„Nur beim HERRN … sind Heilstaten und Stärke“ (Jes 45,24) – Treue zur Wahrheit in der Geschichte als Treue zu Israels Gott

Jes 45,18-25

18 Denn so spricht der HERR, der den Himmel erschafft, / er ist der Gott, der die Erde formt und macht – er ist es, der ihr Bestand gibt, / er hat sie nicht als Nichtiges erschaffen, er hat sie zum Wohnen geformt -: / Ich bin der HERR und sonst niemand. 19 Ich habe nicht im Verborgenen geredet, / irgendwo in einem finsteren Land. Ich habe nicht zum Geschlecht Jakobs gesagt: / Sucht mich als Nichtiges! Ich bin der HERR, der die Wahrheit spricht / und der verkündet, was recht ist. 20 Versammelt euch, kommt alle herbei, / tretet herzu, die ihr aus den Nationen entronnen seid! Wer hölzerne Götzen umherträgt, hat keine Erkenntnis, / wer einen Gott anbetet, der niemanden rettet. 21 Macht es bekannt, bringt es vor, / beratet euch untereinander: Wer hat das alles seit Langem verkündet / und längst im Voraus angesagt? War es nicht ich, der HERR? / Es gibt keinen Gott außer mir; / außer mir gibt es keinen gerechten und rettenden Gott. 22 Wendet euch mir zu und lasst euch erretten, / alle Enden der Erde, / denn ich bin Gott und sonst niemand! 23 Ich habe bei mir selbst geschworen: / Aus meinem Mund ist Gerechtigkeit hervorgegangen, / ein unwiderrufliches Wort: Vor mir wird jedes Knie sich beugen / und jede Zunge wird schwören: 24 Nur beim HERRN – sagt man von mir – sind Heilstaten und Stärke. / Beschämt kommen alle zu ihm, die gegen ihn entbrennen. 25 Alle Nachkommen Israels bekommen ihr Recht / und erlangen Ruhm durch den HERRN.

Von der Geschichte zum Mythos und die Rückkehr der Götter

Postmodernen Zeitgeistern mag dieser Text als martialischer Monotheismus erscheinen. Gegen den Universalismus, der aus ihm spricht, meldet sich der Einwand kultureller Vielfalt. Das Eine steht unter dem Verdacht des Totalitären. Solche Einwände richten sich nicht prinzipiell gegen Religion. Sie soll und darf sein, aber vielfältig. In dieser Logik liegt es nahe, sich von dem einen Gott zu verabschieden und sich vielen Göttern und religiösen Kräften zuzuwenden. Ausdruck dafür ist die aufblühende Esoterik. Aber auch in der Philosophie gibt es Versuche, Polytheismus als aufgeklärten Polytheismus zu rehabilitieren1. Damit einher geht der Abschied von der Geschichte und die Hinwendung zum Mythos und der mit ihm verbundenen Wiederkehr des Gleichen. „Mythisch ist das Immergleiche, wie es schließlich zur formalen Denkgesetzlichkeit sich verdünnte“, hatte Adorno bereits in der „Negativen Dialektik“ diagnostiziert2. ‚Wiederkehr des Gleichen‘ verspricht Stabilität angesichts der Unsicherheiten inmitten sich zuspitzender Krisensituationen. Angesichts dieser Krisen leben auch autoritäres Ordnungsdenken und Repressionen gegen diejenigen auf, die als Arme innerhalb oder als Fliehende außerhalb der Grenzen in Schach gehalten werden sollen. Das hindert nicht daran, den Mythos friedliebender Freiheit und Demokratie gegen Russland in Stellung zu bringen und damit Freunde und Feinde, Gute und Böse kenntlich zu machen und in dubio die Vernichtung der Feinde und des Bösen zu legitimieren – so entschieden und heldenhaft, dass damit auch der Untergang der Welt hingenommen werden muss, nicht als Ausdruck der Manifestation göttlicher Majestät, wie der Theologe und Vertreter katholischer Soziallehre Gustav Gundlach die unbedingte Pflicht zur Verteidigung auch mit Atomwaffen legitimiert hatte, sondern ganz ‚entmythologisiert‘ und ‚rational‘ als Ausdruck der Manifestation von Freiheit und Demokratie.

