„ … bewahre sie in deinem Namen…, damit sie eins sind wie wir“ (Joh 17,11)

Joh 17,6-11

6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir und du hast sie mir gegeben und sie haben dein Wort bewahrt. 7 Sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist. 8 Denn die Worte, die du mir gabst, habe ich ihnen gegeben und sie haben sie angenommen. Sie haben wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast. 9 Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir. 10 Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein; in ihnen bin ich verherrlicht. 11 Ich bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt und ich komme zu dir. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir!

In diesem Abschnitt des Gebets blickt Jesus auf sein Leben, seine ‚Lebensaufgabe‘, sein ‚Lebenswerk‘ zurück und darauf, wie es von den Seinen an- und aufgenommen wurde (V. 6-8). Danach begründet er seine Gebetsbitte (V. 11a) und spricht sie aus (V. 11b).

Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart…“ (V. 6)

Die Rede vom Namen Gottes macht deutlich, dass es um den Namen geht, nach dem Mose gefragt hatte, als die Stimme aus dem Dornbusch ihm den Auftrag gab, die in Ägypten Versklavten zu befreien. Sie hatte sich Mose als Gott(heit) Abrahams, Isaaks und Jakobs vorgestellt, als Gott(heit), der/die das Elend der Versklavten gesehen und ihre laute Klage gehört hat (Ex 3,7). Sie gibt Mose den Auftrag, die Versklavten zu befreien. Darauf hin fragt Mose die Gott(heit) nach ihrem Namen. „Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14). Hinter der bisher unbestimmten Gottheit steht Gott, der sich mit einem Namen vorstellt, ‚offenbart‘.

Diesen Namen mit dem Verb ‚sein‘ wiederzugeben, greift jedoch zu kurz; denn das dieser Übersetzung zugrunde liegende hebräische Verb haja‘ meint nicht ein höchstes, allem zugrundeliegendes ‚Sein‘ im Sinne griechischer Metaphysik, sondern ‚geschehen‘. Damit ist der Gottesname mit einem ‚Geschehen‘ verbunden: dem Geschehen der Befreiung. ‚Jenseits‘ der Geschichte, in der versklavt, gefoltert nach Befreiung geschrien wird, kann nicht von Gott gesprochen werden. Ein zweites ist wichtig: Die im Hebräischen gebrauchte Form enthält einen Verweis auf Zukunft, der sich etwa so beschreiben lasst: Gott ‚geschieht‘ als Befreier bzw. wird als Befreier ‚geschehen‘. Die Bindung Gottes an die Befreiung und das befreite Volk gilt auch für die Zukunft. Sie enthält die Verheißung: Der Name wird sein befreites Volk auf dem Weg durch die Geschichte begleiten. Er wird auch künftig bei seinem Volk ‚sein‘ und als Befreier ‚geschehen‘. Diese Verheißung greift Jesaja in einer Situation auf, in der Israel durch Fremdherrschaft geknechtet ist und Befreiung und damit seinen Gott vermisst. Er erinnert an die Befreiung aus Ägypten und verweist auf einen neuen Tag der Befreiung: „Darum soll mein Volk an jenem Tag meinen Namen erkennen und wissen, dass ich es bin, der sagt: Ich bin da“ (Jes 52,6). Das Da-‘Sein‘ Gottes bleibt mit dem ‚Geschehen‘ der Befreiung verbunden.

In Erfahrungen von Befreiung und dem mit dem Gottesnamen gegebene Versprechen, im Geschehen der Befreiung bei seinem Volk zu sein, ist Israels Beten als Schrei nach Gott verwurzelt: „Ruf mich am Tag der Not; dann werde ich dich ehren“, heißt es in Ps 50,15; oder im Psalm 91,15: „Ruft er (der Beter) zu mir, gebe ich ihm Antwort. In der Bedrängnis bin ich bei ihm, ich reiße ihn heraus und bringe ihn zu Ehren“. In beiden Psalmen ebenso wie in der griechischen Übersetzung der Psalmen, der Septuaginta, findet sich das hebräische bzw. griechische Verb, das der johanneischen Rede von ‚verherrlichen‘ bzw. ‚die Ehre geben‘ zugrunde liegt. Der Gottesname enthält das Versprechen, dass, wer sich auf Gott verlässt, nicht von den ‚Frevlern‘, d.h. von denen, die ihre Macht mit Gewalt durchsetzen, zu Schanden kommt und zur Schande wird. Ihnen, die auf Gott setzen, ist versprochen, dass sie ‚zu Ehren‘ kommen.

