Kyrie (verbunden mit dem Kv: Bekehre uns…, Gl 266)
Jesus Christus, unser Bruder und Herr,
Du gehst den Verlorenen nach.
Herr, erbarme dich!
Kv (Gl 266)
In dir ist Gottes Barmherzigkeit und Treue lebendig.
Christus, erbarme dich!
Kv (Gl 266)
Du richtest auf, schenkst Vergebung und einen neuen Anfang.
Herr, erbarme dich!
Kv (Gl 266)
Erste Lesung
Hinführung:
Im Mittelpunkt der Lesung aus dem Buch Deuteronomium steht ein Glaubensbekenntnis Israels. Es wird abgelegt, wenn die ersten Früchte der Ernte dargebracht werden. Dieses Bekenntnis erinnert an die Befreiung aus Ägypten. Mit ihr verbunden ist die Gabe eines Landes, auf dem Israel als befreites Volk leben soll. Das Darbringen der Früchte macht deutlich, dass Gott Herr des Landes bleibt. Das Land ist nicht einzelnen zum Besitz, sondern allen zum Nutzen geschenkt.
Text: Dtn 26,4-10
Zweite Lesung
Hinführung:
Israel hat das von Gott geschenkte Land nicht genutzt, um darauf als von Gott befreites Volk zu leben. Es wollte mächtig sein wie andere Völker und einen König an seiner Spitze. Unter der Herrschaft der Könige kam es zu Spaltungen zwischen Armen und Reichen. Teile des Volkes gerieten in Schuldknechtschaft. Damit waren mitten in Israel Verhältnisse wie in Ägypten entstanden. Das Volk war seinem Gott untreu geworden. Das aber war nicht das Ende der Treue Gottes. Seine Barmherzigkeit gilt seinem Volk auch dann, wenn es den Bund gebrochen hat. So schreibt Gott die Tafeln des Bundes neu.
Lesung aus dem Buch Exodus: Ex 34,4-7
Zwischengesang: Ps 103, 1-2.3-4 u. 10.12-13 (Kv V. 8) (vom 7. Sonntag im Jk (C)
Evangelium: Lk 4,1-13
Predigt: Gott ist barmherzig – weniger die Verhältnisse und die Menschen in ihnen
„Ein Auge ist‘s, was alles sieht, selbst was in finsterer Nacht geschieht.“ Dem Auge Gottes entgeht nichts. Mit ihm sollten Kinder abgeschreckt werden, Verbotenes zu tun. Dahinter stand das Bild von einem Gott, der Angst und Schrecken einjagt. Inzwischen hat sich das Bild eines barmherzigen Gottes durchgesetzt. Während nun Gott als barmherzig gilt, werden die Verhältnisse unter den Menschen unbarmherziger – in persönlichen Beziehungen wie in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Der Ton wird unversöhnlicher, Ellbogen werden ausgefahren. Ein Grund dafür sind Sorgen um das eigene Leben, verbunden mit Ängsten angesichts all der Krisen und Kriege. Diese sind nicht mehr weit weg, sondern greifen in den Alltag ein. Gestiegene Preise für Nahrungsmittel, Wohnung und Heizung treffen vor allem Menschen mit geringem Einkommen. In der Mittelschicht breiten sich Sorgen vor sozialem Abstieg aus. Arme werden als Bedrohung für den eigenen Lebensstandard wahrgenommen und ausgegrenzt. Durchgreifen und Stärke-Zeigen erscheinen als angemessene Antwort. Wo es vor allem um die unmittelbare Sicherung des eigenen Lebens geht, geraten ökologische Fragen wie die nach der Zerstörung der Lebensgrundlagen in weite Ferne.
