2. Adventssonntag 2024 – Predigt zu Lk 3,1-6

Lk 3,1-6

1 Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; 2 Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias. 3 Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, 4 wie im Buch der Reden des Propheten Jesaja geschrieben steht: Stimme eines Rufers in der Wüste: / Bereitet den Weg des Herrn! / Macht gerade seine Straßen! 5 Jede Schlucht soll aufgefüllt / und jeder Berg und Hügel abgetragen werden. Was krumm ist, soll gerade, / was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. 6 Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.

Unser Evangelium konfrontiert uns mit Johannes dem Täufer. Er wird als Gegenpol zu den genannten politischen und religiösen Autoritäten eingeführt. Er verkündet Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden. Wer umkehrt, passt sich nicht an – weder den Herren noch den Verhältnissen. Wer umkehrt, sucht einen neuen Weg. Die Umkehr, die Johannes predigt, ist nicht ein moralisches Programm, das man absolvieren muss. Es beinhaltet vielmehr, dem Herrn den Weg zu bereiten. Damit geht es nicht um eine Soll-Erfüllung, sondern um eine Hoffnung, die befreit und auf den Weg bringt. Advent heißt: Gott kommt uns entgegen. Und wir brechen auf – ihm entgegen. Gott selbst, so die Erwartung, wird einen neuen Anfang machen. Auf diesen neuen Anfang sollen sich die Menschen vorbereiten. Sie sollen, wie Johannes sagt, dem Herrn den Weg bereiten, bei der Errichtung seiner Herrschaft helfen.

Ein Wort des Propheten Jesaja an die Gefangenen in Babylon: In der Zeit des Exils geschieht Umkehr. Das Volk denkt über seine falschen Wege in der Geschichte nach. Es erinnert sich an die Kritik der Propheten, die nicht aufgehört, die Spaltung der Geschichte in arm und reich, Machtmissbrauch und Rechtsbeugung der herrschenden Cliquen sowie die Großmachtträume der Könige zu kritisieren. Immer wieder hatten sie davor gewarnt, den Glauben an den Befreiergott für ihre Politik zu missbrauchen. In dieser kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, die ins Bekennen der Schuld mündet, wächst die Hoffnung, dass Gott einen neuen Anfang möglich macht. Dies geht aber nur, wenn die alten mit der Befreiung aus Ägypten verbundenen Haltungen und Zielsetzungen wieder zur Geltung kommen. Gott hatte sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreit, damit es als freies Volk lebe, in dem statt der Gesetze der Spaltung und Unterdrückung die Gesetze der Gerechtigkeit und Solidarität herrschen. Die Erkenntnis wuchs, dahin gilt es zurückzukehren. So kann das Volk dem Herrn den Weg bereiten – in der Hoffnung, dass er sein Volk wie damals aus Ägypten so auch aus Babylon herausführe.

Das Leitmotiv „Bereitet dem Herrn“ greift auf etwas zurück, was die Israeliten in Babylon erlebt und was sie mächtig beeindruckt hatte. Es gab riesige Götterprozessionen durch die Prachtstraßen Babylons. Diesen ging ein Herold voraus mit der Aufforderung, den Göttern den Weg zu bereiten. Gegenüber dieser Pracht zeichnete sich der Gott der Israeliten recht klein und ohnmächtig aus. Nicht den Prachtgöttern Babylons, sondern dem befreienden Gott Israels soll nun der Weg bereitet werden. Dessen Herrlichkeit zeigt sich nicht in triumphalen Umzügen mit selbstgemachten Gottesbildern, sondern in der Geschichte des Alltags, der Befreiung aus Knechtschaft. Gottes Herrschaft zeigt sich in der Befreiung seines erniedrigten Volkes. Gott wird sein erniedrigtes Volk aufrichten und in die Heimat führen. Statt gebannt auf die Machtentfaltung zu starren, sollen sich die Israeliten auf die Wege ihres Gottes ausrichten, des Gottes, der die Schreie der Unterdrückten hört und sie befreien will. Dies gibt Hoffnung und Kraft, sich erneut in die Freiheit führen zu lassen.

