Eine götzenkritische Sendung, zu Mt 10,26-33

Mt 10,26-33

26 Darum fürchtet euch nicht vor ihnen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. 27 Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet im Licht, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet auf den Dächern! 28 Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch eher vor dem, der Seele und Leib in der Hölle verderben kann! 29 Verkauft man nicht zwei Spatzen für einen Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.[2] 30 Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. 31 Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. 32 Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. 33 Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.

Fürchtet euch nicht!“ Diese Ermutigung Jesu an seine Apostel ist ernst gemeint. Jesus hatte sie ausgesandt, das unter der römischen Herrschaft zerstreute Israel neu zu sammeln und aufzurichten. Was an und in Israel krank ist, soll geheilt, was am Boden liegt, soll aufstehen. Dämonen sollen ausgetrieben werden; denn sie machen Menschen ihrer Macht gefügig. Wer Dämonen unterworfen ist, wird von ihnen fremdbestimmt. Dämonisch ist die römische Herrschaft. Sie und nicht der Geist Gottes prägt das Leben. Wer wie die Apostel gesandt wird, inmitten dieser Verhältnisse dafür einzustehen, dass das Reich Gottes das Leben prägen soll, ist „wie Schafe mitten unter die Wölfe gesandt“ (Mt 10,16). Diese kann in den Tod führen. Gerade deshalb heißt es: „Fürchtet euch nicht!“ Denn ihr könnt darauf vertrauen, dass Gott sich als stärker erweisen wird als die Macht Roms und alle Mächte des Todes.

Was könnte das für die Sendung der Kirche in die heute Welt bedeuten? Die scheint von der Angst beherrscht, an Mitgliedern und an Bedeutung zu verlieren. Als Ausweg stehen sich zwei Wege gegenüber: der eine drängt zurück zu einer Kirche, die Bollwerk der Wahrheit gegen die Irrtümer der Welt sein soll: gegen vermeintliche sexuelle Abweichungen und moralische Verfehlungen, gegen den Verfall ewiger Werte und Ordnungen, gegen Ungehorsam gegenüber der kirchlichen Lehre, gegen die Zulassung von Frauen zum Priesteramt.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die danach suchen, wie die Kirche an die heutige Welt anschlussfähig werden kann. Mit Hilfe von Konzepten der Unternehmensentwicklung soll die Kirche so umgestaltet werden, dass sie wieder anziehend sein kann für heutige Menschen. Haupt- und Ehrenamtliche sollen sich über gemeinsam entwickelte Leitbilder und Möglichkeiten der Mitbestimmung so mit dem Unternehmen identifizieren, dass sie die Aura der Attraktivität und Präsenz des Unternehmens ausstrahlen. Das Angebot der Dienstleistungen – von der Verkündigung des Glaubens bis zu sozialen und therapeutischen Angeboten soll auf die Nachfrage von Kund*innen ausgerichtet werden.

Im Blick auf den Glauben heißt das: Er muss sich nicht als wahr, sondern als nützlich, als brauchbar für den Bedarf eigener Lebensführung, für die Bewältigung sich zuspitzender individueller und gesellschaftlicher Krisen erweisen. Er soll ‚positiv‘ und darf nicht ‚kritisch‘ sein; er soll einfach und darf nicht zu kompliziert sein. Er soll erfahrungs- und erlebnisintensiv sein, darf aber nicht mit kritischem Nachdenken belastet sein. So sollen ‚die‘ Menschen in ihrem Alltag erreicht werden.

Der aber ist für immer mehr Menschen negativ geprägt: durch wachsende Armut und Ausgrenzung, durch Krieg und Umweltzerstörung, durch Flucht und Migration… An Menschen, deren Leben davon geprägt ist, geht ein an der Nachfrage von Kund*innen orientiertes Evangelium vorbei. Es ignoriert vor allem die Frage nach dem Zusammenhang der Leiden in einer Gesellschaft, die vom Dämon der Vermehrung von Kapital um seiner selbst willen bestimmt ist. Dieser Dämon darf nicht angetastet, nicht einmal genannt werden.

Ob es um die Kirche als Bollwerk gegen die Irrtümer der Welt oder um eine unternehmerische Kirche geht, immer dreht es sich um die Kirche. Dabei weist die Botschaft von Gott und seinem Reich, die der Kirche anvertraut ist, über die Kirche hinaus. Wo aber Gott in den Blick kommt, geht es um Wege der Befreiung und zugleich um die Kritik von Herrschaft, der Menschen unterwerfen sind und geopfert werden. Biblisch gesprochen: Es geht um den Gott der Befreiung und Götzen der Unterdrückung. Bei der Suche nach Wegen in die Zukunft wird die Kirche vor allem lernen müssen, zwischen Gott und Götzen zu unterscheiden.

