Impuls zum zweiten Fastensonntag 2025

Zum Evangelium: Lk 9,28-36

Das Evangelium von Jesu Verklärung hat einen festen Platz am zweiten Fastensonntag. Es folgt auf das Evangelium von Jesu Versuchung, das am ersten Fastensonntag gelesen wird. Entsprechend der österlichen Bußzeit wollen beide Evangelien auf Ostern vorbereiten. Im Evangelium von der Versuchung widersagt Jesus den Versuchungen römischer Herrschaft. Damit bekennt er sich zu Gottes Wegen der Befreiung und zur Solidarität mit den Opfern dieser Herrschaft. Dieser Weg führt ihn ans Kreuz, mit dem Rom diejenigen bestraft, die seiner Herrschaft widersagen. Das Evangelium von der Verklärung riskiert schon einen Blick auf Ostern. Der von Rom Gekreuzigte wird von Gott verherrlicht. In ihm erstrahlt die Herrlichkeit Gottes. Seine Verklärung wird zur Hoffnung aller, die Gottes Wege der Befreiung an der Seite der Erniedrigten gehen. Die Macht Roms und die aller Herrschaften und Gewalten haben nicht das letzte Wort. Das wird all denen mit auf dem Weg gegeben, die damals das Evangelium lasen oder hörten und Jesus nachfolgten. Heute hören wir das Evangelium in der österlichen Bußzeit. Wir verbinden es mit Jesu Passion und dem, was Menschen heute weltweit an Passions- und Gewaltgeschichten zu erleiden haben. Sie konfrontieren uns mit der Dringlichkeit der Frage nach Umkehr und Rettung aus Unrecht und Gewalt.

Lukas erzählt die Geschichte von Jesu Verklärung nach dem Messiasbekenntnis des Petrus, der darauf folgenden Ankündigung des Leidens und der Mahnung an die Jünger/innen, ebenso wie Jesus den Versuchungen der Herrschaft zu widerstehen und den widerständigen Weg zu gehen, der Jesus an das Kreuz der Römer brachte. Die Geschichte von der Verklärung verortet diesen Weg ganz in der Tradition Israels. Darin wird das zentrale Anliegen des Evangeliums nach Lukas deutlich, nämlich Jesu Weg als einen Weg zu erzählen, der ganz in der Tradition Israels und der Treue zu Gott der Befreiung verwurzelt ist. Jesus geht ihn – so interpretiert  Lukas – gemäß der Schrift (d.h. der Tora, der Propheten und der Psalmen; vgl. Lk 24,44).

„Etwa acht Tage nach diesen Worten“ der Ankündigungen seines Leidens steigt Jesus mit Petrus, Johannes und Jakobus „auf einen Berg“ (V. 28). Ein Berg ist der Ort, an dem Mose der Herrlichkeit Gottes begegnet war. Dort hatte er die zehn Gebote als Weisungen für das Leben als aus Ägypten befreites Volk von Gott in Empfang genommen. „Auf einem Berg“ taucht der betende Messias in die Herrlichkeit Gottes ein. Seine Gestalt verwandelt sich. Mit ihm redeten „zwei Männer“: Mose und Elija (V. 30). Dem Mose hatte Gott seinen Namen geoffenbart, als er ihm den Auftrag gab, sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens zu führen. Dieser Name enthält das Versprechen, dem Volk auf den Wegen der Befreiung nahe zu sein. Als Wegweisung erhält es die Tora. Elija ist in der Tradition Israels der leidenschaftliche Kämpfer gegen Israels Unterwerfung unter Götzen. Sie symbolisieren die Unterwerfung unter Herrschaft. Bevor „der Tag des Herren… der große und furchtbare Tag“ als Tag des Gerichts über die Herrschaften kommt, die das Volk knechten, sendet Gott noch einmal „den Propheten Elija“. Er wird „das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern“ (Mal 3,23). Die Herzen aller sollen sich wieder auf die Tora hin orientieren. Deshalb heißt es: „Gedenkt der Weisungen meines Knechtes Mose; am Horeb habe ich ihm Gesetze und Rechtsentscheide übergeben, die in ganz Israel gelten sollen“ (Mal 3,22). Israel soll sein Herz wieder ganz seinem Gott der Befreiung zuwenden und seine Weisungen der Solidarität, vor allem mit den Schwachen beachten. Seine Umkehr soll dem „Tag des Gerichts“ zuvorkommen.