Die Botschaft des Johannes ist dann: So wie Gott damals gekommen ist, so wird er auch heute kommen. Bereitet ihm den Weg. Nur wenn Gott allein herrscht – und nicht mehr neben und mit ihm andere Herren – gibt es eine Chance auf Rettung, können Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Menschlichkeit verwirklicht werden. So richtet sich die alttestamentliche Hoffnung – und das ist die Hoffnung der Gemeinde Jesu – darauf, dass Gott zur Herrschaft kommt, dass er sein Reich in dieser Welt durchsetzt. Gott selbst, seinem Reich und seiner Gerechtigkeit sollen die Menschen die Wege bereiten.

So geht es an Weihnachten weniger um das Kind als um den erwachsenen Messias, in dem Gott sein Reich und die Menschen miteinander verbindet. Die Weihnachtserzählung ist alles andere als eine erbauliche Idylle. Sie will zeigen, was den erwachsenen Jesus charakterisiert, was ihn am Anfang seines Lebens schon auszeichnet. Fehlende Herberge und Stall für Jesu Leben als Armer an der Seite der Armen, die Krippe aus Holz steht für sein Ende am Holz des Kreuzes. Mit der Geburt des Messias Jesu beginnt Gott das durchzuführen, was die schwangere Maria besungen hat. „Er stürzt den mächtigen Augustus vom Thron und erhöht den erniedrigten Jesus“. Dieser Erniedrigte ist der Herr und nicht Augustus, der das für sich beansprucht. Jesus bringt auf die Welt, was Augustus beansprucht zu bringen, aber nicht bringt: Friede auf Erden.

Es geht hierbei nicht um ein bisschen Optimismus, es geht um einen Glauben an Gottes Verheißung, damit wir eine neue Sicht auf Leben und Geschichte der Menschheit bekommen, um uns gemeinsam auf den Weg zu machen. Wenn dieser Glaube erlischt, ist alles erloschen. Wenn diese Hoffnung sich erneuert, ist die Welt noch nicht verändert, aber wir können erste Schritte tun, damit Gott alles vollenden kann. In diesem Glauben will uns der Advent einüben.

„Dem Herrn den Weg bereiten“ könnte für uns heute bedeuten, uns mit dem Gott unserer jüdisch-christlichen Tradition zu befassen. Sich damit auseinanderzusetzen, wer dieser Gott ist, der sich in der Geschichte Israels, im Leben Jesu und der Urgemeinde offenbart hat. Dann werden wir feststellen, die biblische Rede von Gott lässt sich nicht so einfach für privates Glück und dessen Kehrseite – das Vergessen der Unglücklichen – instrumentalisieren. Die biblischen Glücksverheißungen gelten gerade den Unglücklichen, denen, die in Ägypten, in Babylon und unter der Herrschaft Roms nach Rettung und Befreiung schreien. Die Bibel erzählt von Gottes Namen, von seinem Versprechen: Wege der Befreiung aus Unrecht und Leid mitzugehen, zu erlösen. Sie erzählt von Jesus von Nazareth, dessen Leidenschaft für das Leben ihn in die Passion führte, sie erzählt von seiner Auferstehung, vom Aufstehen derer, die ihm nachfolgen, aufrecht und unangepasst, voller Hoffnung auf Gottes neue Welt.

Wer von Gott spricht, muss die Wirklichkeit ernst nehmen, vor allem die Leidensgeschichte der Menschen. Mit dem Rücken zu den Gequälten, den Gefangenen ist Gott nicht zu finden.

Wer von Gott spricht, muss dies in Ehrfurcht vor dem unverfügbaren Mysterium Gottes tun. Die Rede von Gott ist verwurzelt im Schrei der Menschen nach Rettung. In der Hoffnung, dass Gott in der Auferstehung der Toten und im Leben der zukünftigen Welt die Verheißungen wahrmacht, die mit seinem Leben verbunden sind: Befreiung, Leben in Fülle.

Wer von Gott spricht, muss von universaler Gerechtigkeit und Solidarität sprechen. Mit Gott ist das Recht auf Leben und Anerkennung aller Menschen verbunden. Wenn Gott Vater aller Menschen ist, stehen sich die Menschen nicht vereinzelt als konkurrierende Individuen gegenüber, sondern in Verbundenheit und Geschwisterlichkeit aller Menschen.

Advent heißt also: Ausschau halten nach Gottes Reich mitten unter uns, sich nicht dieser Welt anpassen, sondern sie zu verändern auf Gott hin.

Paul Freyaldenhoven, Kapelle des Heinrichhauses der Josefs-Gesellschaft in Neuwied-Engers, 7./8.12.24