stadt. 2 Und siehe, da war ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war reich. 3 Er suchte Jesus, um zu sehen, wer er sei, doch er konnte es nicht wegen der Menschenmenge; denn er war klein von Gestalt. 4 Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste. 5 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben. 6 Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf. 7 Und alle, die das sahen, empörten sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. 8 Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich von jemandem zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück. 9 Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Predigt
Am letzten Fastensonntag haben wir vom Feigenbaum gehört, der keine Frucht trägt. Er steht für das ganze Israel, dem noch einmal eine Gnadenfrist gegeben wird. Für den Feigenbaum heißt das, im kommenden Jahr Früchte zu tragen. Dazu wird das Erdreich um ihn bearbeitet, um ihm so auch eine gute Grundlage zu bieten. Für alle Menschen in Israel heißt das, die Zeichen der Zeit zu erkennen und danach zu handeln. Die Forderung zur Umkehr macht der Evangelist Lukas in seinem Evangelium immer wieder stark. Alle müssen umkehren, es gibt keine Nicht-Sünder.
Im heutigen Evangelium wird dieser Gedanke erneut aufgegriffen. Er lenkt den Blick nun auf einen einzelnen Menschen, auf den Zöllner Zachäus, der zwar von kleiner Körpergröße ist, aber als „oberster Zollpächter“ (Lk 19,2) ein beruflich erfolgreicher und reicher Mann. Mit Zachäus zeigt Lukas, dass Umkehr hier und heute für jeden einzelnen Menschen möglich ist, gleichgültig in welchem Arbeitsumfeld oder in welchen sozialen Gruppen er sich auch bewegt. Umkehr geschieht tatsächlich, sie bleibt nicht nur ein schöner Wunsch – nein, sie wird Wirklichkeit – und damit wirkt sie in die Welt hinein, nicht nur für den Umkehrenden selbst, sondern auch für andere Menschen und für das gesellschaftliche Umfeld.
Möglich ist das, weil Gott selbst sich seinem Volk mit seinem Namen offenbart hat. So ist die Aufforderung, die wir in der ersten Lesung gehört haben – „Höre Israel!“ – nur die folgerichtige Reaktion auf das Hören Gottes, der seinerseits die Schreie der Versklavten hört und rettet. Dem Entgegenkommen Gottes entspricht das Entgegenkommen der Menschen.
Genau das erlebt Zachäus.
Wenn wir uns das Bild der Begegnung Jesu mit dem Zöllner vor Augen halten, zeigt sich diese aufeinander zugehende Bewegung ganz deutlich. In Jericho ist eine Menge Menschen zusammengekommen, um Jesus zu sehen. Die Menschen sehen ihn von Weitem kommen und sie ziehen alleine aufgrund ihrer Menge den Blick des ihnen Entgegenkommenden an. Wohin sollte Jesus auch sonst blicken? Sie warten ja schließlich auf ihn. Erst wenn wir die Situation lebendig werden lassen, können wir erahnen, welch ungewöhnliche Begegnung dies ist. Wie sollte von Weitem der nicht gerade groß gewachsene Zachäus in dem dicht belaubten Maulbeerfeigenbaum zu sehen sein? Doch genau dorthin blickt Jesus, er scheint regelrecht nach Zachäus zu suchen.[1] Der Messias Gottes, der Immanuel – der Gott mit uns – hört gleichsam die Umkehrbereitschaft des kleinen Zöllners Zachäus. Interessant ist, dass der Maulbeerfeigenbaum in der Antike als wilder Feigenbaum gilt, der keine Früchte trägt und daher nutzlos ist. Wie im Evangelium des letzten Sonntags der Boden um den Feigenbaum bearbeitet wird, so sorgt Jesus sich um Zachäus, der dann gute Früchte tragen kann. Voraussetzung ist die Bewegung des Steuereintreibers auf den Baum hinauf, die zeigt, dass er sich selbst bereits auf den Weg der Umkehr begeben hat.