Es geht also um Israels Umkehr auf Gottes Wege der Befreiung. Diesen Weg zu bahnen ist der Messias gesandt. Lukas formuliert diese Sendung in der Tradition des Propheten Jesaja. Mit dessen Worten (vgl. Jes 61,1f.) lässt er ihn sagen: „Der Geist des Herrn … hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde…“ (Lk 4,17f.). Er ist gesandt, das unter der Herrschaft Roms erniedrigte Israel aufzurichten. Mose und Elija sprechen vom Ende dieses Weges in Jerusalem am Kreuz der Römer. Von diesem Ende heißt es, es werde sich „in Jerusalem erfüllen“ (V. 31). Lukas greift vor auf die Auferweckung des Messias als Sammlung und Aufrichtung Israels und zugleich als Weg zu den Völkern. Nach seiner Auferweckung „wird man allen Völkern Umkehr verkünden, damit ihre Sünden vergeben werden. Angefangen in Jerusalem…“ (Lk 24,47): Sünde ist die Unterwerfung unter Herrschaft wie sie im Bau des Goldenen Kalbes zum Ausdruck kam. Der Versuchung, sich römischer Herrschaft anzupassen, hatte Jesus widerstanden (Lk 4,1-13). So konnte er einen Weg der Umkehr als Weg der Befreiung von tödlicher Herrschaft gehen. In Jerusalem, in seinem Tod und seiner Auferweckung hatte er seine Erfüllung gefunden. Israel sollte darin aufgerichtet und neu gesammelt werden. In seine Hoffnungen auf Befreiung und seine Wege der Befreiung sollen auch die Völker einbezogen werden.

Das Gespräch Moses und Elijas mit Jesus haben die Jünger verschlafen. Schlafen statt wachen werden sie auch am Ölberg wieder. Wach werden sie als sie „Jesus im Licht und die zwei Männer, die bei ihm standen, sahen“. Vom Inhalt des Gesprächs haben sie nichts mitbekommen,  wollen aber „drei Hütten bauen“ (V. 33), wohl um ein inhaltsloses Licht bzw. eine verschlafene und nicht verstandene Szene festzuhalten. Worauf es ankommt, sagt „eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören“ (V. 35). Lukas kennt noch keine hellenistisch inspirierte Christologie und ihre Interpretation Jesu als wesensgleicher Sohn Gottes in der Einheit von menschlicher und göttlicher Natur. Eher dürfte er daran gedacht werden, dass in den biblischen Schriften Israel als Sohn Gottes verstanden wird. Dann hätte er Jesus als Sohn Israels interpretiert, in dem Gottes Wort ganz lebendig ist. „Auf ihn sollt ihr hören“ wäre dann die Aufforderung, ganz auf Gottes Wort an Israel zu hören und dieses Wort geschehen zu lassen. Es müsste verstanden werden als Aufforderung: „Höre Israel! Der HERR unser Gott, der HERR ist einzig. Darum sollst du den HERRN, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,4). Was das heißt, erschließt sich vom Weg des Messias nach Jerusalem her, von dem Lukas erzählt. Den Jüngern hat es zunächst einmal die Sprache verschlagen. Sie müssen auf die Schriften „hören“, um verstehen zu lernen, was auf dem Weg Jesu nach Jerusalem geschieht. Nicht zufällig werden den Frauen am Grab „zwei Männer in leuchtenden Gewändern“ (Lk 24,4) begegnen. Mit ihnen dürfte Lukas auf Mose und Elija anspielen, die auf dem Berg der Verklärung mit Jesus über die Erfüllung seines Weges in Jerusalem gesprochen hatten. Lukas jedenfalls interpretiert Jesu Weg als Erfüllung dessen, „was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen“ (Lk 24,44), also in der Schrift, geschrieben steht.

Juden werden diese Sichtweise nicht teilen. Für Menschen, die der messianischen Sichtweise des Lukas folgen, ist es wichtig, dies zwar im Unterschied zu jüdischen Sichtweisen, aber nicht gegen Juden zu tun. Das Verbindende bleibt die Schrift als Grundlage für die Frage nach der Unterscheidung von Gott und Götzen. Auf dieser Grundlage thematisieren die messianischen Gemeinden die Frage nach Jesus als Messias aus Israel. Von Israels Geschichte und seinem Glauben an den Gott, der in dieser befreiend wirkt, darf das Verständnis Jesu nicht getrennt werden. In diesem Sinn gilt, was Lukas in der Apostelgeschichte betont: „Geht nicht weg von Jerusalem…“ (1,4). Es ließe sich auch übersetzen: „Lasst euch nicht von Jerusalem trennen“ – auch nicht auf dem Weg, der zu den Völkern führt. Kein fremder Gott, sondern der in Israel bekannte Gott soll ihnen verkündet werden.