Im Zentrum steht dann nicht mehr die Kirche, sondern Gott. Die Kirche hört auf, sich um selbst zu drehen und beginnt, sich um Gott zu drehen. In den Block kommen der Gottesname und die Inhalte, die mit der Offenbarung seines Namens verbunden sind: das Hören auf die Schreie der Versklavten und die Erkenntnis ihres Leids, das mit der Herrschaft Ägyptens verbunden ist. Weil Mose sich fürchtet, zum Pharao zu gehen, wird ihm der Name Gottes mit auf den Weg gegeben. Dieser Name erhält ein Versprechen, das Versprechen da zu sein auf den Wegen der Befreiung aus Unrecht und Gewalt. Gott verspricht seinem Volk die Treue zu halten. Gott bindet sich an sein Volk, das er aus der Herrschaft Ägyptens befreit hat. Dieser Bund gilt für alle Generationen. Er wird da sein auf allen Wegen, auf denen Menschen aus Abhängigkeiten befreit und Grenzen der Herrschaft überschritten, durchbrochen, transzendiert werden sollen. Genau darin zweigt Gottes Transzendenz. Der Grenzen überschreitenden Treue Gottes entspricht die Treue des Volkes, das im Bund mit seinem Gott lebt und seinen Wegen der Befreiung die Treue hält.

Diese Treue muss immer wieder neu buchstabiert werden angesichts der Versuchungen, sich fremden Herren als Götzen zu unterwerfen, darin den Bund zu brechen und ‚fremd zu gehen‘. Die Macht Ägyptens oder Babylons oder auch die Macht der Natur und ihrer Fruchtbarkeit, die im Baalskult verehrt wird, scheinen faszinierender zu sein als der Gott, der sein Volk bereit. So ist Israel oft der Versuchung erlegen, mehr auf Herrschaft zu vertrauen als auf die Befreiung von Herrschaft und sich den herrschenden Verhältnissen anzupassen. Es wollte endlich groß und mächtig sein wie die anderen Völker auch. Vergessen wurde darüber die Kehrseite von Herrschaft: die Armen und Versklavten. Dabei drohte auch Gott vergessen zu werden, der es nicht hinnehmen will, dass Menschen arm gemacht und unter Unrecht und Gewalt versklavt werden. Vergessen wurde dabei zugleich, wozu Mose gesandt worden war.

Propheten fordern Israel auf, mit den Götzen der Herrschaft zu brechen und wieder neu dem Bund und Gott zu vertrauen, der die Grenzen der Herrschaft überschreitet und zerbricht. In diese Tradition gehört die Sendung Jesu. Er führt die Sendung des Mose unter der Zeit der römischen Herrschaft weiter. Er treibt die Dämonen der Herrschaft aus und schafft Platz für Gottes Herrschaft. Dazu sind die auch die Apostel gesandt.

Genau das ist auch die Sendung der Kirche. Die Unterscheidung zwischen Gott und Götzen hätte sie heute in Verhältnissen zu buchstabieren, die geprägt sind vom Götzen des Kapitalismus, der Unterwerfung von Menschen unter den Zweck, Kapital um seiner selbst willen zu vermehren, und zugleich all das abzuspalten, was der Reproduktion, d.h. der Sorge um das Leben dient. Die Unterscheidung zwischen Gott und Götzen macht die Kirche zeitgemäß, weil sie erkennen lässt, was Menschen heute in Krisen und Katastrophen des Kapitalismus zu erleiden haben. Damit wäre sie ‚auf der Höhe der Zeit‘, aber nicht angepasst an die Zeit, sondern widerständig im Bund mit dem Gott der Befreiung und den Menschen, die in all den Krisen ‚auf der Strecke‘ bleiben.

Mose konnte seine Furcht vor Ägypten und dem Pharao dadurch überwinden konnte, dass der dem Geheimnis vertraute, dass Gott ihm mit seinem Namens mit den Weg gegeben hatte. Diesem Namen hat sich auch Jesus anvertraut. Und Gott hat ihm auch in der Vernichtung seines Lebens durch Rom die Treue gehalten. Im Vertrauen Gottes Treue sollen auch die Apostel furchtlos sein, wenn sie „wie Schafe mitten unter die Wölfe gesandt“ (Mt 10,16) gesandt werden. In diesem Vertrauen könnte auch die Kirche furchtloser werden. Sie könnte befreit werden von der Angst in der sie sich um sich selbst dreht und die dazu treibt, sich in einem Bollwerk verbarrikadieren oder sich als unternehmerische Kirche der Welt und dem Geist des Kapitalismus anzupassen. Sie könnte lernen, ‚gehorsam‘ gegenüber Gott zu werden, der auch die Grenzen der Kirche sprengt und auf die Seite der Menschen drängt, die zu Opfern des kapitalistischen Götzen werden. Die Kehrseite des Hörens auf Gott ist der Ungehorsam gegenüber fremden Herren, gegenüber Götzen, die Unterwerfung und Anpassung verlangen. Deshalb ist der Weg der Treue Gott in der Nachfolge Jesu konfliktträchtig. ‚Fürchtet euch nicht!‘ das könnte für die Kirche heißen: Vertraut darauf, dass Gott das ‚letzte Wort‘ hat wie er es in der Sendung des Mose wie in der Sendung Jesu gezeigt hat.

Herbert Böttcher

(Predigt am 12. Sonntag im Jahreskreis/25.6.23 in der Kapelle des Heinrichhauses in Neuwied-Engers)