Auch Politiker sind ratlos. Sie erwecken aber den Eindruck, mit autoritärem Durchgreifen eine aus dem Ruder laufende Welt unter Kontrolle bringen zu können. Je prekärer die Lage, desto martialischer und platter werden die Parolen. Ausgetragen und geschürt wird ein unbarmherziger Kampf, der Menschen spaltet und verfeindet. Zulauf haben die vermeintlich Starken – sogar von Verlierern. Auch sie fühlen sich als Gewinner, wenn sie sich an die Seite der Starken phantasieren. Im zerfallenden Kapitalismus droht die Konkurrenz in einen sozialdarwinistischen Kampf aller gegen alle überzugehen. Gekämpft wird darum, wer als Starker den Kopf oben behalten kann oder wer als Schwacher auf der Strecke bleibt. Irrationale Gewaltausbrüche kommen nicht einfach von außen, sondern aus dem Innern einer zerfallenden Welt.
Die hier ausgetragenen Kämpfe sind unbarmherzig und machen unbarmherzig. Gesellschaftliche Unbarmherzigkeit hinterlässt auch in persönlichen Beziehungen ihre Spuren. Auch hier wird das Klima kälter und gereizter, das Herz hart. Auch hier gilt es, Stärke zu zeigen. Harte Männlichkeit ist wieder gefragt. Rücksicht, Einfühlsamkeit, Barmherzigkeit werden zum Zeichen der Schwäche. Es ist eine Illusion zu glauben, Unbarmherzigkeit ließe unsere Menschlichkeit unangetastet.
In Kontrast zu all dem steht die Rede von der Barmherzigkeit Gottes. In der Bibel kommt sie da ins Spiel, wo Schuld und Verstrickung in unbarmherzige Verhältnisse nicht verdrängt, sondern erkannt und bekannt werden. In unserer Lesung aus dem Buch Exodus geht es um die schwerste Schuld, die Israel begehen kann, nämlich mit seinem Gott der Befreiung zu brechen und Götzen der Macht zu folgen. Sie findet ihren Ausdruck im Bau des ‚goldenen Kalbes‘. Vor ihm haben sich die Israeliten niedergeworfen und gesagt: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben“ (Ex 32,8).
Das ‚Goldene Kalb‘ – von der hebräischen Wortbedeutung her ein Stier – ist Ausdruck der Sehnsucht nach Macht und Stärke. In ihm kommt die Erfahrung zum Ausdruck, dass auch Israel einen König wollte, der stark und mächtig ist. Es wurde aufgerüstet und militarisiert. Die Kehrseite davon waren Spaltungen in Arme und Reiche. Unbarmherzig wurde verschuldeten Armen das Land genommen, so dass sie in Schuldknechtschaft gerieten. In Israel entstanden jene Verhältnisse, unter denen die Vorfahren in Ägypten gelitten hatten. Damit war die Befreiung verraten. Verraten war der Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hatte. Gebrochen war das Versprechen, Gott die Treue zu halten und als von ihm befreites Volk in solidarischem Miteinander zu leben. Und so zerschmetterte Mose die Tafeln des Bundes, auf die Gott seine Weisungen für die Wege der Befreiung geschrieben hatte.
Dennoch findet sich Mose mit dem Scheitern des Bundes nicht ab. Stellvertretend für das Volk bekennt er die Sünde des Bundesbruchs. Er bittet Gott, er möge sein Angesicht seinem Volk wieder neu zuwenden. Und Gott zeigt sich barmherzig . Er schreibt die Tafeln des Bundes neu. Als er vor Mose vorübergeht, ruft er: „Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue“ (Ex 34,6). Als barmherzig und gnädig hatte Gott sich erweisen, als er die Schreie der in Ägypten Versklavten gehört, ihre Rechtlosigkeit, ihre Arbeitslast, ihre ganze Bedrängnis gesehen hatte. Wenn Israel Gott „die ersten Erträge von den Früchten des Landes“ (Dtn 26,2) darbringt, soll es sich daran erinnern, dass das Land dem Volk als Frucht der Befreiung geschenkt ist, damit es von seinen Früchten leben kann. Gottes Barmherzigkeit und Gnade sollen Wirklichkeit werden in einem barmherzigen Umgang untereinander und in Verhältnissen, die von Barmherzigkeit und Gnade gegenüber Armen – seien es Einheimische oder Fremde – geprägt sind.
