Unterdrückung, Kriege und Zerstörung: „Babylon“ ist heute weltumspannend! Eine prophetisch-apokalyptische Auslegungsreihe in der Krise des Kapitalismus
Koblenz, 11.03.2023. Der Weltuntergang könnte näher sein als die Menschheit es wahrhaben möchte. Trotzdem ist in der Bibel mit Apokalyptik kein Weltuntergangsszenario beschrieben und Prophetie keine Wahrsagerei, auch wenn dies umgangssprachlich so verstanden werden mag.
Die Auslegungen, die das Ökumenische Netz in einer neuen Broschüre heute veröffentlicht, machen deutlich, dass Prophetie und Apokalyptik zu den herrschaftskritischen biblischen Traditionen gehören, in denen der biblische Gottesname als Gegensatz zu geschichtlichen Herrschaftsverhältnissen gesehen wird. Sie kommen gerade in Krisenzeiten zum Durchbruch, in denen geschichtliche Herrschaft sich so ‚totalisiert‘, dass eine Perspektive der Befreiung in weite Ferne rückt. Apokalyptische Traditionen fliehen nicht aus der Geschichte, sondern widerstehen der Herrschaft und ihren Ansprüchen. Sie speisen sich aus der biblischen Unterscheidung zwischen Gott und Götzen, zwischen dem Gott der Befreiung, der Wege ins Leben bahnt, und Götzen des Todes, die Herrschaft legitimieren und Verhältnissen des Unrechts und der Unterdrückung Wege ebnen. Wenn wir heute vor diesem Hintergrund von Götzen sprechen, meinen wir sich selbst als alternativlos divinisierende Herrschaft wie sie aktuell in den weltweiten Fetischverhältnissen des Kapitalismus – gewissermaßen das Babylon von heute, das in der Johannesoffenbarung das Römische Reich war – wirksam ist: Götzenherrschaft versklavt, macht abhängig, schnürt ein, verführt und zerstört unzählige Menschenleben sowie die natürlichen Grundlagen allen Lebens.
Gottes befreiender Name steht gegen diese und jede Form von Herrschaft, auch wenn wir uns angesichts des erfahrenen Schweigens Gottes inmitten von Katastrophen fragen, wo Gott bleibt und wie wir von ihm angemessen sprechen können angesichts dessen, was Menschen erleiden. Die Rückfrage nach Gott aus dem Leid ist keine Alternative zur Frage nach den Menschen und ihrem Handeln. Die Rückfrage an Gott „Wo bist du, Gott?“ korreliert mit Gottes Rückfrage an den Menschen „Wo bist du, Adam?“ (Gen 3,9). Beide Fragen lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Noch weniger lassen sie sich letztgültig beantworten. Sie ermutigen aber dazu, sich mit den Verhältnissen nicht abzufinden, sondern gegen sie aufzustehen und dabei den Schrei nach Gott als Schrei nach Befreiung und Rettung nicht verstummen zu lassen. Der Schrei nach Gott ist jedenfalls (noch?) nicht verstummt und damit auch nicht die Hoffnung darauf, dass die Schrecken der Herrschaft hinsichtlich der aktuellen geschichtlichen Verhältnisse wie auch im Blick auf die Geschichte als ganzer das ‚letzte Wort‘ behalten.
In den Texten aus den prophetischen und vor allem apokalyptischen Traditionen der beiden Testamente artikuliert sich die Hoffnung, dass Gottes Gericht die Herrschaftsverhältnisse richtet und ihren Opfern Gerechtigkeit und Rettung widerfahren lässt und darin einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“ (Offb 21) zum Durchbruch verhilft, in den auch die Toten einbezogen sind. Es versteht sich von selbst, dass diese Hoffnung gelebt werden will als Umkehr, als Unterbrechung, heute als Bruch mit den herrschenden, patriarchal-kapitalistischen Verhältnissen des Todes. Den Bezug zwischen der damaligen und heutigen Götzenherrschaft versucht der Autor Herbert Böttcher, Vorsitzender des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saar und des Vereins für kritische Gesellschaftswissenschaften ‚exit‘, anhand einiger aktueller Beispiele (Ukraine-Krieg, Flucht, soziale Ungleichheit) zu verdeutlichen.
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