Wie wir den Kapitalismus abwickeln können – eine kinderschwere Frage
Frei nach dem positivistischen Denken Auguste Comtes stellt sich die Menschheit im ‚Mannesalter ihres Geistes’ bestimmte Fragen nicht mehr, sondern tabuisiert sie. Das gilt heute für die Frage nach der Überwindung des Kapitalismus. Auch Kirchen, soziale Bewegungen und vermeintliche KapitalismuskritikerInnen nehmen die Frage nach der Überwindung des Kapitalismus nicht ernst, wenn sie höchstens vereinzelte Kategorien oder gar nur Phänomene kritisieren. So bleibt es bei der Kritik von Wachstum, Konkurrenz, Klimawandel, prekären Arbeitsbedingungen während andere Kategorien (wie Staat, Arbeit) gar beibehalten oder ohne Kritik der gesamten Fetischform nur umgeformt werden sollen. Wenn die Kategorien des Ganzen des Fetischzusammenhangs weder tabuisiert noch ontologisiert, sondern infragegestellt und der patriarchale Kapitalismus als globale negative Totalität begriffen würde, dann wäre die Absurdität der Welt und die Notwendigkeit einer Abwicklung des Kapitalismus offensichtlich.
So könnte auch die kinderschwere Frage nach der Überwindung des zerstörerischen Mannesalters der Menschheit geradezu kinderleicht mit den Worten von Robert Kurz aus dem „Schwarzbuch Kapitalismus“ beantwortet werden:
„Die Aufgaben, die gelöst werden müssen, sind von geradezu ergreifender Schlichtheit. Es geht erstens darum, die real und in überreichem Maße vorhandenen Ressourcen an Naturstoffen, Betriebsmitteln und nicht zuletzt menschlichen Fähigkeiten so einzusetzen, dass allen Menschen ein gutes, genussvolles Leben frei von Armut und Hunger gewährleistet wird. Unnötig der Hinweis, dass dies längst mit Leichtigkeit möglich wäre, würde die Organisationsform der Gesellschaft diesen elementaren Anspruch nicht systematisch verhindern. Zweitens gilt es, die katastrophale Fehlleitung der Ressourcen, soweit sie überhaupt kapitalistisch mobilisiert werden, in sinnlose Pyramidenprojekte und Zerstörungsproduktionen zu stoppen. Unnötig zu sagen, dass auch diese ebenso offensichtliche wie gemeingefährliche ‚Fehlallokation’ durch nichts anderes als die herrschende Gesellschaftsordnung verursacht ist. Und drittens schließlich ist es erst recht von elementarem Interesse, den durch die Produktivkräfte der Mikroelektronik gewaltig angeschwollenen gesellschaftlichen Zeitfonds in eine ebenso große Muße für alle zu übersetzen statt in ‚Massenarbeitslosigkeit’ einerseits und verschärfte Arbeitshetze andererseits.
Es hat die Züge eines verrückten Märchens, in dem das Absurde normal und das Selbstverständliche ganz unverständlich erscheint, dass das, was offen auf der Hand liegt und eigentlich gar nicht erwähnt zu werden braucht, im gesellschaftlichen Bewusstsein vollständig verdrängt worden ist, als wäre darüber ein Zauberbann ausgesprochen worden. Trotz der geradezu schreiend evidenten Tatsache, dass ein auch nur einigermaßen sinnvoller Einsatz der gemeinsamen Ressourcen mit der kapitalistischen Form völlig unvereinbar ist, werden nur noch ‚Konzepte’ und Vorgehensweisen diskutiert, die genau diese Form voraussetzen.“
„Seid wachsam!“ (Mt 24,13) ist die Botschaft des Ersten Sonntags im Advent. Es gilt aufzuwachen aus dem Zauberbann der Illusion, dass alles immer so weiter seinen Gang geht – wie „in jenen Jahren“ des Noach, „bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte“ (Mt 24,39). Dass möglichst viele aufwachen und die Notwendigkeit erkennen, den Kapitalismus abzuwickeln, bevor die Fluten der Krise noch mehr Menschen in den Abgrund reißen, ist unser Wunsch zum diesjährigen Advent.
Vorstand und Geschäftsführung des Ökumenischen Netzes