Nachdem wir uns das letzte Mal intensiv mit dem Einschub ins Johannesevangelium beschäftigt haben, geht es nun mit der Auseinandersetzung um Jesus weiter.
Der Zeitrahmen ist wohl noch immer das Laubhüttenfest, der Ort der Auseinandersetzung weiterhin der Tempel.
12 Als Jesus ein andermal zu ihnen redete, sagte er: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben. 13 Da sagten die Pharisäer zu ihm: Du legst über dich selbst Zeugnis ab; dein Zeugnis ist nicht wahr. 14 Jesus erwiderte ihnen: Auch wenn ich über mich selbst Zeugnis ablege, ist mein Zeugnis wahr. Denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe. Ihr aber wisst nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. 15 Ihr urteilt, wie Menschen urteilen, ich urteile über niemanden. 16 Wenn ich aber urteile, ist mein Urteil wahrhaftig; denn ich bin nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat, sind zusammen. 17 Und in eurem Gesetz steht geschrieben: Das Zeugnis von zwei Menschen ist wahr. 18 Ich bin es, der über mich Zeugnis ablegt, und auch der Vater, der mich gesandt hat, legt über mich Zeugnis ab. 19 Da fragten sie ihn: Wo ist dein Vater? Jesus antwortete: Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; würdet ihr mich kennen, dann würdet ihr auch meinen Vater kennen. 20 Diese Worte sagte er, als er im Tempel bei der Schatzkammer lehrte. Aber niemand nahm ihn fest; denn seine Stunde war noch nicht gekommen.
21 Ein andermal sagte Jesus zu ihnen: Ich gehe fort und ihr werdet mich suchen und ihr werdet in eurer Sünde sterben. Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen. 22 Da sagten die Juden: Will er sich etwa umbringen? Warum sagt er sonst: Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen? 23 Er sagte zu ihnen: Ihr stammt von unten, ich stamme von oben; ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt. 24 Ich habe euch gesagt: Ihr werdet in euren Sünden sterben; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben. 25 Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Jesus antwortete: Warum rede ich überhaupt noch mit euch? 26 Ich hätte noch viel über euch zu sagen und viel zu richten, aber er, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das sage ich der Welt. 27 Sie verstanden nicht, dass er damit den Vater meinte. 28 Da sagte Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, dass Ich es bin. Ihr werdet erkennen, dass ich nichts von mir aus tue, sondern nur das sage, was mich der Vater gelehrt hat. 29 Und er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht alleingelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefällt. 30 Als Jesus das sagte, kamen viele zum Glauben an ihn.
12 Als Jesus ein andermal zu ihnen redete, sagte er: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Wann genau und zu wem Jesus redet, bleibt zu Beginn des Abschnitts unklar. Aber was Jesus sagt, hat es in sich: „Ich bin das Licht der Welt.“ Die Aussage erinnert an den Gottesknecht aus dem Propheten Jesaja. Ihn macht Gott „zum Bund mit dem Volk, zum Licht der Nationen, um blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und die im Dunkeln sitzen aus der Haft“ (42,6f). Und in 49,6 hebt Jesaja die Dimension des Gottesknechts als „Licht der Nationen“ hervor, wenn er sagt: „Ich mache dich zum Licht der Nationen, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.“ Unter der Weltordnung Roms wird das Licht des Messias, das in die Welt kam (Joh 1,7ff) zum Gericht. Es leuchtet hinein in die Finsternis dieser Weltordnung und bringt ihre Vergehen ans Licht (3,19ff). Umgekehrt gilt: „Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind“ (3,21).
Johannes macht in diesen Abschnitten deutlich, dass der Messias der ‚Lichtblick‘ ist in der Finsternis der Weltordnung, in der nichts mehr ‚zu gehen‘ scheint. Ein anderer ‚Gang‘ wird erkennbar, wenn das unter der Weltordnung leidende Israel sich dem ‚Gang‘ des Messias in dessen Nachfolge anschließt. Sein Leben, sein Tod und seine Auferweckung sprengen die Weltordnung. Weil Gott das Leben seines Messias „dem Tod entrissen“ hat, können diejenigen, die ihm Nachfolgen ihren „Weg vor Gott im Licht des Lebens“ (Ps 55,14) gehen. In dieser Sprengkraft soll die Tora gelebt werden. Ohne sie – so die Überzeugung des Johannes – gerät auch die Tora zur ‚blinden‘ Anpassung an die Finsternis der Weltordnung. Im Licht des Messias gelebt wird sie „meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade“ (Ps 119,105).
