Joh 2,1-12
1 Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt und die Mutter Jesu war dabei. 2 Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen. 3 Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. 4 Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. 5 Seine Mutter sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut! 6 Es standen dort sechs steinerne Wasserkrüge, wie es der Reinigungssitte der Juden entsprach; jeder fasste ungefähr hundert Liter. 7 Jesus sagte zu den Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis zum Rand. 8 Er sagte zu ihnen: Schöpft jetzt und bringt es dem, der für das Festmahl verantwortlich ist! Sie brachten es ihm. 9 Dieser kostete das Wasser, das zu Wein geworden war. Er wusste nicht, woher der Wein kam; die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wussten es. Da ließ er den Bräutigam rufen 10 und sagte zu ihm: Jeder setzt zuerst den guten Wein vor und erst, wenn die Gäste zu viel getrunken haben, den weniger guten. Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt aufbewahrt. 11 So tat Jesus sein erstes Zeichen, in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn. 12 Danach zog er mit seiner Mutter, seinen Brüdern und seinen Jüngern nach Kafarnaum hinab. Dort blieben sie einige Zeit.
„Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt…“ (2,1)
Die einleitende Bemerkung „am dritten Tag“ verbindet die Erzählung von Jesu „erstem Zeichen“ mit dem Zusammenhang des Evangeliums. Zum einen bezieht sie sich zurück auf das, was mit der Befragung (1,19ff), dem Zeugnis des Täufers (1,29ff) und dem Zusammenfinden der ersten Jünger (1,35ff) erzählt worden ist. Zum anderen klingt der Tag der Auferstehung an, der in den messianischen Gemeinden schon recht früh am Sonntag begangen wurde. Der Ort, an dem die Hochzeit stattfindet, ist „Kana in Galiläa“. Nach Jos 19,28 ist Kana „ein nördlicher Grenzort des Stammesgebietes Ascher. Ascher liegt an der nördlichen Peripherie, Kana ist in dieser Peripherie wiederum Peripherie“1. Sozusagen an der Peripherie der Peripherie findet „eine Hochzeit statt“.
Diese Hochzeit ist jedoch eine besondere Hochzeit. Am Ende der Erzählung wird sie Jesu „erstes Zeichen“ (V. 11) genannt. Sie ist ein Zeichen für die Hochzeit Gottes mit einem Volk, die Jesaja als Perspektive für die Zeit nach dem babylonischen Exil so beschreibt:
„Nicht länger nennt man dich die Verlassene und dein Land nicht mehr Verwüstung, sondern du wirst heißen: Ich habe Gefallen an dir und dein Land wird Vermählte genannt. Denn der Herr hat an dir Gefallen und dein Land wird vermählt. Wie der junge Mann die Jungfrau in Besitz nimmt, so nehmen deine Söhne dich in Besitz. Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich“ (Jes 62,4f).
Der Hinweis auf Nazaret (1,46) als Ausdruck der niedrigen Herkunft Jesu wird hier noch einmal gesteigert: Ganz am Rand, auf einem unbedeutenden Flecken, noch weit weg von Jerusalem wird die messianische Hochzeit gefeiert. Hier beginnt Israels Aufrichtung nach dem Desaster des Krieges.
„… und die Mutter Jesu war dabei“ (V. 1)
Gleich zu Beginn der Erzählung wird sie eingeführt. In dem, was zu erzählen ist, wird sie eine bedeutende Rolle übernehmen. Sie wird in einer prekären Situation zwischen Jesus und den Feiernden eine Brücke schlagen. Am Ende des Evangeliums wird sie zusammen mit anderen Jüngerinnen und dem sog. Lieblingsjünger unter dem Kreuz stehen (19,25ff). In dieser Rolle ‚vermittelt‘ sie zwischen Israel und dem Messias. Unter dem Kreuz wird sie zur Mutter des sog. Lieblingsjüngers, eines idealen Jüngers aus Israel, der Jesus nachfolgt. Zwischen Jesus und den Hochzeitsgästen zu ‚vermitteln‘ ist auch ihre Rolle in der Erzählung.
„Als der Wein ausgegangen war…“ (V. 2)
…ergreift sie in einer für das Fest prekären Situation die Initiative. Wenn der Wein ausgeht, ist das Fest bedroht und der Einladende steht als Versager da. Er hat nicht getan, was seine Sache gewesen wäre, nämlich seine Gäste zu erfreuen. In der Tradition Israels gehört der Wein dazu wie das Brot. Gott schenkt Wein und Brot: „Wein, der das Herz des Menschen erfreut“ und Brot, das „das Herz des Menschen stärkt“ (Ps 104,14). Ohne Wein und Brot lässt sich kein Fest feiern. Ohne Wein und Brot ist keine messianische Welt vorstellbar. Und bliebe es beim Brot allein, ginge es ‚nur‘ um ‚satt werden‘. Die messianische Welt ist aber keine asketische Welt, sondern davon geprägt, dass Menschen satt und ihres Lebens froh sind. Wie in der modernen Frauenbewegung Brot und Rosen so gehören in den messianischen Gemeinden Brot und Wein zusammen. Ohne Wein gibt es keine messianische Welt.
„Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (V. 4)
Der Messias scheint die ‚Vermittlungsversuche‘ seiner Mutter brüsk zurück zu weisen. Die mit „Was willst du von mir?“ übersetzte Formulierung ist ein in der Bibel vertrauter Ausdruck. Er „bedeutet, dass ein gemeinsames Anliegen zwischen zwei Personen in Frage gestellt wird“2. Die „Stunde“, auf die Jesus verweist, ist im Evangelium die Stunde der Kreuzigung. Es ist die Stunde, in der die Solidarität Jesu mit seinem erniedrigten Volk zur Vollendung, zum Ziel kommt (19,30). Noch ist das Ziel nicht erreicht. Das ist der Einwand Jesu gegenüber der Bitte seiner Mutter. Und selbst noch der Auferstandene formuliert gegenüber Maria aus Magdala den Einwand des ‚noch nicht‘. Die Versuchung ihn festzuhalten, wehrt er mit dem Hinweis ab: „Ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen“ (20,17). Das „noch nicht“ gilt, bis alles erfüllt, die messianische Welt Wirklichkeit geworden ist. Ein messianisches Fest, eine messianische Hoffnung kann nur als Vorgriff auf diese Erfüllung und die mit ihr untrennbar verbundene „Stunde“ der Kreuzigung gefeiert werden. Der Ausweg in ‚positive‘ Illusionen, in Hoffnungen und schöne Welten wohliger Befindlichkeiten, die ohne Bezug zur Wirklichkeit des Leidens und der Leidensgeschichten bleiben, wird versperrt. Ohne den „Kältestrom der Analyse“ – so schärft auch Ernst Bloch ein – kann es keinen „Wärmestrom der Hoffnung“ geben3. Es ließe sich auch an Papst Franziskus erinnern, der gegen kapitalistischen Individualismus darauf besteht, dass die Pandemie „uns daran erinnert, dass niemand alleine gerettet wird“4.
„Seine Mutter sagte zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut!“ (V. 4)
Genau darauf kommt es an, auf den Messias zu hören. Das heißt zugleich: auf Israels Gott und auf die Schrift zu hören. Die messianischen Gemeinden sollen den Weg des Messias gehen, den sie – wie die ersten Jünger – gefunden haben und von dem Philippus gesagt hatte: „Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus, den Sohn Josefs, aus Nazaret“ (1,45). Und dieser Weg führt zu seiner „Stunde“ unter das Kreuz. Ohne Solidarität mit den Erniedrigten kann es keine messianische Welt geben. Mit dem Rücken zu ihnen kann auch kein messianisches Fest gefeiert werden. Im Vorgriff auf die messianische Welt und im Bewusstsein, dass der Weg über die „Stunde“ des Messias am Kreuz führt, kann die Hochzeit gefeiert werden.
„Jesus sagte zu den Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser!“ (V. 7)
Das in diesen Krügen aufbewahrte Wasser dient der rituellen Reinigung. Das ist alles andere als eine ‚Äußerlichkeit‘ die gegen vermeintlich höherwertige ‚Innerlichkeiten‘ ausgespielt und dann noch antijudaistisch gegen das ‚Alte Testament‘ in Stellung gebracht werden dürfte. Die Reinigungsriten erinnern daran, dass Israel als heiliges Volk vor seinem Gott lebt. Es soll sich ‚rein‘, d.h. fern halten von Ägypten, von den Götzen der Herrschaft, die das Volk versklaven. Was für die Priester im Tempel galt, ‚rein‘ vor Gott zu treten, das sollte nach den Intentionen der Pharisäer auch im Alltag geschehen: ‚rein‘ und ‚gereinigt‘ von den Götzen vor Gott zu leben. Das war in der Zeit, als der Tempel durch Rom zerstört war, umso wichtiger geworden. Durch die Treue zur Tora – das ist die Intention des Johannes – soll Israel in ein messianisches Israel verwandelt werden, das sich vom Messias Jesus aufrichten und sich von ihm Wege messianischer Befreiung weisen lässt. Im Unterschied zu „dem, der für das Fest verantwortlich ist“ (V. 8), ein Vertrauter des Bräutigams, wissen die „Diener“, was es mit dem in Wein verwandelten Wasser auf sich hat. Der nichts ahnende Vertraute sagt zum Bräutigam:
„Jeder setzt zuerst den guten Wein vor und erst, wenn die Gäste genug getrunken haben, den weniger guten. Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt aufbewahrt“ (V. 10)
Die Übersetzung mit ‚aufbewahren‘ mag sich auf den ersten Blick ‚leichter‘ und ‚süffiger‘ in den Erzählfaden einfügen. Das steht aber so nicht im Original und verdunkelt zudem den Zusammenhang, auf den es ankommt. Die Rede ist nicht einfach von ‚aufbewahren‘, sondern von ‚bewahren‘, also wird dem Bräutigam gesagt, er habe den guten Wein ‚bewahrt‘. Johannes benutzt hier das gleiche Verb wie an anderen Stellen, an denen er vom ‚Bewahren‘ der Tora oder analog dazu vom ‚Bewahren‘ der Worte des Messias spricht, z.B.: „Wenn ihr meine Gebote haltet (wörtlich: ‚bewahrt‘), werdet ihr in meiner Liebe (‚Solidarität‘) bleiben…“ (Joh 15,10). Das Bewahren der Tora in den Worten des Messias und das ‚Bleiben‘ in der Solidarität mit dem Messias und untereinander legt der Messias der Gemeinde angesichts der bevorstehenden „Stunde“ ans Herz und bereitet sie darauf vor, auch nach der Auferstehung ohne die unmittelbare Gegenwart des Messias messianisch zu leben.
