Zum Evangelium (Lk 13,1-9):
Der Text aus dem Evangelium nach Lukas lenkt den Blick auf die Gewalt, die Israel unter römischer Herrschaft zu erleiden hatte. Die römische Besatzungsmacht hat Jerusalem und den Tempel zerstört. Dass es dazu kommen werde, war bereits in den Jahrzehnten vor der Abfassung des Evangeliums absehbar. Die übermächtige Gewalt des Imperiums war bekannt. Trotzdem haben sich einige Galiläer in kriegerischen Auseinandersetzungen dagegen aufgelehnt. Sie träumten davon ein neues Königreich Groß-Israel zu errichten. Es sollte auf einer Ebene mit den anderen Weltreichen stehen, vor allem auf die irdischen Herrschaftsverhältnisse ausgerichtet, nur war die Macht der Römer stärker und hat sie vernichtet. Zudem verweist Lukas auf die achtzehn Menschen, die beim Einsturz eines Turms am Teich Schiloach in Jerusalem ums Leben kamen. Die Römer hatten den Turmbau im Zusammenhang des Baus einer großen Wasserleitung befohlen. Diejenigen, die beim Einsturz des Turms umgekommen waren, gehörten zu Menschen, die mit Rom zusammenarbeiteten. Mit den beiden Beispielen zu Beginn des Textes will Lukas deutlich machen: Weder die Suche nach einem eigenen Großreich noch die Unterwerfung unter römische Herrschaft sind Wege der Befreiung. Lukas will – wie in seinem gesamten Evangelium – darauf hinaus, dass alle umkehren müssen, wenn es eine Perspektive der Befreiung im Rahmen des Reiches Gottes geben soll.
Dies wird im Gleichnis vom Feigenbaum, der für ganz Israel steht, deutlich: Nicht einzelne Gruppen müssen ihre Orientierungen und ihr Verhalten ändern, sondern alle müssen umkehren, um die Weisungen Gottes zu leben und nicht Götzen hinterher zu laufen – ob diese nun in einem eigenen Königtum bestehen oder in der unterwerfenden Anpassung an die Fremdherrschaft. Die Warnung des alles zerstörenden Krieges musste von allen wahrgenommen werden, denn er war es, der das Land Israel und seinen Tempel in Jerusalem zerstörte. Sowohl Jesus in seiner Zeit unter den Herodes-Nachfolgern und dem römischen Statthalter Pilatus als auch Lukas in der Zeit als der Tempel zerstört und große Teile Israels verstreut waren, argumentierten aus der Tora und den Prophetenbüchern Israels heraus und stellten fest: Es kann nur eine Konsequenz geben, wenn für Israel ein neuer Anfang möglich sein sollte, nämlich das Hier und Jetzt als Stunde der Umkehr zu begreifen. Hoffnung auf Umkehr inmitten des drohenden bzw. weitergehenden Krieges weckt der Pächter, von dem Lukas erzählt: Aus der Sicht des Weinbergbesitzers wäre es seine Aufgabe gewesen, dafür zu sorgen, dass im Interesse besserer Erträge unfruchtbare Bäume ausgerissen und fruchtbare gepflanzt werden. Er aber gibt unfruchtbaren Bäumen eine Chance. Darin wird er zu einem Zeichen der Hoffnung, dass Israel auch aus einer desolaten Situation aufstehen und umkehren kann. Vielleicht dürfen wir darin auch einen Hinweis auf Gottes Barmherzigkeit sehen, der Menschen in desolaten Verhältnissen Umkehr zumutet und zutraut.
Zur ersten Lesung (Ex 3,1–8a.10.13–15):
Gott, der die Schreie der in Ägypten versklavten Hebräer hört, sendet Mose, um sie aus der Knechtschaft Ägyptens zu befreien. Bevor Gott dieses Elend sieht, hatte bereits Mose gesehen, was ihnen bei der Fronarbeit angetan wurde, und empört einen ägyptischen Aufseher erschlagen. Er muss nach Midian fliehen. Dort wird er gastfreundlich aufgenommen. Gott sendet ihn aber zurück in das gefährliche Ägypten. Er soll die geknechteten Hebräer auf den Weg der Befreiung leiten. Mit auf den schwierigen Weg gibt er ihm ein Versprechen: da zu sein auf Wegen der Befreiung, der Gerechtigkeit und der Solidarität. Das verbürgt sein geheimnisvoller Name, der sich jeder Definition und Verfügung entzieht. Dieser Name mit seinem Versprechen der Befreiung ist die alles tragende Mitte der jüdischen und dann auch der jüdisch-christlichen Tradition.