Jesu Selbstaussage „Ich bin das Licht der Welt“ ist die Überschrift über den Bogen der vom als Lichterfest gefeierten Laubhüttenfest bis zur Heilung des Blinden (Joh 9) reicht. Für die Kontrahenten ist diese Aussage freilich ein weiterer Stein des Anstoßes.
13 Da sagten die Pharisäer zu ihm: Du legst über dich selbst Zeugnis ab; dein Zeugnis ist nicht wahr.
Mit der Erwähnung der Pharisäer knüpft Johannes ausdrücklich an die Diskussionen an, die im Tempel im Rahmen des Laubhüttenfestes geführt wurden. Die Pharisäer argumentieren völlig korrekt. Ein Zeugnis ist rechtlich nur dann relevant, wenn es von zwei unabhängigen Zeugen abgelegt wird (vgl. Dtn 19,15, zur Diskussion im Evangelium Joh 5,31ff). Weil Jesus über sich selbst Zeugnis ablegt, ist dieses Zeugnis ohne Belang.
Wir müssen uns erneut daran erinnern, dass Johannes bei der Erwähnung der Pharisäer die unter den Juden führende Gruppe seiner Zeit im Blick hat. Nach der Zerstörung des Tempels und der massenhaften Vertreibung von Juden aus Jerusalem versuchten die Pharisäer das jüdische Leben wieder neu zu organisieren. Dieses Vorhaben sollte nicht dadurch gefährdet werden, dass sie erneut Konflikte mit der Macht Roms riskierten. Dieses Risiko war gegeben, wenn der Verdacht entstand, dass sich messianische Bewegungen breit machten. Daher distanzierten sich die Pharisäer von der messianischen Gemeinde um Johannes. Für die messianische Gemeinde des Johannes ist jedoch klar, angesichts der perspektivlosen Finsternis des Imperiums ist die Tora nicht zu leben ohne das Licht des Messias. Anpassung an die Finsternis des Imperiums führt in die Irre und schließlich in den Tod Israels, davon ist Johannes überzeugt.
Das alles müssen wir mitbedenken, wenn wir die folgende Auseinandersetzung lesen.
14 Jesus erwiderte ihnen: Auch wenn ich über mich selbst Zeugnis ablege, ist mein Zeugnis wahr. Denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe. Ihr aber wisst nicht, woher ich komme und wohin ich gehe.
Gegen den Einwand der Pharisäer pocht Jesus darauf, dass sein „Zeugnis wahr“ ist. Er verweist darauf, dass er im Gegensatz zu seinen Kontrahenten wisse, woher er komme und wohin er gehe. Mit dem ‚Woher‘ und ‚Wohin‘ verweist er auf den Vater und das ‚Eins-Sein‘ mit ihm. In diesem Sinn kann er auch den Vater als den zweiten Zeugen für sich beanspruchen (vgl. 5,31ff). Diese Argumentation kann nur denen als ‚plausibel‘ erscheinen, die in Jesus schon den Messias sehen, nicht aber für diejenigen, die ‚von außen‘ überzeugt werden sollen.
Die Pharisäer können dieser Argumentation nicht folgen, weil sie ihre Voraussetzung nicht teilen, nämlich die Überzeugung, dass Jesus vom Vater kommt und zu ihm geht.
15 Ihr urteilt, wie Menschen urteilen, ich urteile über niemanden. 16 Wenn ich aber urteile, ist mein Urteil wahrhaftig; denn ich bin nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat, sind zusammen.
Wörtlich übersetzt müsste es heißen: „Ihr urteilt dem Fleisch nach“, gemeint ist nach dem Fleisch des römischen Imperiums. Nach dieser Logik verurteilt Jesus niemanden. Er urteilt in der Logik des Vaters, der ihn gesandt hat, von dem er also kommt. Er ist eins mit seinem Weg. Dieser Weg führt ihn wieder zum Vater, dahin, ‚woher‘ er gekommen ist. Deshalb – so können wir Johannes interpretieren – ist die Tora als Weg im Licht des Messias zu sehen und zu gehen. Dass Jesu Urteil „wahrhaftig“ ist, weil er und der Vater „zusammen“ sind, wird in der Sicht des Johannes dann deutlich, wenn Jesus am Kreuz der Römer bei seinem Vater angekommen ist, der Vater seinen Messias auferweckt und ihn als ‚Menschensohn‘ zum Maßstab, zum Richter macht. In der Auferweckung des Messias erweist sich das ‚Eins-Sein‘ des Vaters mit dem Messias. Das kann jedoch nur die überzeugen, die den Zeugnissen von der Auferweckung des Messias glauben. An dieser Stelle liegen Probleme, die nicht einfach zu klären sind: Wer ist Jesu Vater? Die einen verweisen darauf, dass Jesus „der Sohn Josefs“ sei, „dessen Vater und Mutter wir kennen“. Dann kann er nicht „vom Himmel herabgekommen“ sein (6,42), also nicht Gott sein Vater sein. Letztlich läuft die Auseinandersetzung darauf hinaus, dass Jesu Gegner den ‚Vater‘, also Israels Gott nicht kennen. Daher können sie nur „wie Menschen urteilen“ (V. 15), im Klartext ‚nach dem Fleisch‘ der römischen Weltordnung sein.