Jesus blickt hinauf, sieht Zachäus und beginnt mit ihm ein Gespräch. So als sei der erste Anflug einer Bereitschaft des korrupten und opportunistischen Zöllners schon Umkehr. Und zum Erstaunen der Menge ruft er ihm zu: „Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben.” (Lk 19,5). Die Freude Zachäus‘ ist groß. Er steigt vom Baum und nimmt Jesus bei sich auf. Prompt murrt die Menge, ist unzufrieden mit dem, was dort geschieht. Mit solch einem, der sich nicht nur wegen seiner Arbeit als Zöllner für die römische Besatzungsmacht unrein macht, ja der darüber hinaus auch mehr verlangt, als es schon die Besatzungsmacht fordert, der sich so an anderen unrechtmäßig bereichert und nicht wenige damit in finanzielle Not bringt, der soll Gastgeber Jesu sein?
Vom Murren des Volkes ist in der Bibel mehrfach die Rede. So murrt das Volk bei der Wanderung durch die Wüste, es murrt auch am Fuße des Gottesberges, während Mose oben auf dem Berg von Gott die Weisungen Gottes, die Zehn Gebote, entgegennimmt – und baut sich ein goldenes Kalb, das es dann anbetet. Es wendet sich einem selbstgemachten Götzen zu.
Das Murren ist Ausdruck dafür, nicht zu verstehen, was Treue, was Bund, was Gottesbeziehung bedeutet. So zeigt auch die Menge in Jericho mit ihrem Murren, dass sie nicht recht verstanden hat, wofür der Messias Gottes einsteht. Sie versteht nicht recht, was es heißt, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele auf den HERRN zu hören – und das, obwohl sie Jesus sehnsüchtig erwarten. Was aber ersehnen sie? Ist es der Reiz des Events, ist es die Chance, später anderen erzählen zu können „Ich war dabei!“? Kann es sein, das sie lediglich hören, was sie hören wollen? Ihre Reaktion zeigt: Sie wollen hören, was sie immer schon wussten: Sündern wird Gott sein Heil nicht schenken.
Hören auf Gott ist mühsamer und vielschichtiger, als gedacht. Denn neben dem genauen Hinhören und Nachfragen gehört auch konkretes Tun im Alltag dazu. Darum wird das Schema Jisrael, das jüdischen Glaubensbekenntnis, das gläubige Juden auch heute im täglichen Gebet morgens und abends sprechen, im Alltag in Erinnerung gerufen. Es soll in Form von Lederbänden (den Tefillin), auf denen der Text steht, beim Gebet um den linken Arm bis hinauf in Richtung Herz gelegt werden, es soll an den Türpfosten geschrieben sein, damit es beim Eingang die Erinnerung wachruft. Dabei geht es nicht um ein inhaltsleeres Gefühl an schöne Tage. Vielmehr ist Erinnerung mit Inhalten verbunden und fordert auf, die Gerechtigkeit Gottes tatsächlich umzusetzen.
Wie als Antwort auf das Murren der Menge erklärt Zachäus, dass er es ernst meint. Er sagt: „Sieh Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück“ (Lk 19,8). Zachäus spricht im Präsens, er will nicht nur so handeln, er handelt so. Darum auch kann Jesus sagen, dass dem Haus – d. h. der ganzen Hausgemeinschaft des Zachäus, allen Familienmitgliedern und Bediensteten – Heil widerfahren ist. Der Wandel im konkreten Tun des Zöllners schafft Gerechtigkeit und wirkt so Heil. Damit verhält sich Zachäus so, als sei das Reich Gottes bereits Wirklichkeit – und genau damit bewirkt er die Verwirklichung dieses Reiches.