Ich bin der HERR und sonst niemand“ (Jes 45,18)

Unser Text gehört zu einer Zeit, in der Israels Glaube an seinen Gott sich im babylonischen Exil mit dem Polytheismus der Götterwelt Babylons konfrontiert sah. Die Götter Babylons schienen mächtiger zu sein als Israels Gott und die Inszenierungen ihres Kultes prächtiger als der Kult in dem von Babylon zerstörten Tempels in Jerusalem. Ihnen scheint Israel ohnmächtig und perspektivlos ausgeliefert. Vor diesem Hintergrund kommt es in der Gruppe um Deuterojesaja zu einer Rückbesinnung auf das, was Israels Glaube an seinen Gott ausmacht. In unserem Text verteidigt Gott im Rahmen einer fiktiven Gerichtsszene seinen Anspruch auf Göttlichkeit angesichts der überlegen erscheinenden babylonischen Götterwelt und der in ihr fundierten Überlegenheit der babylonischen Herrschaft. Aus einer Situation der Ohnmacht in einer geschichtlichen Katastrophe und im Blick auf eine marginalisierte und verzweifelte Randgruppe formuliert er seinen Anspruch: „Ich bin der HERR und sonst niemand“ (Jes 45,18).

Die Wahrheit dieses Anspruchs ergibt sich nicht aus einem Mythos, sondern aus der Geschichte. Nicht in obskuren zeitlosen mythischen Weisheits- und Sinnsprüchen hat Gott zu seinem Volk gesprochen, sondern in der Geschichte. Seine Wahrheit ist sein Versprechen, die Wege seines Volkes mit zu gehen und die Verheißung wahr zu machen, die er mit seinem Namen ausgesprochen und versprochen hat: sich als Retter und Befreier aus der Gewalt der Sklavenhäuser in der Geschichte zu erweisen. Daran soll sich Israel angesichts der babylonischen Katastrophe erinnern.

Dass gilt, was er versprochen hat, wird daran deutlich, dass er den Himmel erschaffen sowie die Erde geformt hat und ihr Bestand gibt (Jes 45,18). Er hat sie nicht „als Nichtiges erschaffen“, sondern als Wort „zum Wohnen“ (Jes 45,18). Im hebräischen Text steht: Er hat sie nicht als tohu, also als ‚tohuwabohu‘, als wirre Ödnis geschaffen, sondern als Ort, an dem Menschen wohnen und leben können. Das ist nun kein Rückgriff auf eine mythische oder ontologische Ordnung, in dem das Leben fundiert wäre. Es ist umgekehrt: Der Glaube an Gott als Schöpfer und seine Schöpfung als Ort zum Wohnen und Leben ergibt sich für Israel aus der Geschichte. Sein Name offenbart sich in der Geschichte der Befreiung. Wenn das gilt, dann ist Gott auch der Schöpfer der Welt und aller Menschen. Dieser Gedanke gewinnt im Exil sein Profil. Er ist Ausdruck des Vertrauens auf den Gott der Befreiung, das auch da gilt, wo es durch die Götter Babylons, die beanspruchen Schöpfer der Welt zu sein, in die Krise gerät. Gegen die Herrschaftsmacht der Götter Babylons betont Israel, dass sein Gott der Befreiung der HERR ist. Deshalb darf es keine Herrschaft geben, die Menschen erniedrigt, beleidigt und ohnmächtig macht. Gegen die Versuchung, sich angesichts der Verzweiflung von Mythen trösten zu lassen, wird Israel auf die Wahrheit seines Gottes verwiesen, die sich inmitten der Geschichte zeigt, und insofern durch die Katastrophen hindurch tragen kann als sie geschichtlicher Herrschaft ihre Legitimation und Endgültigkeit abspricht. Deshalb sollen sich alle, „die aus den Nationen entronnen“ sind (Jes 45,20), um Israels Gott versammeln. Aus allen Völkern sollen sie zusammenkommen als solche, die den Sklavenhäusern in der Geschichte ‚entronnen‘ sind und zu dem Gott ihre Zuflucht nehmen, dessen Namen nicht mit der Legitimation von Herrschaft, sondern mit Befreiung von Herrschaft verbunden ist.

