Jer 14,1-16
1 Ein Wort des HERRN, das an Jeremia erging wegen der großen Dürre: 2 Juda ist ausgedörrt; / seine Tore verfallen, sie sinken trauernd zu Boden / und Jerusalems Klageschrei steigt empor. 3 Die Vornehmen schicken ihre Diener nach Wasser; / sie kommen zu den Zisternen, / finden aber kein Wasser; sie kehren mit leeren Krügen zurück. / Sie sind bestürzt und enttäuscht / und verhüllen ihr Haupt. 4 Um den Ackerboden voller Risse sind die Bauern besorgt; / denn es fiel kein Regen im Land. Sie sind bestürzt / und verhüllen ihr Haupt. 5 Die Hirschkuh gebiert auf dem Feld / und lässt ihr Junges im Stich, / weil kein Grün mehr da ist. 6 Die Wildesel stehen auf den kahlen Höhen; / sie schnappen nach Luft wie Schakale. Ihre Augen erlöschen; / denn nirgends ist Gras. 7 Wenn unsre Sünden uns anklagen, / handle um deines Namens willen, o HERR! Ja, groß ist unsere Abtrünnigkeit; / gegen dich haben wir gesündigt. 8 Du, Israels Hoffnung, / sein Retter zur Zeit der Not, warum bist du wie ein Fremder im Land / und wie ein Wanderer, der nur über Nacht einkehrt? 9 Warum bist du wie ein ratloser Mann, / wie ein Held, der nicht zu retten vermag? Du bist doch in unsrer Mitte, HERR, / und dein Name ist über uns ausgerufen. / Verlass uns nicht! 10 So spricht der HERR von diesem Volk: Hin und her zu schweifen, das lieben sie; ihren Füßen gönnen sie keine Ruhe. Doch der HERR hat kein Gefallen an ihnen. Jetzt denkt er an ihre Schuld und sucht ihre Sünden heim. 11 Und der HERR sprach zu mir: Bete nicht um das Wohlergehen dieses Volkes! 12 Auch wenn sie fasten, höre ich nicht auf ihr Flehen; wenn sie Brandopfer und Speiseopfer darbringen, habe ich kein Gefallen an ihnen. Durch Schwert, Hunger und Pest mache ich ihnen ein Ende. 13 Da sagte ich: Ach, Herr und GOTT, die Propheten sagen doch zu ihnen: Ihr werdet das Schwert nicht sehen, der Hunger wird nicht über euch kommen, sondern beständiges Heil gewähre ich euch an diesem Ort. 14 Aber der HERR erwiderte mir: Lüge prophezeien die Propheten in meinem Namen. Ich habe sie weder gesandt noch beauftragt, ich habe nicht zu ihnen gesprochen. Erlogene Visionen, nichtige Wahrsagerei und selbst erdachten Betrug prophezeien sie euch. 15 Darum spreche ich, der HERR, so gegen die Propheten, die in meinem Namen prophezeien, obwohl ich sie nicht gesandt habe, und die behaupten, Schwert und Hunger werde es nicht geben in diesem Land: Durch Schwert und Hunger werden diese Propheten ihr Ende finden. 16 Die Leute aber, denen sie prophezeien, werden auf den Straßen Jerusalems liegen, hingestreckt durch Hunger und Schwert. Niemand wird sie begraben, weder die Männer noch die Frauen, die Söhne oder die Töchter. So gieße ich ihre eigene Bosheit über sie aus.
Den Text aus dem Buch Jeremia lesen wir in einer Situation, in der mit dem Krieg gegen die Ukraine die mit dem Kapitalismus verbundenen Krisen eskalieren. Um es vorweg zu sagen: Unmittelbar von Bosheit zu sprechen – wie es das Zitat aus Jeremia nahe zu legen scheint – ist in unserer Situation nicht angemessen. Was vor allem über die Opfer der Krisen des Kapitalismus ausgegossen wird, ist nicht einfach an Einzeltaten identifizierte Bosheit, sondern eine strukturelle Bosheit bzw. Sünde, die im Handeln der Akteure zur Geltung kommt.
