Gemeinsames Lernen und Zusammenleben, Apg 2,41b-47

Apg 2,41b-47

An diesem Tag wurden ihrer Gemeinschaft etwa dreitausend Menschen hinzugefügt. 42 Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. 43 Alle wurden von Furcht ergriffen; und durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen. 44 Und alle, die glaubten, waren an demselben Ort und hatten alles gemeinsam. 45 Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte. 46 Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Lauterkeit des Herzens. 47 Sie lobten Gott und fanden Gunst beim ganzen Volk. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten.

 

Auf die Predigt des Petrus hin (Apg 2,1-36) ließen sich viele taufen. Der messianischen Gemeinde wurden – so heißt es im Text – „dreitausend Menschen hinzugefügt“ (V. 41b). Die Bemerkung erinnert an Ex 32,28: „Vom Volk fielen an diesem Tag dreitausend Mann.“ Gemeint ist eine Szene nach der Zerstörung des ‚goldenen Kalbs‘. Leviten, die Priester, töteten auf Befehl des Mose 3000 von denjenigen, die das Kalb gefordert und es angebetet hatten. Was auch immer hinter dieser brutalen Szene stecken mag: die Erfahrung dass die Hinwendung zu Götzen der Herrschaft zur Selbstzerstörung des Volkes führen muss oder auch eine ‚Reinigung‘ des Volkes durch Gewalt – in der Apostelgeschichte geht es darum, dass die Verminderung des Volkes in Hinzufügung umgekehrt wird. Es gibt auch keine gewaltsame Reinigung, sondern Umkehr zu einem Leben in Befreiung. Diese geschieht inmitten der Gewaltverhältnisse des römischen Reiches und angesichts gewaltsamer Aufstände gegen diese Verhältnisse durch die Bewegung der Zeloten. Gewaltverhältnisse und Gewaltaufstände haben Israel an den Abgrund getrieben. Mit der Umkehr zum Messias Jesus beginnt ein neuer Weg, der sich im Leben der messianischen Gemeinde Ausdruck verschafft.

Deren Leben war geprägt durch das Festhalten an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. Das griechische Verb (proskarterein), das mit ‚festhalten‘ übersetzt wird, meint: sich stark machen. D.h. in der Situation der Bedrohung macht sich die messianische Gemeinde stark durch Lehre, Gemeinschaft, Brot brechen und Gebete. Da es den messianischen Glauben nicht ohne Inhalte geben kann, braucht er eine Lehre, die in den biblischen Traditionen wurzelt, an sie erinnert, bedacht und auf die aktuelle Situation hin gedeutet wird. Im Hintergrund dürfte die jüdische Tradition der Lehrhäuser stehen, in denen die Lektüre der Bibel und ihre Interpretation für die Gegenwart eingeübt wurde. Die biblische Erinnerung und ihre Reflexion konstituierte die Gemeinschaft, hielt sie zusammen. Die messianische Gemeinde suchte die biblischen Traditionen im Blick auf den Messias Jesus zu verstehen. Lehre und sinnliche Erfahrung mit Essen und Trinken, Brechen des Brotes, gehören zusammen. Das gilt schon für die Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten im Pascha-Mahl. Für die messianische Gemeinde ist im Mahl zugleich die Erinnerung an den Messias Jesus lebendig. Wenn Lukas in einer Reihe mit dem Festhalten an der Lehre das Festhalten an den Gebeten nennt, dürfte er an das ‚Vater unser‘ denken, dem in seinem Evangelium die Erinnerung an das Gebet Jesu und die Bitte der Jünger vorangeht: „Herr, lehre uns beten…“ (Lk 11,1). Auch das Gebet muss gelernt sein, geht es in seinen Inhalten doch wesentlich um das, was die Hoffnung der messianischen Gemeinde ausmacht: die Heiligung des Gottesnamens, das Kommen des Reiches, das tägliche Brot und ein neuer Weg in der Vergebung für die Irrwege (Lk 11,2-4).

Alle, die sich in all dem ‚stark machen‘ und den ‚Wundern und Zeichen‘ der Befreiung vertrauten, „waren an demselben Ort“ (V. 44), waren – wie wir auch übersetzen können – auf ‚dasselbe ausgerichtet‘ oder wurden durch dasselbe zusammen gehalten. Eine auf die genannten Inhalte und Hoffnungen ausgerichtete und durch sie zusammen gehaltene Gemeinschaft ist keine auf die Innerlichkeit von Gefühlen aufgebaute Vereinigung. Sie findet ihren Ausdruck in materieller Gemeinschaft. „Sie hatten alles gemeinsam“, sagt der Text (V. 44). Diese Gemeinschaft ist geeint, weil es in ihr – wie es Dtn 15,4 fordert – keine Armen gibt. Unser Text spricht vom Verkauf von Hab und Gut. Dabei steht das Verb ‚verkaufen‘ griechisch im Imperfekt. Diese Form meint eine sich wiederholende Handlung. Dann könnte gemeint sein: wenn es notwendig war, wurde immer wieder einmal Hab und Gut verkauft, damit es in der messianischen Gemeinde keine Armen geben musste. All das mündet ein in das Lob Gottes, der sein Volk befreit und der mitten in der Perspektivlosigkeit römischer Gewaltherrschaft mit seinem Messias einen neuen Weg der Befreiung eröffnet hat.

Wie wichtig die gemeinsame Prägung durch die Verwurzelung in den Inhalten der Lehre und in der Praxis des Zusammenlebens war, unterstreicht noch einmal der Schluss des Abschnittes. Nach der neuen Einheitsübersetzung schließt er mit der Bemerkung: „Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten“ (V. 47). Im griechischen Original taucht wieder die Formulierung auf, die sich mit ‚auf dasselbe aus sein‘ wiedergeben ließe. Dann wäre der letzte Satz so zu verstehen: Gott tat Tag für Tag Gerettete hinzu, die auf dasselbe hin ausgerichtet waren.