Wer hölzerne Götzen umherträgt, hat keine Erkenntnis…“ (Jes 45,20)

Dieser Vers (20b) mag eine später hinzugefügte „Randglosse“, die „von einem Abschreiber in den Text aufgenommen“3 wurde. Darüber mögen sich akademische Exeget*innen die Köpfe zerbrechen. Inhaltlich trifft sie die Sache. Wer seinen Blick von Götzen trüben und sein Herz verschließen lässt, hat keine Erkenntnis. So heißt es auch in Jes 44,18 über diejenigen, die sich vor einem Götterbild aus Holz niederwerfen: „Unwissend sind sie und ohne Verstand; denn ihre Augen sind verklebt, sie sehen nichts und ihr Herz hat keine Einsicht.“ In einer solchen Feststellung geht es nicht einfach um die Machtlosigkeit der Bilder, etwa um deren Entmythologisierung durch aufgeklärte Exegese, die wissenschaftlich feststellt, dass die den Bildern zugesprochene magische Kraft vormodernen mythischen Weltbildern entspricht. Bilder von Götzen sind vielmehr Ausdruck geschichtlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse und deren Legitimation. Dazu steht Israels Gott der Befreiung im Widerspruch. Es geht also nicht einfach um die Entmythologisierung mythischer Weltbilder, sondern um die Entmythologisierung geschichtlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Solche Entmythologisierung scheuen akademische Exeget*innen wie auch ihre akademischen Kolleg*innen in den anderen theologischen (und nicht-theologischen) Fächern wie der Teufel das Weihwasser.

Wer hingegen zur Erkenntnis kommen will, muss umkehren und dabei seinen Blick, seine Perspektive korrigieren. Was das bedeutet, wird bei Jeremia deutlich. Er kritisiert das Unrecht und die Prunksucht, die von König Jojakim ausgehen und Ausdruck seiner Gewaltherrschaft ist (22,13-19). Ihm hält er seinen Vater als Beispiel entgegen: „Bist du König geworden, um mit Zedern zu prunken? Hat dein Vater nicht auch gegessen und getrunken, dabei aber Recht und Gerechtigkeit geübt? Und es ging ihm gut. Den Schwachen und Armen verhalf er zum Recht. Das war gut. Heißt das nicht mich erkennen? – Spruch des Herrn.“ Im Unterschied zur Gotteserkenntnis seines Vater, hält Jeremia Jojakim vor: „Doch deine Augen und dein Herz sind nur auf deinen Vorteil gerichtet, darauf das Blut der Unschuldigen zu vergießen, und darauf, Bedrückung und Erpressung zu verüben“ (Jer 22,17). Gotteserkenntnis bezieht sich vom Blick auf die Armen und Ausgegrenzten ausgehend auf das Ganze der Wirklichkeit. Wenn Götzen gedient wird, kommt es zu Verkehrungen innerhalb der Wirklichkeit. Da wird die „Wahrheit durch Ungerechtigkeit“ (Röm 1,19) niedergehalten, die Herrlichkeit Gottes mit dem Bild des Kaisers vertauscht (Röm 1,23), wie es Paulus im Blick auf Rom formuliert hat. Heraus kommt dabei eine verkehrte Welt, die der Entmythologisierung durch Herrschaftskritik bedarf. Jeremia kritisiert die Propheten als Lügenpropheten, die das Haus Gottes unter der Herrschaft der Könige zu einer „Räuberhöle“ (Jer 7,11) als Hort des Friedens verklären. Ihnen wirft er vor, „den Zusammenbruch der Tochter, meines Volkes, … leichthin heilen“ zu wollen, indem sie sagen: „Friede! Friede! – Doch da ist kein Friede“ (Jer 9,11). In dieser Tradition ist wiederum Paulus zu verstehen, der angesichts der römischen Gewaltverhältnisse das römische Bild von der Pax Romana entmythologisiert, wenn er an die Thessalonicher schreibt: „Während die Menschen sagen: Frieden und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie…“ (1 Thess 5,2).