DiesenNamen, der all das beinhaltet, hat Jesus „den Menschen offenbart“ (V. 6). D.h. in seinem Wirken, auf seinem Weg der Solidarität bis hinein in Kreuz und Auferstehen geschieht bzw. wird Wirklichkeit, wofür der Name von Israels Gott steht. In Jesu Wirken ‚geschieht‘ Israels Gott und wird ‚offenbar‘. Im Messias Jesus verdichtet, konzentriert sich, was für Israel als Ganzes gilt. Die Befreiung, die im Messias Jesus und an ihm ‚geschieht‘ ist die mit dem Gottesnamen Israel verheißene Befreiung.

Jesus ‚offenbart‘ also weder einen neuen Gott noch ist er der Stifter einen neuen Religion. Für Johannes steht er für die ‚Präsenz‘ von Israels Gott in Leben und Wirken dieses Messias. Hier ist er – darin liegt der Unterschied zur rabbinischen Sicht zur Zeit des Johannes – zwar nicht exklusiv, aber ‚ganz‘ gegenwärtig. Hier hat er seine ‚Wohnung‘, seine ‚Bleibe‘ nach der Zerstörung des Tempels. In diesem Sinn ist der auferweckte Leib Jesu zum Tempel geworden (2,21). Er bleibt mit denen verbunden, die hier sein befreiendes Wirken in Konfrontation mit der Herrschaft der Weltordnung erkennen.

Von daher wird verständlich, dass Jesus für die bittet, die der Vater ihm „aus der Welt gegeben“ gegeben hat. Es sind diejenigen, die zu Israels Gott und nicht zur Weltordnung des römischen Imperiums gehören. Sie sind nicht der Weltordnung gefolgt, sondern Gottes Wort der Befreiung, das mit der Weltordnung bricht und nur im Widerspruch zu ihr „bewahrt“ werden kann.

Sie haben jetzt erkannt, dass…“ (V. 7f)

Auf der Erzählebene haben die JüngerInnen ‚jetzt‘ noch überhaupt nichts erkannt, sondern haben sich „versprengt“, „jeder in sein Haus“, ‚in sein Eigenes‘ (17,32f). Wenn Jesus in seinem Beten von ‚Jetzt‘ spricht, hat er – schon auf Kreuz und Auferstehung voraus greifend – die messianische Gemeinde im Blick. Sie hat die Worte angenommen, die der Vater seinem Messias gab. Diese Worte sollen sie ‚bewahren‘. Interessant ist, dass der griechische Text nicht einfach von Worten (logoi), sondern von ‚gesprochenen Worten‘ (rhämata) spricht. Im Blick ist nicht hier einfach das Wort der Schrift, sondern das von Jesus gesprochene Wort, das die Schrift interpretiert. Diese mündliche Überlieferung steht im Widerspruch zur mündlichen Überlieferung der Pharisäer1. Wenn Jesu Reden als Interpretation der Schrift ‚bewahrt‘ werden, kann auch die Erkenntnis bewahrt werden, „dass ich von dir ausgegangen bin“ genau jene Erkenntnis, durch die sie „zu dem Glauben gekommen sind, dass du mich gesandt hast“ (V. 8).

Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich…“ (V. 9f)

Im Blick sind diejenigen, die durch die Welt(ordnung) in Bedrängnis sind, ‚eingeschnürt‘ und ‚ohne Ausweg‘ (16,33). Hier steht Johannes in einem deutlichen Gegensatz zum Ersten Petrusbrief, der zur Unterordnung der Sklaven unter ihre Herren (1 Petr 2,18ff), der Frauen unter ihre Männer (3,1ff) und gleichsam als Überschrift über beides zur Unterordnung unter den Kaiser mahnt (2,11ff), und dies in der Formel zusammenfasst: „Fürchtet Gott und ehrt den Kaiser“ (2,17). Aus solchen Loyalitäten mögen dann Fürbitten für Volk und Vaterland erwachsen sein, die dann Ausdruck der kirchlichen Ergebenheit an die Obrigkeiten wurden. Mit solchen Loyalitäten hat Johannes nicht nur nichts im Sinn, sondern bekämpft sie, hält sie für eine Sünde, die nicht „erlassen“ werden kann (Joh 20,23), solange durch sie die Weltordnung ‚verherrlicht‘ und ihr statt dem Messias die ‚Ehre‘ gegeben wird.