17 Und in eurem Gesetz steht geschrieben: Das Zeugnis von zwei Menschen ist wahr. 18 Ich bin es, der über mich Zeugnis ablegt, und auch der Vater, der mich gesandt hat, legt über mich Zeugnis ab.
Zwei Zeugen als Voraussetzung eines Urteils in einem Prozess sind nach Dtn 17,6 und 19,15 vorgeschrieben. Diese Voraussetzung – so argumentiert Johannes – sei im Blick auf Jesus und den Vater erfüllt. Das ist aber nur für Menschen einsichtig, die wie Johannes in Jesus den Messias sehen. In der Formulierung „euer Gesetz“ ist keine Distanzierung zur Tora zu sehen. Sie ist als Reaktion auf Vorwürfe aus Kreisen der Pharisäer zu verstehen. Ansonsten zieht sich die Affirmation der Tora als roter Faden durch den Text unseres Evangeliums. Sie muss jedoch im Licht des Messias Jesus gelesen und gelebt werden.
19 Da fragten sie ihn: Wo ist dein Vater? Jesus antwortete: Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; würdet ihr mich kennen, dann würdet ihr auch meinen Vater kennen.
Der Streit läuft darauf hinaus, dass Jesu Gegnern die Erkenntnis Gottes abgesprochen wird. Wenn sie Israels Gott nicht in Jesus erkennen, kennen sie ihn überhaupt nicht. Die Pharisäer bestreiten, dass Gott in Jesus präsent ist. Dies verführt Johannes zu dem Umkehrschluss: Wenn sie Gott nicht in Jesus, d.h. als den Vater Jesu erkennen, kennen sie ihn gar nicht. Johannes spricht den Pharisäern damit nicht weniger als die Gotteserkenntnis ab. Wengst bemerkt dazu völlig zu Recht: „Es geht nicht an, dem Judentum seine Gottesbeziehung abzusprechen. Dass Johannes den negativen Umkehrschluss formuliert hat, mag verständlich sein aufgrund der bedrängenden Erfahrung, die er und die Seinen von Seiten der jüdischen Mehrheit machen mussten. Dass wir diesen Umkehrschluss nicht mehr machen, ist dringend geboten aufgrund der viel schlimmeren Erfahrungen, die Juden seinetwegen erleiden mussten und in denen es ihnen unkenntlich wurde, dass der Vater Jesu Christi mit dem Gott Israels identisch sei.“[1] Gottes Bund mit Israel ist niemals aufgehoben worden. Es gibt folglich zwei Wege der Befreiung, den Weg an der Seite des Messias Jesus und den Weg des jüdischen Volkes. Menschen, die Gott im Messias Jesus erkennen, können dies nur, wenn sie ihn als Israels Gott erkennen.
20 Diese Worte sagte er, als er im Tempel bei der Schatzkammer lehrte. Aber niemand nahm ihn fest; denn seine Stunde war noch nicht gekommen.
Johannes schließt diesen Abschnitt mit einer Ortsangabe. Jesus lehrte „im Tempel bei der Schatzkammer“. Die Schatzkammer des Tempels war der Ort, an dem die Abgaben und Spenden zu entrichten waren, um den Tempel als Handelszentrum bewirtschaften zu können. Abzugeben war u.a. von dem, was Menschen auf ihrem kleinen Land erwirtschaftet hatten. Das ging oft über ihre Möglichkeiten und trug zur Verarmung bei. Bei Spenden ist an die „arme Witwe“ zu denken, die alles, was sie hatte, in den Opferkasten des Tempels warf, „ihren ganzen Lebensunterhalt“ bzw. genauer ihr ganzes Leben (Mk 12,44). Das entspricht Jesu Urteil, das der Szene vorausgeht: „Sie fressen die Häuser der Witwen auf…“ (Mk 12,40). Der Tempel beutet in vielfacher Weise die Armen aus. Deshalb ist er zur „Räuberhöhle“ (Mk 11,17), bei Johannes „zu einer Markthalle“ (2,15) gemacht worden. Vor dem Ort des Anstoßes präsentiert Jesus sich als Licht der Welt
21 Ein andermal sagte Jesus zu ihnen: Ich gehe fort und ihr werdet mich suchen und ihr werdet in eurer Sünde sterben. Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen.
