Apg 17,16-21
16 Während Paulus in Athen auf sie wartete, wurde sein Geist von heftigem Zorn erfasst; denn er sah die Stadt voll von Götzenbildern. 17 Er redete in der Synagoge mit den Juden und Gottesfürchtigen und auf dem Markt sprach er täglich mit denen, die er gerade antraf. 18 Einige von den epikureischen und stoischen Philosophen diskutierten mit ihm und manche sagten: Was will denn dieser Schwätzer? Andere aber: Er scheint ein Verkünder fremder Gottheiten zu sein. Denn er verkündete das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung. 19 Sie nahmen ihn mit, führten ihn zum Areopag und fragten: Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du vorträgst? 20 Du bringst uns recht befremdliche Dinge zu Gehör. Wir wüssten gern, worum es sich handelt. 21 Alle Athener und die Fremden dort taten nichts lieber, als die letzten Neuigkeiten zu erzählen oder zu hören.
Paulus in Athen
Nachdem es in Thessalonich (17,1-15) zu Konflikten gekommen war, musste Paulus fliehen. Von Angehörigen der messianischen Gemeinde wird er aus der Stadt gebracht. Einige begleiten ihn nach Athen, kehren aber dann wieder zurück, so dass Paulus in Athen allein ist.
Die Stadt hat zwar keine politische Bedeutung mehr, ist aber ein intellektuelles und kulturelles Zentrum griechisch geprägter Lebensweise, des sog. Hellenismus. Besondere Anziehungskraft entfaltet dieses Zentrum auf römische Eliten. Sie waren hier häufig als Besucher, aber auch als Studierende anzutreffen. Einer von denen, die Athen besuchten, war Nero, der auch als Sänger und – wie auch die anderen Herrscher des julisch-claudischen Kaiserhauses – als Förderer des intellektuellen Wissens und der Kunst auftrat. Paulus ist die Stadt fremd.
Sein Geist „wurde … von heftigem Zorn erfasst…“ (17,16)
Anlass des Zorns, sind die „Götzenbilder“, die Paulus nicht nur sieht, sondern genau betrachtet. Im griechischen Text steht das Verb theoreo, von dem das uns bekannte Wort Theorie kommt. Es geht also um ein nachdenkendes Durchschauen dessen, was ihm vor Augen tritt. Dieses Nachdenken erregt seinen Zorn. Das mit „Götzenbildern“ übersetzte griechische Wort (kateidolon) meint so viel wie ganz und gar mit Bildern ‚zugepflastert‘ – vielleicht vergleichbar mit der Werbung in unseren Städten. Für den messianischen Juden Paulus sind in Bildern dargestellte Götter ‚Nichtse‘ und die ganze Szenerie eine Inszenierung von Nichtigkeiten. „Siehe sie alle sind nichts, ihr Tun ist ein Nichts; windig und nichtig sind die Bilder der Götter“, heißt es bei Jesaja (41,29). Ihr Nichtigkeit schildert er anschaulich in ihrer Herstellung (Jes 44,9-20).
Mit dieser Feststellung könnte man/frau diesen ‚faulen Zauber‘ auf sich beruhen lassen und zur Tagesordnung übergehen. So einfach ist es leider nicht. Das ‚Skandolon‘ für Menschen, die dies nachdenkend durchschauen, besteht darin‚ dass andere Menschen sich diesem Zauber unterwerfen, ihr Leben von ihm abhängig machen, sich davon so beherrschen lassen, dass sie von ihm ‚besessen‘ sind. Diese Erkenntnis dürfte den „heftigen Zorn“ auslösen. Aus heutiger Sicht gibt es keinen Grund, sich darüber erhaben zu fühlen, ist es doch für die ‚aufgeklärte‘ Welt selbstverständlich, sich von Idolen und Produkten samt ihrer Versprechungen abhängig zu machen und das gesamte Leben auf der Erde dem Götzen der Vermehrung des Geldes um seiner selbst willen zu unterwerfen und gar der Vernichtung preiszugeben. Wer darüber nicht den Verstand verliert, so ließe sich im Anschluss an Lessing sagen, hat scheinbar keinen zu verlieren…
„Er redete in den Synagogen mit den Juden und den Gottesfürchtigen…“ (17,17)
Paulus sucht mit der Synagoge einen vertrauten Raum auf. Trotz aller Konflikte, die er auch hier erlebt hat, scheint ihm eine Verständigung möglich. Auf jeden Fall gibt es mit der Schrift eine gemeinsame Basis in der Unterscheidung zwischen dem Gott der Befreiung und den Götzen der Unterdrückung. Aber sein Dialog bleibt nicht auf diesen Raum beschränkt. Er spricht auch „auf dem Markt … täglich mit denen, die er gerade antraf“ (17,17). Sein Weg führt ihn zu den Völkern. Auch ihnen will er den Zugang zu Israels Gott der Befreiung und der mit ihm versprochenen Befreiung eröffnen.