Gottes Barmherzigkeit und Gnade gelten auch und gerade dann, wenn Israel so schwer in die Irre gegangen ist, dass es mit seinem Gott gebrochen hat. Auch jetzt gilt „seine Huld und Treue“ (Ex 34,6). Sein langmütiges Auge fahndet nicht nach Sündern, sondern sucht die Verlorenen. „Wende uns dein Angesicht wieder zu. Dann ist uns geholfen!“ schreit Israel jetzt zu seinem Gott. Er soll mit ansehen wie Israel in seiner Schuld gefangen ist und nicht mehr ein noch aus weiß. Israel preist ihn als denjenigen, „der all deine Schuld vergibt und all deine Gebrechen heilt, der dein Leben vor dem Untergang rettet und dich mit Huld und Erbarmen krönt“ (Ps 103,4). Dennoch kann er die Schuld nicht einfach wegzaubern. Falsche Wege, die die Vorfahren eingeschlagen haben, zeitigen Folgen, die kommende Genrationen zu tragen haben. Entscheidend aber ist, dass Israel diese falschen Wege erkennt und korrigiert. Als zentrale Kriterien der Korrektur nennt Jesaja: „die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, … dem Hungrigen dein Brot zu brechen, … Arme … aufzunehmen“ (Jes 58,6f). Wenn das geschieht, dann leuchtet Gottes Angesicht über seinem Volk. Sein Licht durchbricht die Finsternis der Verstrickungen und rückt die Wege der Befreiung wieder in den Blick.
Wie Israel der Gefahr ausgesetzt war, sich von Glanz und Stärke des ‚Goldenen Kalbes‘ blenden zu lassen, so ist Jesus der Versuchung ausgesetzt, sich vom Glanz des römischen Imperiums vereinnahmen zu lassen. Er wehrt die Versuchung ab, auf römische „Macht und Herrlichkeit“ (Lk 4,9) zu setzen. Hunger kann nicht in einer Demonstration der Macht gleichsam durch die Verwandlung von Steinen in Brot weggezaubert werden. Jesus weiß, dass die Tora das Brot ist, von dem Israel lebt. Eine angemessene Antwort auf Hunger und Verelendung sind nicht ‚Brot und Spiele‘ oder gelegentliche Armenspeisungen. Die Tora als Gottes Wort weist Wege, wie Gottes Volk so zusammenleben kann, dass niemand hungern muss. Deshalb geht Jesus vor der Macht Roms nicht in die Knie wie es die Wüstengeneration vor dem ‚Goldenen Kalb‘ getan hatte. Er hält sich an die befreiende Kraft von Gottes Wort.
Wir hören diese Texte am Beginn der Fastenzeit – inmitten von Verhältnissen, die Menschen unbarmherzig und zu Feinden werden lassen. Das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit ermutigt dazu, die Gewissen in kritischem Nachdenken zu erforschen, falsche Wege zu erkennen und zu bekennen. Gewissen – das hat uns Thomas von Aquin gelehrt – hat mit Wissen zu tun. Nichts-Gewusst zu haben, lässt er als allgemeingültige Entschuldigung nicht durchgehen. Menschen können sich darum bemühen zu wissen, was geschieht. Heute können sie erkennen, dass unsere Gesellschaft im Bann eines ‚goldenen Kalbes‘ steht, das Kapitalismus heißt. Kein geringerer als Papst Franziskus hat seiner Kirche die Auseinandersetzung damit ans Herz gelegt.
Viele schrecken davor zurück, das ‚goldene Kalb‘ unserer Gesellschaft beim Namen zu nennen – selbst in seiner Zeit, in der es seinen Glanz verliert und von einer Krise in die nächste taumelt und dabei die Verhältnisse wie die Herzen der Menschen unbarmherzig werden lässt. Das heutige ‚goldene Kalb‘ zu benennen, löst Ängste aus und kann Feindschaften nach sich ziehen. Deshalb brauchen wir ein gemeinsames Ringen, um zu erkennen, wie dieses ‚goldene Kalb‘ Gedanken, Worte und Werke von Menschen prägt und wie sie von ihm loskommen können. Kraft dazu gibt das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, sein Versprechen, Menschen zusammenzuführen auf Wegen der Befreiung. Gott traut Menschen Umkehr und Menschlichkeit zu. Dazu will er sie aufrichten, ihnen sein Angesicht zuwenden. Denen, die umkehren, ist „ein neues Herz und ein neuer Geist“ (Ez 18,31) versprochen. Sie geben die Kraft, Götzen zu erkennen und zu benennen, die Herz und Verstand versteinern und unbarmherzig werden lassen. In der Erkenntnis und im Bekenntnis von Irrwegen öffnet sich der Blick wieder für Gottes Wege zu einem barmherzigen Miteinander aller Menschengeschwister, hin auf Ostern, das Fest der Versöhnung und des neuen Anfangs.