In denjenigen, für die Jesus bittet, also in denjenigen, die unter der Weltordnung in ‚Bedrängnis‘ sind, weil sie ihr die beanspruchte ‚Verherrlichung‘ und ‚Ehre‘ verweigern, ist der Messias ‚verherrlicht‘. „Gegenstand des Gebets sind die, die Gott dem Messias gegeben hat, weil sie das Israel Gottes sind, und weil sie Gottes sind, sind sie auch des Messias. In ihnen hat der Messias ‚seine Ehre erhalten‘“2. Weil der Messias die Weltordnung ‚besiegt hat‘ (16,33), können diejenigen die der Vater ihm gegeben hat, davor ‚bewahrt‘ werden, dass sie mit dem Messias brechen, ihn ‚verraten‘ und wie Judas mit der Weltordnung kooperieren.

Ich bin nicht mehr in der Welt…, bewahre sie in deinem Namen, … damit sie eins sind wie wir“ (17,11)

Unser Abschnitt schließt mit dem Inhalt der Bitte. Sie ergibt sich daraus, dass der Messias „nicht mehr in der Welt“ ist, weil er in die Verborgenheit des Namens Gottes zurückgekehrt ist, in die Verborgenheit eines Geheimnisses, das nicht zu ‚definieren‘, zu ‚umgrenzen‘ und über das schon gar nicht zu verfügen ist. Angesichts der Erfahrung, vom Messias verlassen zu sein, angesichts der Situation der ‚Bedrängnis‘, in der die messianische Gemeinde die ‚Sichtbarkeit‘ des Messias vermisst, bittet Jesus darum, dass der ‚heilige Gott‘ sie in seinem Namen bewahre. Die MessianerInnen sollen in seinem „Namen bewahrt“ bleiben, in der ‚Heiligkeit‘ des Gottesnamens ‚bleiben‘, dessen Heiligkeit darin zum Ausdruck kommt, dass er von Ägypten, von ‚Weltordnungen‘ der Knechtschaft trennt und dadurch die ‚Seinen‘ bewahrt: „Ich bin der HERR, der euch aus Ägypten herausgeführt hat, um euer Gott zu sein. Ihr sollt daher heilig sein, weil ich heilig bin“ (Lev 11,45).

Die Bewahrung im Namen Gottes zielt darauf ab, dass „sie eins sind wie wir“. Gemein ist das ‚eins sein‘ im Geschehen der Befreiung, in dem, was Inhalt und Geschehen des Gottesnamens ist. Wie der Messias darin in seinem Reden und Wirken mit dem Vater eins ist (vgl. auch 10,30), so soll auch die messianische Gemeinde darin ‚eins‘ mit dem Vater und solidarisch miteinander und untereinander sein. Traditionell wird dieses ‚eins sein‘ katholisch mit der Einheit der Kirche oder ökumenisch mit der Einheit der Kirchen in Verbindung gebracht. Dann aber kann die Einheit der Kirche nicht Unterordnung unter eine patriarchal-klerikale Macht und/oder die Organisationsentwicklung einer unternehmerischen Kirche sein. Die Kirche müsste ‚eins sein‘ mit dem Messias im ‚Eins sein‘ mit den Opfern von Herrschaft und darin im solidarischen Widerstehen gegen solche Herrschaft. Solche Einheit fürchten Ratzinger & Co ebenso wie die Organisationsentwickler mehr als der Teufel das Weihwasser. Auch hier ist – analog zum Missbrauchsskandal – der institutionelle Schutz der Kirche durch Loyalitäten gegenüber der Weltordnung wichtiger als das ‚Eins sein‘ mit dem Messias und seinem Gott an der Seite der Opfer.

Herbert Böttcher

1Ton Veerkamp, Das Evangelium nach Johannes, Texte & Kontexte, Sonderheft Nr. 3, Berlin 2015, 124, 46.

2Ton Veerkamp, Der Abschied des Messias. Eine Auslegung des Johannesevangeliums II. Teil: Johannes 10,22-21,25, Texte & Kontexte, Nr. 113-115, 30. Jahrgang 1-3, Berlin 2007, 75.