Wendet euch mir zu und lasst euch erretten, alle Enden der Erde…“ (Jes 45,22)

Die Aufforderung richtet sich an diejenigen, die der durch die Politik der Könige befeuerten Katastrophe der Zerstörung Jerusalems entronnen sind. Sie sollen von den Götzen der Macht und Unterwerfung zum Gott der Befreiung umkehren. Dies gilt nicht nur für die entronnenen Juden, sondern für alle, die Verhältnissen der Macht und Unterwerfung entkommen wollen. Im Unterschied zu der Unterwerfung, die im Rahmen geschichtlicher Gewaltverhältnisse gefordert wird, wird die Hinwendung zu Israels Gott der Befreiung nicht erzwungen. Sie stützt sich nicht auf Macht, sondern auf ein freies Bekenntnis: „Nur beim Herrn – sagt man von mir – sind Heilstaten und Stärke“ (Jes 45,24). Der „Rest Israels – und wer vom Haus Jakob entronnen ist – [wird] sich nicht mehr auf den stützen, der ihn schlägt, sondern er stützt sich in Treue auf den HERRN, den Heiligen Israels“ (Jes 10,20). Dies gilt – so schon bei Jesaja – nicht nur für Israel, sondern für alle Völker. In die Israel verheißene Befreiung sind die Völker einbezogen. Israels Glaube an den einen Gott der Befreiung und seine Verheißungen „besitzt eine universalisierende Tendenz: Jahwe ist nicht mehr nur der Nationalgott Israels (45,3), sondern wird zum Gott aller Welt, zum ‚Gott‘ überhaupt.“4

Vor mir wird jedes Knie sich beugen…“ (Jes 45,23)

Wer vor dem Gott der Befreiung ‚in die Knie geht‘, ihn als undefinierbares und unverfügbares Geheimnis der Wirklichkeit anbetet, wer ihm ‚gehorsam‘ ist, also ein offenes Ohr hat für seine Weisungen der Befreiung, einen klaren Blick auf die Wirklichkeit geschichtlicher Herrschaftsverhältnisse und ihre Opfer, wird weder vor Mächtigen noch vor der Übermacht der Verhältnisse in die Knie gehen, sondern aufrecht widerstehen und aufrecht Wege der Befreiung zu gehen suchen. Entsprechend wird dies in einem von Paulus überlieferten Hymnus aufgenommen, einem Lied aus den messianischen Gemeinden. Darin heißt es im Blick auf den Messias Jesus, in dem das lebendig ist, was der Name Gottes beinhaltet: „Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel und auf der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2,8ff).

Die Treue dem Wirklichen gegenüber“

„Ehrlichkeit gegenüber der Wirklichkeit“ zählt Jon Sobrino zu den „Voraussetzungen und Grundlagen der Spiritualität5. Die von ihr geforderte Haltung ist „nicht immer von Erfolg gekrönt“6. Die heute geforderte Haltung müsste die der ‚Entmythologisierung‘ bzw. der Kritik der kapitalistischen Fetischverhältnisse sein, in denen Menschen dem Zweck der Vermehrung des Kapitals um seiner selbst willen geopfert werden und die unter dem Banner westlicher Freiheit und Demokratie ‚verteidigt‘ werden soll. Im „Ausnahmezustand“, der ja nach dem Nazijuristen Carl Schmitt das zentrale Kennzeichen der Souveränität ist7, werden alle als Feinde erkennbar, die sich nicht als Freunde ausweisen können. Freunde, sind die Realisten, die die Ordnung erhalten wollen, Feinde, diejenigen, die sie erneuern wollen. Der in Krisenzeiten wieder ‚in Mode‘ gekommene Carl Schmitt unterstreicht solche Todfeindschaft mit einem Bild: „Mit jedem neugeborenen Kind wird eine neue Welt geboren. Um Gottes willen, dann ist ja jedes neu geborene Kind ein Aggressor! Ist es auch, und darum haben die Herodesse Recht und organisieren den Frieden“8. Im ‚Ausnahmezustand‘ des Krieges in der Ukraine – von Kanzler Scholz unter dem Jubel aller parlamentarischen Demokraten „Zeitenwende“ genannt – wird die Welt in Freunde und Feinde aufgeteilt und die Feinde ‚in dubio‘ der Vernichtung preisgegeben. Dies schließt das heldenhafte Opfer von Freunden und ‚in dubio‘ Vernichtung als Selbstvernichtung ein, in die potentiell der ganze Globus einbezogen ist.