Fürbitten:
Barmherziger Gott, wir gehen in die Irre, wenn wir Unarmherzigkeit dulden und unbarmherzig miteinander umgehen. Wir bitten dich:
Für Menschen, die Opfer von Kriegen und der Zerstörung der Lebensgrundlagen werden, für Menschen, die in den Armutsregionen der Erde leben müssen, für alle die hungern und an Seuchen und Pandemien leiden, für Kinder, die ohne Perspektive aufwachsen, für alle, die verweigerter Hilfe zum Opfer fallen:
um Aufmerksamkeit und Barmherzigkeit, um Solidarität und um Protest, um Umkehr weltweit, um ein neues Herz und einen neuen Geist
Barmherziger Gott, …
Für Fliehende, die als Feinde angesehen werden, für alle, die auf unbarmherzig geschlossene Grenzen stoßen, für diejenigen, die herz- und gedankenlos in Terrorregime abgeschoben und in der Wüste ausgesetzt werden:
um Barmherzigkeit und kritisches Nachdenken, um Umkehr weltweit, um ein neues Herz und einen neuen Geist
Barmherziger Gott, …
Für diejenigen, die in unserer Gesellschaft arm sind, für alle, die in ihrer Armut allein gelassen und diskriminiert werden:
um Menschen, die sich an ihre Seite stellen, um Aufmerksamkeit und Barmherzigkeit, um Umkehr weltweit, um ein neues Herz und einen neuen Geist
Barmherziger Gott, …
Für die Juden, die von Vernichtung bedroht sind, für diejenigen, die sich vor der Öffentlichkeit scheuen, weil sie Angst vor Angriffen und Diskriminierung haben, für alle, die unter Antisemitismus zu leiden haben:
um Menschen, die sich dem Antisemitismus entgegen und an Juden an die Seite stellen, um Empfindsamkeit für das, was Juden zu erleiden haben, um Umkehr weltweit, um ein neues Herz und einen neuen Geist
Barmherziger Gott, …
Für diejenigen, die Opfer von Gewalttaten werden, für alle, die Hass und Feindschaft ausgesetzt sind, für die Opfer eines gnadenlosen Konkurrenzkampfes:
um Empathie und ein kritisches Nachdenken über die Ursachen von Gewalt und Verfeindung, um um Umkehr weltweit, um ein neues Herz und einen neuen Geist
Barmherziger Gott, …
Für alle, die in ihren Ängsten und Sorgen hartherzig geworden sind, für diejenigen, die angesichts einer zerfallenden Welt auf gnadenlose Selbstbehauptung, auf Macht und Stärke setzen:
um Barmherzigkeit und Weitung des Blicks, um Umkehr weltweit, um ein neues Herz und einen neuen Geist
Barmherziger Gott, …
Für alle, die sich auf Ostern vorbereiten:
um die Gnade der Umkehr, um ein neues Herz und einen neuen Geist, um die versöhnende Begegnung mit dem Auferstandenen
Barmherziger Gott, …
Für alle, die einen vorzeitigen Tod sterben mussten und für die Verstorbenen in unserer Nähe, für die Verstorbenen, an die niemand mehr denkt:
um Leben aus der Fülle deiner Barmherzigkeit, um einen Platz in deinem Reich und seiner Gerechtigkeit
Barmherziger Gott, …
Um all das bitten wir im Vertrauen auf deine Barmherzigkeit und Treue.
Herbert Böttcher