Zur zweiten Lesung (1 Kor 10,1-12):
Paulus erinnert die Gemeinde in Korinth an die Befreiung aus Ägypten und zugleich an die Erfahrungen beim Weg durch die Wüste. Viele sehnten sich wieder zurück nach Verhältnissen wie in Ägypten. Die Normalität der Knechtschaft schien verheißungsvoller als der Weg der Befreiung, der durch die Wüste führte. Diese Versuchung bringt Paulus in Verbindung mit Versuchungen, denen die Gemeinde in Korinth ausgesetzt ist. Es sind Versuchungen der Anpassung an das scheinbar so attraktive Leben in einer griechisch-römischen Hafenstadt: dem Gieren nach Unterhaltung und Ablenkung, nach ‚Brot und Spielen’, nach den Möglichkeiten, arme Frauen als Objekte der Lust zu missbrauchen, und in all dem griechisch-römischen Göttern der Macht statt Israels Gott der Befreiung und seinem Messias Jesus zu folgen.
Ein Zeitvermerk für heute
Heute können die Texte als Umkehr angesichts der bestehenden Herrschaftsverhältnissen gedeutet werden: als Kritik an der kapitalistischen Weltgesellschaft, die Mensch und Natur zerstört. Eine solche an die Wurzel gehende Kritik geht mit einem entsprechenden Verhalten einher: Dieses zeigt sich in der Solidarität mit Armen, Unterdrückten und Diskriminierten. Wort und Tat versuchen sich zu entsprechen.
Dabei kann eine Ähnlichkeit zwischen damals und heute festgestellt werden: Die römische Herrschaft erschien übermächtig und unüberwindbar. Alternativen für ein menschenfreundliches Zusammenleben für diejenigen, die beim Menschenverschleiß und der Hinrichtung von Oppositionellen nicht mitmachen wollten, gab es kaum. Analog dazu scheint auch die heutige Weltgesellschaft, die mit Arbeitsausbeutung, Geldvermehrung und unkontrollierbaren Krisen einhergeht, übermächtig und unüberwindbar. Aber ähnlich wie die Herrschaft Roms nicht unendlich war, gilt auch der Kapitalismus nicht ewig. Er ist, trotz aller Deals, die noch möglich erscheinen, an sein Ende gekommen. Weder gibt es ausreichend bezahlte Arbeit für alle, erst recht nicht weltweit. Noch ist die ökologische Zerstörung aufzuhalten, wenn das Wachstum einfach weitergehen soll. Dies sind nur zwei Aspekte, die deutlich machen, dass die Suche nach Überwindung des Kapitalismus der einzig sinnvolle und auch realistische Weg ist. Statt dies zu erkennen wird aber weiter an ihm festgehalten, weil er in Fleisch und Blut eingegangen ist. Dann wird sich lieber an das gekrallt, was man kennt, selbst wenn es sich um eine (kriegerische) Konkurrenz bis aufs Blut und um den Tod durch Ausgrenzung oder wahnhaftes Massakrieren handelt – Hauptsache es bleibt irgendwie alles wie es ist.
Viele wollen an der bestehenden Normalität festhalten, solange sie doch noch vergleichsweise gut dastehen mit eigenem Zuhause, halbwegs gesichertem Einkommen und natürlich dem unverzichtbaren Auto. Und selbst diejenigen, die sich nichts mehr wirklich leisten können oder ausschließlich auf Pump leben, treten lieber noch auf diejenigen, die noch weniger haben, statt die bestehende Normalität in Frage zu stellen. Obwohl sich die kapitalistische Normalität ökonomisch, politisch, ökologisch und psychologisch im Niedergang befindet, die Krisen sich immer mehr verschärfen, wird nicht davon gelassen – bis dahin, dass diejenigen, die schon Jahrzehnte an diesem Zerfall in Form von Kriegen, Armut und Naturverwüstungen leiden, auch noch für den Verfall verantwortlich gemacht werden. Statt die Mitverantwortung für den Zerfall im Agieren der europäischen und amerikanischen Zentren des Kapitalismus einzugestehen, wird sie anderen zugeschustert. Analog zu den Nazis, für die die Juden auszurotten waren, damit deutsche Volksgemeinschaft und ihre Wirtschaft funktionieren, sind es aktuell hierzulande vor allem Migranten und Bürgergeldbezieher, die als Sündenböcke herhalten müssen.
Kritik an der Götzenherrschaft Kapitalismus und Solidarität mit allen, die nicht genug zum Leben haben und zu uns kommen, wären angesagt – also allen, die diesem Götzen geopfert werden. Der erste Schritt dazu wäre: Sich vom Leid Anderer unterbrechen lassen, nicht nur auf das Eigene und seine Verteidigung fixiert sein, nicht einfach weitermachen wie bisher, Leid verstehen wollen ohne Sündenböcke zu suchen, und helfen, wo es nur geht. Das entspräche dem Hören auf die Inhalte des befreienden Gottesnamens und seines Messias Jesus, das wäre Aufgabe von Kirche in der Nachfolge Christi – die Umkehr aller!
Dominic Kloos