Zu den Lesungen

Erste Lesung: Gen 15,5-12.17-18

In der Ersten Lesung begegnet uns Abraham als einer der Gottes Verheißung geglaubt und sich auf den Weg gemacht hat. Gott verpflichtet sich angesichts des geschilderten Opferrituals, seinem Versprechen treu zu bleiben. Während sich Gott verpflichtet, braucht Abraham ‚nur‘ zu glauben. Paulus beruft sich auf den Glauben Abrahams, wenn er seinen Weg geht, den Völkern den Zugang zu dem gekreuzigten und auferweckten Messias zu erschließen. Im Brief an die Römer heißt es: „Er ist unser aller Vater wie geschrieben steht: Ich habe dich zum Vater vieler Völker bestimmt – im Angesicht des Gottes, dem er geglaubt hat, des Gottes, der die Toten lebendig macht und das, was nichts ist, ins Dasein ruft“ (4,18f).

Zweite Lesung: Phil 3,17-4,1

Paulus stellt Irdisches gegen Himmlisches. Irdisch ist die römische Lebensweise. Ihr Gott ist der Bauch. Mit einem gekreuzigten Messias an der Seite derer, die nur wenig in den Bauch bekommen, kann sie nichts anfangen. Das ist für sie nur „Torheit“ (1 Kor 1,23). Dagegen stellt Paulus: „Unsere Heimat ist im Himmel“. Die Übersetzung mit ‚Heimat‘ ist irreführend. Im Text steht politeuma, was Gemeinwesen meint. Also: Unsere ‚Vergesellschaftung’ ist im Himmel. Da gilt das schon, wofür sich der Messias bis zu seinem Tod am Kreuz eingesetzt hat. Mit dem Kreuz wurde die römische Lebensweise gegen diejenigen verteidigt, die im Verdacht standen, gegen Roms Lebensweise aufzustehen. Die Kraft dazu gibt das Vertrauen auf die ‚Vergesellschaftung’ im Himmel. In der Welt Gottes gilt schon, was auf der Erde noch Wirklichkeit werden – und mit der Wiederkunft Christi – als Fülle der Verheißung zum Ziel kommen soll.

Ein Zeitvermerk für heute

Der eindeutige Bezug zur jüdischen Tradition, der in unserer Perikope besonders klar in den Vordergrund tritt, kann heute mit der Problematik des Antisemitismus bzw. des christlichen Antijudaismus in Verbindung gebracht werden:

Der Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Juden und Jüdinnen löst kein weltweites Entsetzen, sondern im Gegenteil eine Welle des Antisemitismus aus. In ihm ist die Vorstellung lebendig: Juden sollen vernichtet werden, damit die Welt gerettet werden kann. Antisemitismus ist mit der Durchsetzung des Kapitalismus und seiner Krisen verbunden. Er kann aber an antijudaistische Tendenzen im Christentum anknüpfen. Sie spiegeln sich bereits im Zweiten Testament: Da werden Juden als Beispiele für negatives Verhalten herangezogen; an einer Stelle übernimmt sogar Paulus, der ansonsten entschieden für die Verwurzelung der messianischen Gemeinden in den jüdischen Traditionen eintritt, das antike Stereotyp von den Juden als „Feinden aller Menschen“ (1 Thess 2,15). Hintergrund solcher Polemiken sind innerjüdische Auseinandersetzungen darüber, wie Israels Gott und seine Wege der Befreiung verstanden werden sollen, also ohne oder mit dem Glauben an Jesus, den Messias aus Israel. Gestritten wird auf der Grundlage der gemeinsamen Tradition. Je mehr sich die jüdisch-messianischen Gemeinden griechischem Denken und griechisch-römischer Kultur zuwenden, desto stärker kommt es zu Ablösungen von den jüdischen Wurzeln des Glaubens an den Messias Jesus und zur Anpassung an römische Herrschaftsverhältnisse. In den Vordergrund tritt nun Jesus als der ‚Sohn Gottes‘ in seiner göttlichen und menschlichen Natur. In diesen Zusammenhängen verbreitet sich das Stereotyp von den Juden als ‚Gottesmördern‘. Dies alles mündet ein in Diffamierungen, Ausgrenzungen, Vertreibungen bis hin zu Pogromen.

Antijudaismus ist im Christentum auch heute noch da lebendig, wo die Freiheit des Evangeliums gegen die Knechtschaft des Gesetzes, der neutestamentliche Gott der Liebe gegen den alttestamentliche Gott der Rache, die Frohbotschaft des Neuen Testaments gegen die Drohbotschaft des Alten Testaments, der Neue gegen den Alten Bund ausgespielt werden oder vom Reich Gottes gesprochen wird, als sei es eine Erfindung Jesu, die mit jüdischen Traditionen nichts zu tun habe. Antijudaismus ist da wirkmächtig, wo das Neue Testament ohne seine Verwurzelung im Alten Testament interpretiert wird.

Herbert Böttcher