Das Wirken Jeremias
Jeremias Wirken gehört in die letzten Jahrzehnte vor der Eroberung Judas samt der Zerstörung Jerusalems und der Verschleppung der führenden Schichten nach Babylon (587/586 v. Chr.). Jeremia gehört zu den schärfsten Kritikern des Konglomerats von König, Oberschicht und Priesterschaft, aber auch von Teilen des Volkes. Angesichts der Bedrohung durch Babylon wendet er sich in aller Schärfe gegen die trügerischen Heilsgewissheiten, die mit dem Tempel als unantastbaren und unverwundbaren Wohnort Gottes verbunden sind. Vor allem in seiner Tempelrede (Jer 7,1-15) stellt er heraus, dass die Berufung auf die Nähe Gottes und sein Heil bedeutungslos sind. Sie sind wertlos, wenn die Realität des Zusammenlebens durch Ausbeutung der Armen, durch Unterdrückung und das Beugen der Tora geprägt ist. Israels Gott der Befreiung kann nicht inmitten eines Volkes wohnen, das ihn zwar in einem leeren Kult verehrt, aber real den Götzen von Herrschaft und Unterdrückung folgt. In diesen Zusammenhang gehört auch Jesu Rede von einem Tempel, der zur „Räuberhöhle“ gemacht wurde (Mk 11,17; Mt 21,13; Lk 19,46). Sie greift auf Jeremias Tempelrede zurück, in der es heißt: „Ihr kommt in mein Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, und sagt: Wir sind geborgen!, um dann weiter all jene Greuel zu treiben. Ist denn dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, in euren Augen eine Räuberhöhle geworden?“ (Jer 7, 10f.).
Es könnte sein, dass unser Text (Jer 14,1-16) auf den Kult zurück geht. An Tempeln in Israel gab es „angestellte Kultpropheten, die z.B. die Aufgabe hatten, bei nationalen Klagefeiern dem Volk eine heilvolle Zukunft zu versichern. D.h. auch in Israel war die Prophetie zum größten Teil staatlich oder kultisch institutionalisiert und hatte als solche überwiegend gesellschaftsstabilisierende Funktionen.“1 Der erste Teil des Textes bringt die Klage über die Notlage einer „großen Dürre“ zum Ausdruck (VV. 1-6). Sie hat Hunger zur Folge, denn der Boden kann nicht mehr bebaut werden. Es gibt keinen Zugang mehr zum Wasser. Selbst die Begüterten, die ihre Diener zu fernen Brunnen schicken können, stehen vor „leeren Krügen“ (Jer 14,3), wenn diese zurück kehren. Im Bild der Dürre spiegelt sich die desolate und ausweglose gesellschaftliche Situation. „Ich schaute die Erde an: Sie war wüst und wirr. Ich schaute zum Himmel: Er war ohne sein Licht“ heißt es in Jer 4,23. Gottes Schöpfung als Raum des Lebens wird in einen finsteren Ort der Zerstörung verwandelt.
Diese Situation findet ihren Ausdruck in der Gott durch den Mund des Propheten vorgetragenen Klage. Sie mündet ein in das Eingeständnis der „Sünden“, die als „Abtrünnigkeit“ gegenüber Gott gedeutet werden; denn „gegen dich haben wir gesündigt“ (Jer 14,7). Für Jeremia besteht diese „Abtrünnigkeit“ darin, dass die Sünder nicht dem Gott der Befreiung, sondern Götzen der Macht und Unterdrückung gefolgt sind. Sie haben nicht Gott und das Leben, sondern Zerstörung und Tod gewählt2. Modern gesprochen: aufgrund ihrer Entscheidung haben sie sich in Fetischverhältnisse verstrickt, die nun Macht über sie gewonnen haben. Daraus ist schwer heraus zu kommen.
In der ausweglosen Situation wird nun Gott als Retter und Befreier angerufen (Jer 14,7-9). Beklagt wird seine Abwesenheit. Er scheint „wie ein fremder im Land“, der das Land nur für ein Nachtlager nutzt (Jer 14,8), wie „ein ratloser Mann“, wie ein vermeintlicher „Held“, der aber „nicht zu retten vermag“ (Jer 14,9). Am Ende wird Gott bei seinem Versprechen der Treue gegenüber seinem Volk und dem Versprechen seiner Nähe im Tempel haftbar gemacht: „Du bist doch in unserer Mitte, HERR, und dein Name ist über uns ausgerufen. Verlass uns nicht!“ (Jer 14,9).
Auf diese Klage hat der Prophet dem Volk Gottes Antwort zu verkünden. Sie unterscheidet sich grundlegend von den Antworten, die von den „angestellten Kultpropheten“3 gegeben werden. Sie reden ‚positiv‘ und heilsgewiss – auch wenn die Situation und das Nachdenken über die Traditionen der Befreiung etwas anderes nahelegen. Aber davon – so Jeremia – hat sich Juda schon längst verabschiedet. Der Kult und der Tempel als Ort, an dem Gott inmitten seines Volkes wohnt, ist längst verkehrt, pervertiert zu einem Ort, der nicht mehr für den Gott der Befreiung, sondern für die Legitimation von Götzen der Unterdrückung steht. Er hat „gesellschaftsstabilisierende Funktionen“4
übernommen. Den im Namen des pervertierten Tempels sprechenden Propheten wirft Jeremia vor: „Den Zusammenbruch der Tochter, meines Volkes, möchten sie heilen, indem sie sagen: Friede, Friede! Doch da ist kein Friede. Schämen müssten sie sich, weil sie Greuel verüben. Doch sie schämen sich nicht; Scham ist ihnen unbekannt“ (Jer 8,11f.).