Johannes erzählt in seinem Evangelium von Menschen, die Jesus suchen, und in ihm den Messias finden (1,35ff). An dieser Stelle hat das ‚Suchen‘ jedoch einen negativen Beiklang. Immer wieder hat Johannes erzählt, dass Jesus gesucht wurde, um ihn zu töten (5,18; 7,1.19f.25). Eine solche „Sünde“, solche Verirrungen führen in den Tod. Getötet werden soll derjenige, der eine Perspektive der Befreiung gegen Rom eröffnet, statt nach Möglichkeiten zu suchen, mit Rom und im Rahmen seiner Weltordnung zu leben. Das sind Verirrungen, die scheitern und in den Tod führen müssen. Aber auch die Versuche Jesus zu suchen, um ihn zu töten, sind zum Scheitern verurteilt; denn „wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen“. Jesu Weg der Solidarität (Joh 13) scheitert am Kreuz der Römer. Aber dieser Weg der Solidarität bis zur letzten Konsequent ist der Weg zum Vater, mit dem der messianischen Gemeinde eine Wohnung (Joh 14), ein Ort bereitet wird, unter der Herrschaft Roms gegen diese Herrschaft zu leben. Wer sich ein Leben nur im Rahmen der Herrschaft Roms vorstellen kann, wird diesen Weg nicht gehen und nicht dahin gelangen können, wohn der Messias geht.
22 Da sagten die Juden: Will er sich etwa umbringen? Warum sagt er sonst: Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen?
Jesu Gegner dokumentieren ihr Unverständnis in der Vermutung, Jesus könnte beabsichtigen, sich der Festnahme durch Selbstmord zu entziehen. Noch immer dürfte in Israel die Tat der Verteidiger von Masada im Gedächtnis sein, die sich durch kollektiven Selbstmord ihrer Gefangennahme durch die Römer entzogen haben.
23 Er sagte zu ihnen: Ihr stammt von unten, ich stamme von oben; ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt.
Mit ‚unten‘ und ‚oben‘ sind nicht ‚Diesseits‘ und ‚Jenseits‘ gemeint. Es geht um den Gegensatz zwischen römischer Weltordnung und der Perspektive der Befreiung, die im Einssein des Messias mit Israels Gott eröffnet wird. Sie impliziert den Bruch mit Rom und damit mit der Logik von Herrschaft und Gewalt. Unter den Bedingungen der Herrschaft Roms kann sich Johannes nicht vorstellen, dass der Weg der Tora eine Chance haben kann.
24 Ich habe euch gesagt: Ihr werdet in euren Sünden sterben; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben.
Mit diesem Satz, den Johannes Jesus in den Mund legt, greift er den Gottesnamen (Ex 3,14) und die mit ihm verbundenen Inhalte auf: das Versprechen, sich als Befreier seines Volkes zu erweisen. Wer stattdessen sein Vertrauen auf Götzen der Herrschaft setzt und mit ihnen gemeinsame Sache zu machen versucht, wird an diesen Verirrungen und den mit ihnen verbundenen Irrwegen zugrunde gehen. Das sind die „Sünden“, die Johannes im Blick hat. Problematisch bleibt, dass die Verbindung zwischen Israels Gott und dem Messias Jesus so strikt gedacht wird, dass außerhalb dieses ‚Einseins‘ zwischen Jesus und dem Vater kein anderer Weg messianischer Befreiung mehr in den Blick kommt. Auch das mag der historischen Situation geschuldet sein, in der keine Befreiung von Herrschaft erkennbar war, die nicht mit neuen Herrschaftsträumen verbunden waren.
25 Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Jesus antwortete: Warum rede ich überhaupt noch mit euch?
Die Frage von Jesu Gegnern signalisiert Abwehr: Wer bist du denn, dass du solche Reden schwingst? Jesu Antwort ist nicht leicht zu übersetzen. In der vorliegenden deutet sie darauf hin, dass Jesus die Auseinandersetzung abbricht. In dieser Übersetzung wird das Wort ‚archä‘, das am Anfang der Frage steht, nicht berücksichtigt. Ton Veerkamp bezieht ‚archä‘ ein und übersetzt: „Von Anfang an das, was ich zu euch rede!“[2] Das wäre eine Antwort auf die Frage: „Wer bist du denn?“ Sie lautete: Ich bin ‚von Anfang an‘ das, was ich rede. Dabei meint ‚archä‘ nicht einfach einen zeitlichen Anfang, sondern etwas Prinzipielles. Es geht um das Wesentliche: die Konfrontation mit Israels Gott, der mit Herrschaft bricht, und denen, die unter der Herrschaft Roms meinen die Tora leben zu können. In diesem Konflikt ist der Tod des Messias am Kreuz der Römer vorprogrammiert. Genau dabei geht es um ‚Prinzipielles‘: Gottes Gericht über die Herrschaft Roms in der Auferweckung des von Rom hingerichteten Messias.