„Einige von den epikureischen und stoischen Philosophen diskutierten mit ihm…“ (17,18)
Mit den Epikureern und Stoikern sind zwei in der Zeit der frühen messianischen Gemeinden prägende philosophische Richtungen angesprochen. Die Epikureer stehen für ein erfülltes Leben ohne Schmerz. Grundlage dafür ist die Gemütsruhe. Mit ihr lässt sich das Leben lustvoll genießen. Dieses Ideal wurde in kleinen Gemeinschaften gelebt. Fern von ‚politischen‘ Auseinandersetzungen sollten sie Orte intensiven Lebens sein. Demgegenüber steht die Stoa für ein Denken, das auf den gesamten Kosmos bezogen ist. Die Natur und die natürlichen Ordnungen sind von einer ‚Vernunft‘, einem Logos geprägt, der allen zugänglich ist, alle Menschen miteinander verbindet und sie befähigt zum Wohl aller zu handeln.
Paulus und diese philosophischen Richtungen bleiben sich fremd. Für die einen ist er ein „Schwätzer“, für andere „ein Verkünder fremder Gottheiten“. In dem zugrunde liegenden griechischen Wort – spermologos – steckt das uns vertraute Wort Sperma, Same, und legein, was ‚sagen‘ aber auch ‚sammeln‘ heißt. ‚Schwätzer‘ wären dann Menschen, die viele Worte ‚aussäen‘, aber ohne etwas zu ‚sagen‘, dass sich in einem sinnvollen Zusammenhang ‚sammeln‘ ließe. „Ein Verkünder fremder Gottheiten“ klingt freundlicher, drückt aber auch das eher abwehrende Erstauen über eine ‚komische‘ Rederei aus. Sie bleibt sonderbar und merkwürdig.
„Denn er verkündete das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung“ (17,18)
Mit diesem begründenden Nachsatz lässt Lukas die ‚Katze aus dem Sack‘. Die Rede von Auferstehung ist dem griechischen Denken völlig fremd. Gedacht wird in Begriffen ursprünglichen und ewigen Seins und seiner ewigen Ordnungen. Da gibt es zwar Lehren vom Weiterleben der Seele, die im Tod aus dem Gefängnis des Leibes zu einem wahren, d.h. von materiellen Bedingungen losgelösten Lebens befreit wird. Die materiellen Grundlagen des Lebens werden gegenüber dem Geistigen abgewertet. Es zählen ewige Ordnungen, aber nicht eine Geschichte, in der Menschen unter Unrecht und Gewalt leiden und nach Befreiung schreien. Der Respekt der jüdischen Tradition vor der materiellen Existenz aus Fleisch und Blut, ihr Denken in geschichtlichen Kategorien von Unterdrückung und Befreiung, vom Ende von Herrschaftsverhältnissen ist griechischem Denken fremd. Nur vor diesem Hintergrund ist Unterdrückung und vorzeitiger Tod ein Skandal, der zum Himmel schreit und nach Befreiung verlangt, nicht der Seele, sondern auch des gefolterten Leibes und nach Ende von Verhältnissen, in denen Menschen über Menschen und die Schöpfung herrschen. Um all diese Dimensionen geht es, wenn von der Auferstehung Jesu die Rede ist. Trotz aller Fremdheit fragen einige:
„Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist…? (17,19)
Diese Frage hat – so Lukas – ihren Grund in der sprichwörtlichen Neugier der Athener. Sie und die Fremden, die sich mit ihnen treffen „taten nichts lieber, als die letzten Neuigkeiten zu hören und zu erzählen oder zu hören“ (17,21). Zur Kategorie des ‚neuesten Geschwätzes‘ gehören die „recht befremdlichen Dinge“ (17,20), von denen Paulus erzählt. Der Ort, an dem solches ‚verhandelt‘ wird, ist der Areopag. Also „nahmen“ sie „ihn mit und führten ihn zum Areopag“ (17,19). Früher war er einmal der Ort, an dem der Rat als oberste Instanz der Polis Athen tagte und an dem das oberste Gericht seinen Sitz hatte. Inzwischen ist er real bedeutungslos, genießt aber noch einen Ruf als Ort des Austauschs von Neuigkeiten und der Auseinandersetzung darüber.
Der Weg des Paulus in Athen führt von der Synagoge über den Markt zum Areopag. Was den Gang der Erzählung in der Apostelgeschichte angeht, ist jetzt der Ort erreicht, wo das Evangelium an einem legendären Ort auf die Welt der Völker trifft. Sie werden repräsentiert durch den Hellenismus und den Areopag als seinen symbolisch zentralen Ort.
Herbert Böttcher