Jeremia hat keine andere Wahl, als den Untergang in der Eroberung Judas, die Zerstörung Jerusalems und die Verschleppung nach Babylon anzusagen. Der Grund dafür ist, dass die Beteuerungen der Schuld dadurch konterkariert und dementiert werden, dass sie es lieben, „hin und her zu schweifen“ und „ihren Füßen dabei keine Ruhe gönnen“ (Jer 14,10). Gemeint ist das „Hin und Her“ zwischen Israels Gott der Befreiung und den Götzen, die Herrschaft und ihre Kehrseite, die Unterdrückung legitimieren. Dabei kann es für Israel nur eines geben: das Bekenntnis, dass Israels Gott der Befreiung „einzig“ und ihm „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ die Treue zu halten ist (Dtn 6,4f.). Da ist kein Platz mehr für Herren und Herrschaften und kein Raum mehr für Fetischverhältnisse. Wo in Israel den Götzen der Herrschaft immer wieder ein Platz eingeräumt wird, wo mit Fetischverhältnissen nicht gebrochen wird, ist der Weg in Katastrophen gebahnt und vorgezeichnet. Da stößt scheinbar auch Gott auf seine Grenzen. Hier kann kein Gott mehr retten – weder ein ‚höheres Wesen‘ noch der Gott der Befreiung. Da helfen keine Gebete für „das Wohlergehen des Volkes“, kein „Fasten“ und „Flehen“, keine „Brandopfer und Speiseopfer“ (Jer 14,11f.) – und erst recht nicht die Schönredereien und positiven Versicherungen der Kultpropheten. Die zerstörende Macht der Götzen bzw. der Fetischverhältnisse dementieren mit dem Unheil und den Katastrophen, die sie mit sich bringen, ihr Schönreden der Verhältnisse und entlarven sie als Lügen.
„So gieße ich ihre eigene Bosheit über sie aus“ (Jer 14,16). Das ist die Botschaft, die der immer einsamer werdende Prophet Jeremia zu verkünden hat. Diese Botschaft darf nicht im Sinne eines in falscher Unmittelbarkeit strafenden Gottes missverstanden werden. Sie muss verstanden werden als Ausdruck des Ernstes der Lage. Auf die aktuelle Situation hin ausgelegt: Das „Hin und Her“ zwischen Gott und Götzen, zwischen ‚ein bisschen Frieden‘ und Freiheit für wenige und der einbrechenden und damit um so zerstörerischen, weil immer weniger regulierbaren Herrschaft des Kapitalfetischs – unter diesen Verhältnissen kann es keine rettende Perspektive geben. Das ist nicht Ausdruck infantiler Rückkehr zu einem ‚strafenden Gott‘, sondern Ausdruck einer nüchternen Betrachtung der Fetischverhältnisse. Der Bruch mit ihnen aber – daran erinnern die biblischen Traditionen von Israels Gott der Befreiung – kann Horizonte der Befreiung, Wege aus diesen Verhältnissen eröffnen.
Und dennoch ist Jeremia nicht die ganze Bibel…
Jeremia kann uns nachdrücklich einschärfen, dass Fetischverhältnisse katastrophische Folgen nach sich ziehen. Dafür haben Menschen in dem Sinn Verantwortung zu übernehmen, als dass sie helfend auf die Schreie der Opfer antworten und selbst- und systemkritisch analysieren, was da in die Katastrophe treibt. Dagegen in die Theodizeefrage auszuweichen wäre ein Ausweichen vor der geforderten Antwort und daher ver-antwort-ungslos. Es wäre ein Ausweichen vor der Frage, die Gott in der Geschichte vom Sünden- bzw. Fall in Fetischverhältnisse dem Adam, dem Menschen, stellt: „Wo bist du?“ (Gen 3,9). Nachdem Menschen „wie Götter sein wollen“5 und sie sich damit den Fetischen von Macht und Herrschaft unterworfen haben, kommt es zu tödlicher Gewalt, wie die Geschichte von Kain und Abel (Gen 4,1-16) erzählt. Analog zur Frage an Adam zieht Gott auch hier Kain zur Verantwortung, wenn er fragt: „Wo ist Abel, dein Bruder?“ (Gen 4,9). Die Frage nach der Rechtfertigung des Menschen (Anthropodizee) kann nicht gegen die Frage nach der Rechtfertigung Gottes (Theodizee) ausgespielt werden und umgekehrt. Der Mensch kann sich nicht durch die Belastung Gottes aus der Verantwortung stehlen wie sich auch die Frage nach der Verantwortung Gottes durch die Frage nach der Verantwortung von Menschen nicht schon erledigt hat.