26 Ich hätte noch viel über euch zu sagen und viel zu richten, aber er, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das sage ich der Welt.
Ohne Aussicht auf Verständigung kreist die Auseinandersetzung um den ‚prinzipiellen‘ Widerspruch, der sich an der Haltung gegenüber der römischen Herrschaft entzündet. Sie ist ‚prinzipiell‘, weil es darin um das grundlegende Verständnis von Israels Gott und darin um das Verständnis des Messias Jesus geht. Da gäbe es „noch viel … zu sagen und viel zu richten“. Am Ende bleibt Jesus der Verweis auf den „der mich gesandt“ hat. Er ist „wahrhaftig“, d.h. treu und zuverlässig. Das wird sich am Kreuz des Messias erweisen. Bis dahin kann es immer nur darum gehen, der Weltordnung zu sagen, was die Botschaft des Vaters ist.
27 Sie verstanden nicht, dass er damit den Vater meinte.
Jesu Gegner können keine Verbindung zwischen Jesus und dem Vater erkennen. Daher bleibt ihnen verborgen, worum es ‚prinzipiell‘ in dieser Auseinandersetzung geht, vor allem, dass die Frage nach Jesus und dem Vater die Frage nach dem Verhältnis zur Herrschaft Roms impliziert und sie in dem Sinne beantwortet, dass da keine Kompromisse möglich sind.
28 Da sagte Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, dass Ich es bin. Ihr werdet erkennen, dass ich nichts von mir aus tue, sondern nur das sage, was mich der Vater gelehrt hat.
In Jesu Kreuz sieht Johannes die Erhöhung des Menschensohns. Ihn, der am Kreuz sein Leben der Solidarität dem Vater übergibt, lässt der Vater nicht im Tod versinken. Er rettet diesen Menschensohn, macht ihn zum Maßstab, zum Richter über die Herrschaft Roms. Damit ist die Erkenntnis verbunden, dass der Vater und sein Messias ‚eins‘ sind, dass der Messias also nichts von sich aus tut, „sondern nur das“ sagt, „was … der Vater“ ihn „gelehrt“ hat.
29 Und er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht alleingelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefällt.
Und noch einmal aus der Perspektive des Auferstandenen gesprochen, der Vater, der der Gott Israels ist, hat Jesus im Angesicht der an ihm exekutierten Macht Roms die Treue gehalten. Die Treue gehalten dem, der stets Gottes Willen getan hat, solidarisch war mit seinem Gott und denen, die nach Befreiung schreien. Nachdem das ‚Einssein‘ von Vater und Sohn in Kreuz und Auferweckung des Messias deutlich geworden ist, werden auch die Jünger*innen gesandt wie der Vater den Sohn gesandt hat: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ heißt es in Joh 20,21. Eingeleitet wird die Sendung mit dem Gruß „Friede sei mit euch! – nicht der Friede der Weltordnung der ‚herrscht‘ wenn Roms Herrschaft gesichert ist, sondern der Friede, der von dem von Rom Gekreuzigten ausgeht und dann ‚sicher‘ ist, wenn Menschen vor Herrschaft und Gewalt sicher sind.
30 Als Jesus das sagte, kamen viele zum Glauben an ihn.
Der letzte Satz kommt überraschend, weil nicht unbedingt zu erwarten war, dass aus dem prinzipiellen Schlagabtausch „viele zum Glauben an ihn“ kommen konnten. Der Glaube scheint aber auch nicht von Dauer gewesen zu sein. Viele von ihnen ‚bleiben‘ nicht, sondern schließen sich Jesu Gegnern an, wie der nächste Abschnitt erzählt. Vielleicht hat Johannes den Vers eingeführt, um sich anschließend mit einer anderen Gruppe auseinandersetzen zu können, wir werden sehen.
Zusammengestellt von Alexander Just
[1] Wengst, Klaus, Das Johannesevangelium. 1. Teilband: Kapitel 1-10, Stuttgart 2000 (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, Bd. 4), 318f. [Wengst, Johannesevangelium]
[2]Ton Veerkamp, Das Evangelium nach Johannes, Texte & Kontexte, Sonderheft Nr. 3, 2015, 69.