„Die Treue dem Wirklichen gegenüber“ erfordert heute den Bruch mit den fetischisierten, auf Vernichtung zutreibenden Verhältnissen. Angesagt wäre ein unterbrechender Griff zur Notbremse. Bei Walter Benjamin steht dieses Bild im Zusammenhang seiner Kategorien der Unterbrechung und des dialektischen Bildes. Zu unterbrechen wäre der katastrophische Gang des Fortschritts im Rahmen einer kontinuierlich fließenden Zeit. Beides kann unterbrochen werden durch den Blick auf diejenigen, die dabei zu den Besiegten werden, zu Opfern, über die der Fortschritt in einem geschlossenen Kontinuum der Zeit hinwegwalzt. Das ‚dialektische Bild‘ ist kein Götzenbild, kein überhöhendes ‚Abbild‘ der Verhältnisse, sondern ein das Kontinuum der Geschichte sprengendes Bild, das eine Zäsur im Denken markiert. Wie sehr diese Zäsur „die Geschichte gegen den Strich“9 bürstet, wird in der Verschiebung des Begriffs des „Ausnahmezustands“ deutlich. Gegen den „Ausnahmezustand“, den der Lauf der Geschichte darstellt, kommt es auf „die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands an“10. Er steht im „Zeichen einer messianischen Stillstellung des Geschehens“11 als der „‚Jetztzeit‘, in welche Splitter des Messianischen eingesprengt sind“12. Da, wo es zum Bruch, zur „Zäsur in der Denkbewegung“13 kommt, kann sich jene „kleine Pforte“ öffnen, durch die der Messias treten könnte. Wie auch immer die schillernde Figur des Messias bzw. des Messianischen bei Benjamin interpretiert werden mag, sie steht für einen rettenden Bruch mit dem Gang der Geschichte. „Der Messias bricht die Geschichte ab; der Messias tritt nicht am Ende einer Entwicklung auf“14.

Die Treue gegenüber der Wirklichkeit, die heute als Unter-brechung, als Bruch mit den Verhältnissen gedacht und gelebt werden müsste, führt in Konflikte und Feindschaften. Das ist der Weg der biblischen Gottesknechte bis hin zu dem von Rom gekreuzigten Messias. Erfahrungen von Feindschaft und Ausgrenzung sind Ausdruck dafür, dass sie in „Treue dem Wirklichen gegenüber“15 den Opfern und Gott treu geblieben sind:Auch als alles aussah, als ob das Reich nicht gekommen war und nicht kommen würde, auch als er nur noch glauben und hoffen konnte, dass wenigstens der Vater sein Schweigen hörte, blieb Jesus treu, inkarnierte er sich weiter in die Geschichte, die er hatte umgestalten wollen und die sich nun für ihn ins Kreuz verwandelte. Das Schweigen des Kreuzes war das Schweigen der Geschichte. Aber Jesus hielt durch. Es wäre unehrlich gewesen, hätte er ein anderes Wort als jenes Wort des Schweigens erzwingen wollen. Er nahm das Schweigen und die Last, die es ihm auferlegte, auf sich und blieb treu.“16

Herbert Böttcher

1Vgl. Odo Marquard, Lob des Polytheismus, in Hans Poser (Hg.), Philosophie und Mythos, Berlin 1979, 40 – 59.

2Theodor W. Adorno, Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit, Gesammelte Schriften Bd. 6, Frankfurt am Main 2003, 66.

3Claus Westermann, Das Buch Jesaja. Kapitel 40 – 66, Göttingen und Zürich 1986, 142.

4Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels, Göttingen 1992, 438.

5Jon Sobrino, Geist, der befreit. Lateinamerikanische Spiritualität, 28ff, 33ff.

6Ebd., 33.

7Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin 71996.

8Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947 – 1951, Berlin 1991, 320.

9Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: ders., Abhandlungen. Gesammelte Schriften Band I 2, Frankfurt am Main 72015, 697.

10Ebd.

11Ebd., 703.

12Ebd., 704.

13Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, in: Gesammelte Schriften Band V 2, Frankfurt am Main 72015, 595

14Benjamin, Walter: Anmerkungen zu Über den Begriff der Geschichte, in: Abhandlungen, Gesammelte Schriften Band. I.2, 7. Aufl., Frankfurt 2015b, 1223–1266, 1243.

15Sobrino, 33.

16Ebd., 35.