Die biblischen Schöpfungserzählungen, die im und nach dem Exil ihre Gestalt gewinnen, versuchen eine Antwort auf die mit Zerstörung und Exil verbundene Erfahrung, dass die Erde „wüst und wirr“ und „ohne Licht“ vom Himmel (Jer 4,23) geworden ist. Der „ureigene ‚Sitz im Leben‘ der biblischen Schöpfungstheologie ist die Theodizee-Frage“6. Ihre Antwort – vor allem in Gen 1,1-2,3 – ist ein von Gott angesichts des Chaos einer „wüsten und wirren Erde“ (Gen 1,2) geschaffener Kosmos, in dem das Licht das erste Schöpfungswerk Gottes ist (Gen 1,3-5). In diesen Kosmos wird der Mensch gestellt mit dem Auftrag, Verantwortung für die Schöpfung zu übernehmen – und zwar nicht als Herrscher, sondern als „Bild Gottes“ (Gen 1,27), kümmernd und bewahrend – wie die korrekte Übersetzung der Verben radah und kavash in diesem Zusammenhang lauten, die gewöhnlich mit unterwerfen und untertan machen übersetzt werden. Das ist sowohl ein Gegenbild zu babylonischen Vorstellungen, nach denen Menschen als Sklaven der Götter erschaffen wurden, als auch zu den Vorstellungen des gesamten Nahen und Mittleren Ostens zu jener Zeit, nach denen allein der König als „Ebenbild Gottes“ herrscht sowie zugleich eine Distanzierung von der Königsideologie in Israel. Ähnlich setzt Deuterojesaja (Jes 50-55) auf einen Neuanfang nach dem Exil und auf Gottes Treue zu seinen Verheißungen. „Anders als die dtr. [deuteronomistische] Theologie, die die Katastrophe mit den Kategorien Sünde – Gotteszorn – Umkehr zu bewältigen versucht, setzten diese beiden Entwürfe auf die Macht und die Treue des Gottes Israels, der zugleich der Schöpfer von Himmel und Erde ist.“7
Und jetzt ist alles gut?
Auch diese Perspektive geht nicht einfach auf. Die biblische Urgeschichte erzählt am Beispiel von Kain und Abel von Mord und Totschlag bis hin zu einer Eskalation der Gewalt, die in der Vernichtung der Schöpfung und der Rettung Noahs und aller, die mit ihm in der Arche waren, mündet (Gen 6,5 – 9,17). Gottes Verhalten wird zwar durch seine eigene Umkehr korrigiert. Er entwaffnet sich, hängt den Schieß- bzw. Regenbogen als Friedenszeichen, als Zeichen des Bundes, also seiner Treue zur Schöpfung, an den Himmel und verspricht, die Erde nicht mehr zu vernichten (Gen 9,1-17). Dennoch sehen die biblischen Autoren realistisch, dass die Gewalttaten und Gewaltverhältnissen weitergehen, in der Urgeschichte einmündend in den Turmbau zu Babel, einem Bild für Großreiche, mit denen sich ihre Erbauer „einen Namen machen“ (Gen 11,4) wollen statt sich dem Namen Gottes und seinen Verheißungen des Schalom, eines Friedens anzuvertrauen, dessen Basis Gerechtigkeit und Befreiung sind. Gottes Antwort ist hier nicht Vernichtung, sondern die Zerstörung der Sprache, die zu Herrschaftszwecken genützt wird. Vor allem besteht sie in der Verheißung, die Abraham gegeben wird (Gen 12).
Wenn wir auf heute blicken, dann sind Menschen genau dazu in der Lage, das zu tun, was Gott versprochen hat, es nicht zu tun: die Erde zu vernichten. Was ausgerechnet die ‚aufgeklärten Freiheitssubjekte‘ in eine Vernichtung ‚in nihilo‘ zu treiben vermögen, folgt einer Blutspur der Gewalt, die sich durch die Katastrophen der Geschichte zieht und genau da, wo das aufgeklärte Subjekt sich als Krone der Evolution wähnt, mit den beiden Weltkriegen und der Vernichtung der Juden in die größten Katastrophen der Geschichte eingemündet ist. Die aufgeklärten Subjekte bzw. der von ihnen geschaffene immer krisenhaftere kapitalistische Fetischzusammenhang droht das zu exekutieren, was Gott versprochen hat nicht zu tun: die Schöpfung zu vernichten.