Das heißt nun allerdings nicht, dass Zachäus das Reich Gottes durch sein Handeln vollkommen und endgültig herbeiführt. Wie der folgende Abschnitt des Lukasevangeliums, den wir kommenden Sonntag hören werden, zeigt, ginge eine solche Vorstellung an der Realität dieser Welt vorbei. Es gehört zu einer reflektierten Erinnerung, die Welt, wie sie real ist, nicht aus den Augen zu verlieren. Ein Murren, das lediglich den eigenen Unmut zum Ausdruck bringt, ohne Zusammenhänge zu bedenken und nach Wegen für widerständiges Handeln zu suchen, verfestigt Grenzen und damit die Ausgrenzung von Mitmenschen ebenso wie die Spaltung von Gesellschaft und solidarischem Miteinander. Wenn wir dem Murren, dem eigenen Gefühl des Unmuts, nicht Raum geben wollen, kann uns die Erinnerung an das Entgegenkommen Gottes Mut machen, das zu tun, was uns möglich ist. Der Dreh- und Angelpunkt des Reiches Gottes, für das Jesus Christus sich mit seinem Leben eingesetzt hat, ist die andere Gerechtigkeit Gottes. Sie ist ganz und gar anders als die Gerechtigkeit der Welt. Zachäus hat das verstanden, denn die Logik des Geldes, der er gefolgt ist, kehrt er um, indem er nicht nur das, was er zu viel genommen hat, zurückgibt, sondern die Hälfte seines Vermögens an die Armen verteilt und das Vierfache des unrechtmäßig genommenen zurückgibt. So kann dann auch das geschehen, was Paulus erhofft und wozu er ermahnt, nämlich dass jeder und jede von uns in Christus zur Gerechtigkeit Gottes würde. Damit sind wir keineswegs Gerechte im vollkommenen Sinne, damit ist dann auch das Ganze des Unrechts, der Unterdrückung, der Bevormundung und Ausbeutung von Menschen und Schöpfung nicht gewandelt, aber wir sind damit auf dem rechten Weg. Sich auf den rechten Weg zu begeben, das bedeutet Umkehr. Indem ich die Richtung auf Gott hin ändere, gewinne ich eine andere Perspektive, bin in der Lage Leid, Not, Gewalt – ob offensichtlich oder versteckt – zu sehen und mich dem auszusetzen. Denn mit Gottes Messias und in seiner Nachfolge kann ich den notwendigen – den die Not wendenden – Weg gehen, in der festen Hoffnung, dass Gott selbst im Letzten Gerechtigkeit wirken wird.
Fürbitten:
In der Fastenzeit vor Ostern wollen wir uns neu ausrichten auf Gott. Wenn wir auf Gottes Weisungen hören, ist auch uns – wie Zachäus – Umkehr möglich. Wie Zachäus hoffen wir auf das erbarmende Entgegenkommen Gottes. Darum bitten wir…
… für die Menschen in Thailand und Myanmar, die von einem schweren Erdbeben betroffen sind, und für alle, die von Naturkatastrophen heimgesucht werden, um Unterstützung vor Ort und um Unterstützung weltweit, so dass sie bei allem Leid tatkräftige und solidarische Hilfe erfahren können.
Wir bitten für alle, die in Kriege verstrickt sind, die unter militärischer Gewalt leiden, deren Leben täglich durch Bombenhagel und Beschuss bedroht ist, um den Widerstand aller gegen die Ideologien des Krieges, um den aufrichtigen Wunsch nach Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg, um die Kraft immer wieder neu nach Wegen des Friedens zu suchen.
Wir bitten für all die Menschen, die von der voranschreitenden Klimakrise mit ihrer nicht enden wollenden Trockenheit, mit ihren Waldbränden und Überschwemmungen betroffen sind und die so ihre Lebensgrundlagen verlieren, um einen realen Blick auf den Zustand unserer Welt, die durch Raubbau an der Natur und den Ressourcen der Erde zerstört wird, um die Bereitschaft, auch vor Ort das notwendige zu tun, um Solidarität mit allen Menschen und der ganzen Schöpfung.
Wir bitten für all die Menschen, die mutig und friedlich ihre Stimme gegen Machtmissbrauch und Unterdrückung erheben, die zur Solidarität aufrufen und die den Abwehrreden vom vollen Boot und von der Notwendigkeit, das Eigene schützen zu müssen, widersprechen, um Gehör in den selbstzentrierten Gesellschaften und bei Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft.
Wir bitten für die Verstorbenen, um Deine Treue und Fürsorge über den Tod hinaus, um Deine Nähe in der Stunde des Todes.
Darum bitten wir mit Jesus Christus, der uns Wege zur Umkehr und zu einem lebendigen Miteinander eröffnet hat, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen
Monika Tautz
[1] So ist der letzte Satz „Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ (Lk 19,10) ganz bewusst als Erklärung an das Ende der Erzählung vom Zöllner Zachäus gesetzt.