‚Bewahrt‘ hat der Bräutigam – so sein Vertrauter – den Wein „bis jetzt“. Im Streit um die Heilung eines Gelähmten am Sabbat (Joh 5), wird Jesus seinen Gegnern entgegen halten: „Mein Vater wirkt bis jetzt und auch ich wirke. Mit dem Wirken des Messias und dem Halten der Wege der Befreiung kann Israel verwandelt werden, kann Lähmung in Gehen, Unterdrückung in Befreiung, Resignation in Hoffnung verwandelt werden. Das gilt „bis jetzt“ und vor allem im Blick auf „die Stunde“ am Kreuz, in der der Weg des Messias als Weg der Treue zu seinem Gott und dem geschundenen Volk zum Ziel kommt. Dann wird sich die Trauer in Freude verwandeln; dann werden sie erfüllt sein von der Sehnsucht nach dem Messias. „Bis jetzt“ – so sagt Jesus in den Abschiedsreden, in denen er die Jüngerinnen und Jünger darauf vorbereiten, ohne die unmittelbare Gegenwart des Messias messianisch zu leben – habt ihr noch um nichts in meinem Namen gebeten. Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei“ (16,24). Die Sehnsucht nach dem Messias verändert die Bitten. Sie zielen nicht auf dies und das, sondern auf die „Fülle des Lebens“ (10,10) in der messianischen Welt, in der der Wein ‚überfließt‘.
„So tat Jesus sein erstes Zeichen … und offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn“ (V. 12)
Das „erste“ Zeichen meint nicht einfach das numerische erste Zeichen, dem weitere folgen werden, sondern ein grundlegendes, ‚prinzipielles‘ Zeichen, ein ‚Realsymbol‘, in dem schon das gegenwärtig ist, worum es im Blick auf das ‚Ganze‘ geht: die messianische Welt, in der Gott und sein Volk, Gott und seine Schöpfung zusammenfinden. Dann ist Israel aufgerichtet und mit ihm ‚alle Welt‘ und die Schöpfung. Im Vorgriff darauf und im Bewusstsein, dass der Weg zur messianischen Herrlichkeit über die Solidarität mit den Erniedrigten und damit über die „Stunde“ am Kreuz führen wird, kann ein messianisches Hochzeitsfest gefeiert werden. Sein Horizont ist nicht die „Stunde“ derer, die immer schon ‚da sind‘, sich immer schon in der Stunde erfüllten Glücks wähnen bzw. sich illusorisch da hinein halluzinieren. Es ist ein Fest, das die Erfüllung für diejenigen im Blick hat, die in der „Stunde“ der Erniedrigung und des Leidens stehen und das „bis jetzt“ noch keine Erfüllung gefunden hat. Sie suchen die Sehnsucht zu „bewahren“, dass sich ihre Stunde verwandeln wird in eine „Stunde“ der Verherrlichung, so wie die Stunde der Erniedrigung für den Messias zur Stunde seiner Verherrlichung, des Gerichts über Rom und der Bestätigung seines Weges der Solidarität und der Vollendung seines Lebens in Gottes messianischer Welt wurde.
In diesem Sinne „glaubten“ seine Jünger „an ihn“. Sie setzten ihr Vertrauen auf diesen Weg und ihre Hoffnung auf die Verwandlung einer Welt des Terrors und der Gewalt in eine messianische Welt. Solcher Glaube springt nicht in scheinbar hoffnungsvolle illusionäre Traumwelten, sondern hält denen die Treue, die unter der herrschenden Weltordnung zu leiden haben und setzt sich selbst dem Leiden aus. Insofern ist solcher Glaube immer auch angefochtener Glaube. Er lässt sich anfechten von der Leidensgeschichte der ‚Welt‘. Er ist nicht ohne Zweifel ‚zu haben‘ und versucht dennoch, in Anfechtung und Zweifel die Sehnsucht nach der messianischen Welt als rettende Welt für die Opfer und darin für alle zu ‚bewahren‘.
Herbert Böttcher
1Ton Veerkamp, Der Abschied des Messias. Eine Auslegung des Johannesevangeliums I. Teil: Johannes 1,1-10,21, in: Texte & Kontexte. Exegetische Zeitschrift Nr. 109-111, 29. Jahrgang 1-3/2006, 44.
2Ebd., 46.
3Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Band 1, Frankfurt am Main 1970, 235fff.
4Papst Franziskus, Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise.