Gedanken zum Gedenken – Erinnerung an rechtsextreme Morde als Unterbrechung

Gedanken zum Gedenken: Erinnerung an rechtsextreme Morde als Unterbrechung

 Auch in diesem Jahr erinnern wir am 24.8. an Frank Bönisch. Seiner gedenken alte Weggefährt*innen und darüber hinaus diejenigen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Jener Augusttag 1992, als Frank Bönisch auf dem Koblenzer Zentralplatz von einem Neonazi ermordet und sieben weitere Menschen angeschossen wurden, war für die „Initiative Kein Vergessen“ Anlass, seit 2011 eine jährliche öffentliche Erinnerung zu gestalten.

Jede Erinnerung ist mit einem Zeitvermerk verbunden. Die Ermordung von Frank Bönisch fiel in die frühen 1990er Jahre. Es war eine Zeit, in der rechtsextreme Gewalt auf den Straßen eskalierte. Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen, Mölln und eben auch Koblenz waren Orte dieser Gewalt. Parallel dazu wurde der sog. Asylkompromiss mit einer Verfassungsänderung des Grundrechts auf Asyl von einer 2/3-Mehrheit des gesamtdeutschen Bundestages durchgesetzt begleitet von einer Hetze gegenüber Migrant*innen wie auch gegen Menschen, denen Sozialmissbrauch vorgeworfen wurde. Das Agieren derer, die diesen Kompromiss demokratisch durchgesetzt haben, hat die rechtsextreme Gewalt befeuert.

Ähnlichkeiten zu heute sind unverkennbar: Da ist der EU-Asylkompromiss von 2023. Er beinhaltet, dass Flüchtende weitestgehend außerhalb der EU regelrecht abzufangen sind und in möglichst vielen Fällen kein Asyl gewährt werden soll. Während die Dramatik der Fluchtbewegung – vor allem aufgrund der Zerstörung der Lebensgrundlagen durch Armut, Kriege und Klimawandel – zunimmt, wird die Seenotrettung von Flüchtenden kriminalisiert. Die vielen rassistischen und antisemitischen Gewalttaten der letzten zwei Jahrzehnte – Kassel, Köln, Hanau, Halle… – erscheinen ebenfalls geradezu als Abbild der ersten Hälfte der 1990er Jahre.

Allerdings haben sich die heutigen gesellschaftlichen Konstellationen noch einmal verschärft: Die sog. Vielfachkrise ist dramatisch fortgeschritten. Sie führt zu immer größerem politisch-ökonomischem, aber auch individuellem Kontrollverlust. Biographien können weniger gestaltet werden, Unsicherheiten nehmen zu und Schuldige dafür werden gesucht. Zu den Krisen des Kapitalismus gehört eine projektive Krisenverarbeitung. Dabei werden Krisen auf ‚die Juden‘ als Herren des Geldes und des Geistes projiziert, aktuell im Hass auf Israel als ‚dem Juden’ unter den Staaten. Zugleich richtet sich der Hass auf Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem wenn sie muslimischer Religion zugehörig sind, und auch wieder einmal gegen diejenigen, die sich angeblich der Pflicht zur Arbeit verweigern und vermeintlich die Gemeinschaft durch missbräuchlichen Bezug sozialer Leistungen schädigen.

Die Krisen gehen mit dem Verlust von Kontrolle einher. Kontrolle aber soll durch eine menschenfeindliche Migrationspolitik, den Abbau sozialer Standards, ein zunehmend autoritäres Gebaren bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber der Krise des Kapitalismus als Hintergrund der sozial-ökonomischen, politischen und ökologischen Vielfachkrisen wiederhergestellt werden. Geträumt wird von einer kapitalistischen Normalität, die nicht mehr zu halten ist. Vor allem die AfD konnte sich als politisches Sammelbecken all derer formieren, die von der kapitalistischen Normalität träumen. Ihre Erfolge feiert sie aber nicht aufgrund rechtsextremer Splitter- und Schlägergruppen, sondern dadurch, dass rassistisches, antisemitisches, antiziganistisches und sexistisches Denken als Anker in einer unkontrollierbaren Weltkrise sich in der Mitte der Gesellschaft festgesetzt hat. Dem kommen auch die demokratischen Parteien entgegen, die in ihrer Politik identitär-autoritärem Denken zum Recht verhelfen.

Auf den ‚Zeitvermerk‘ des Denkens und des Ge-denkens hat der jüdischstämmige Philosoph und Gesellschaftskritiker Walter Benjamin bestanden. Gedenken versteht er als Unterbrechung der gleichförmig dahinfließenden Zeit: „Dass alles so weitergeht, ist die Katastrophe“, formuliert er. Daher wird Unterbrechung zu einer Frage des Überlebens in der Gegenwart. Zugleich ist sie eine Frage der Treue und Solidarität mit den Opfern von Unrecht und Gewalt in der Vergangenheit. Solches Eingedenken wäre ein ruheloser Widerspruch gegen den Bann einer angepassten und apathischen Erwartungslosigkeit, die der Geschichte der Sieger resigniert ihren vernichtenden Lauf lässt. Es wäre Einspruch und Widerspruch zu den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen, die in die Leere des Nichts und damit auf Vernichtung zulaufen, weil die Vermehrung des Kapitals als abstrakter Selbstzweck dieser gesellschaftlichen Verhältnisse immanent-kapitalistisch nicht zu überwinden ist.

Gedenken wäre dann ein subversives Gedächtnis, das die Gegenwart nicht identitär bestätigt, sondern herausfordert und in Frage stellt: Es verbindet sich heute mit einer kritischen Reflexion der Fetischverhältnisse kapitalistischer Normalität, eben der Normalität der Fetischformen Arbeit, Geld, Staat einhergehend mit sozialdarwinistischer Ausgrenzung samt Über- und Unterordnung von Geschlechtern, Nationen oder gar ‚Rassen’… Dieses widerständige Erinnern schließt dabei das Vermissen all dessen ein, was unter den Trümmern der Geschichte begraben ist, die Opfer von Unrecht und Gewalt mit ihren uneingelösten Hoffnungen.

Dominic Kloos

Beitrag zur Gedenkveranstaltung am 24.08.2024 der Initiative Kein Vergessen Koblenz