Und Gott?
Die Frage nach der Verantwortung Gottes entzündet sich daran, dass unschuldige Menschen, vor allem die Armen und Kleinen zu Opfern von Gewalt- bzw. Fetischzusammenhängen werden. Das gilt für den Zusammenbruch nach der Eroberung durch Babylon, den Jeremia als Folge der Unterwerfung unter Götzen der Macht, verbunden mit einem „Hin und her“ zwischen Götzen und kultischer Verehrung Gottes, ankündigt. Das gilt auch – und angesichts der drohenden globalen Katastrophen vielleicht noch mehr – für die heutige Situation. Gottes Antwort auf die Katastrophen, von denen die Urgeschichte erzählt, ist das Versprechen seiner Treue. Auf die fortdauernde Gewaltgeschichte antwortet er nicht mit Vernichtung, sondern nach seinem ‚Zorn‘ immer wieder mit seiner Verheißung. Und so hört die Bibel nicht auf, von der Treue Gottes und den Verheißungen zu erzählen, für die sein Name steht. Das aber wird nicht gleichsam leicht und überzeitlich über die realen Gewaltverhältnisse hinweg erzählt, sondern angesichts der Opfer der Gewaltverhältnisse in sie hinein buchstabiert. Dafür steht schon Abraham. Angesichts der drohenden Vernichtung von Sodom (Gen 18,16-33) fragt er Gott kritisch nach den unschuldigen Opfern: „Willst du auch den Gerechten mit den Ruchlosen wegraffen?“ (Gen 18,23). Abraham ringt mit Gott von 50 bis hin zu 10 Gerechten, um deren willen die Stadt nicht vernichtet werden darf. Am Ende ist Gottes Zorn überwunden und er verspricht: „Ich werde sie nicht vernichten um der zehn willen (Gen 18,32).
Die Frage nach Gottes Treue wird vor allem in den apokalyptischen Texten buchstabiert. Angesichts des Leidens artikulieren sie den Schrei nach Gott als Retter und Befreier. Messianer verbinden die Verheißungen Gottes mit dem gekreuzigten und von Gott auferweckten Messias. Sein Widerstand gegen Unrecht und Gewalt, der durch Rom mit seiner Hinrichtung sanktioniert wurde, und vor allem sein apokalyptischer Schrei nach Gott am Kreuz (Mt 27,46; Mk 15,34) verbinden ihn mit der Leidens- und Katastrophengeschichte der Menschheit. In seiner Auferweckung hat Gott – so vertrauen wir – seine Verheißungen wahrgemacht, ihm Recht gegeben und ihn ‚ins Recht‘ gesetzt. Aber es bleiben Fragen: Warum nur er und nicht die anderen Opfer auch? Wird Gott und wenn ja, wann für alle wahrmachen, was er in dem einen wahrgemacht hat.
Und so bleiben – und das ist wahrhaftig nicht wenig – Compassion mit den Opfern der Gewalt- und Herrschaftsgeschichte, die zu erinnern sind und die ‚zu denken‘ geben, die Versuche, den Fetischverhältnissen stand zu halten, nach der Verantwortung von Menschen zu fragen und wie Abraham Gott ‚ins Gebet‘ zu nehmen, dass er endlich das wahrmache, was er mit seinem Namen versprochen hat. Das kann alles ernsthaft nur im Ringen um und mit den Fetischverhältnissen geschehen und in der Erinnerung an Gottes Wort, im (Fest-)Halten dieses Wortes wie es uns in den biblischen Traditionen begegnet.
Herbert Böttcher
1 Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, Teil 1: Von den Anfängen bis zum Ende der Königszeit, Göttingen 1992, 234.
2 Vgl. Auslegung zu Dtn 30,15-20, https://www.oekumenisches-netz.de/2022/03/einladung-zu-online-gottesdiensten-in-der-fastenzeit-waehle-also-das-leben-dtn-3019/.
3 Albertz, 234.
4 Ebd.
5 So wäre entsprechend der griechischen Übersetzung des Ersten Testaments (der Septuaginta, LXX) Gen 3,4 zu übersetzen – anstatt „wie Gott“.
6Erich Zenger, Art. Schöpfung. Biblisch-theologisch, in LThK (Lexikon für Theologie und Kirche), Bd. 9, Freiburg im Breisgau, 3/2006, 217 – 230, 219.
7Ebd.