Christi Himmelfahrt

Erste Lesung:

Hinführung:

Durch die Lesungen der Gottesdienste in der Osterzeit ziehen sich wie ein roter Faden Texte aus der Apostelgeschichte. Von der Dramatisierung dessen, was sie erzählt, ist auch das Kirchenjahr bestimmt. Es sind vierzig Tage bis zur Himmelfahrt und noch einmal zehn Tage bis Pfingsten. Inhaltlich geht es darum, sich darauf zu besinnen, was die Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten für den Weg der messianischen Gemeinde, für ihre Sendung zu bedeuten hat. Das wird bereits im Prolog zur Apostelgeschichte deutlich.

Apg 1,1-11

1 Im ersten Buch, lieber Theophilus, habe ich über alles berichtet, was Jesus von Anfang an getan und gelehrt hat, 2 bis zu dem Tag, an dem er in den Himmel aufgenommen wurde. Vorher hat er den Aposteln, die er sich durch den Heiligen Geist erwählt hatte, Weisung gegeben. 3 Ihnen hat er nach seinem Leiden durch viele Beweise gezeigt, dass er lebt; vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen. 4 Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt! 5 Denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden. 6 Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? 7 Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. 8 Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. 9 Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. 10 Während sie unverwandt ihm nach zum Himmel emporschauten, siehe, da standen zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen 11 und sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch fort in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.

Zweite Lesung:

Hinführung:

Der Text aus dem Epheserbrief beschreibt, welche Macht Gott an seinem Messias gezeigt hat: Er hat ihn auferweckt , „über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften“ (Eph 1,21) erhoben und ihm „alles zu Füßen … gelegt“. Von ihm ist die Kirche erfüllt. Daher haben auch die Glaubenden an seiner Macht Anteil. Sie sollen sich bewusst werden, „wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist…“ (Eph 1,19).

Eph 1,17-23

17 Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt. 18 Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt 19 und wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke. 20 Er ließ sie wirksam werden in Christus, den er von den Toten auferweckt und im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben hat, 21 hoch über jegliche Hoheit und Gewalt, Macht und Herrschaft und über jeden Namen, der nicht nur in dieser Weltzeit, sondern auch in der künftigen genannt wird. 22 Alles hat er ihm zu Füßen gelegt und ihn, der als Haupt alles überragt, über die Kirche gesetzt. 23 Sie ist sein Leib, die Fülle dessen, der das All in allem erfüllt.

Evangelium: Mt 28,16-20

16 Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. 17 Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder, einige aber hatten Zweifel. 18 Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. 19 Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes 20 und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Vor dem Hintergrund des überschwänglichen Textes aus dem Epheserbrief könnte im Text des Evangeliums eine Spannung auffallen: Da heißt es von den Jüngerinnen und Jüngern: „Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel“ (Mt 28,17). Das ist eine nicht ganz richtige und zudem beschönigende Übersetzung. Klaus Wengst übersetzt so: „Als sie Jesus erblickten, fielen sie vor ihm nieder. Sie zweifelten aber auch“ – und fügt hinzu: „nicht nur ‚einige‘, nein alle“[1]. Angesichts der Zweifel „trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28,18). Der Begriff Macht (griechisch: exousia, lateinisch: potestas) ist ein politischer Begriff, der den Gegensatz zwischen der Macht Jesu und der Macht des römischen Imperiums markiert. Diese Macht wird dem vom Imperium Gekreuzigten, aber auferweckten, ausdrücklich von Gott verliehen.

Ein Opfer römischer Macht bekommt Macht über das Imperium. Das macht den Unterschied zu jener Macht aus, die der Satan Jesus in der Versuchungsgeschichte (Mt 4,1-11) angeboten hatte. Sie war die Macht nach der Art des Imperiums. Ihr hat Jesus die Zustimmung verweigert. Als Opfer dieser Macht bekommt er nun von Gott eine andere Macht zugesprochen. Es ist die Macht, die sich als Macht der Gerechtigkeit an der Seite der Armen und vom Imperium Hingerichteten erweisen soll und somit als Gegen-Macht zur Macht des Imperiums. Ihre ‚Autorität‘ gewinnt sie aus der Schrift bzw. aus der Autorität von Israels Gott, von dem die Tora erzählt, dass er die Schreie der Opfer hört.

Ob der Hinweis auf die Jesus von Gott übergebene Macht die Zweifel überwinden konnte, wird nicht erzählt. Die Erzählung des Matthäusevangeliums legt es nahe, von einem ständigen Ringen zwischen Zweifel und dem Glauben an die Jesus verliehene Vollmacht auszugehen. Dies entspricht auch der Wirklichkeit, mit der die von Jesus gesendeten Jüngerinnen und Jünger immer wieder konfrontiert werden. Darin erfahren sie: Auch nach Jesu Auferweckung durch Gott hat nicht Jesus die Macht, sondern seine Gegner. Die Macht des römischen Imperiums hat gerade im Krieg der Römer gegen die Juden (um 70) und ihren Folgen wieder neu ihren Schrecken (lateinisch: terror) offenbart. Und selbst die jüdischen Glaubensgeschwister folgen nicht dem von Gott auferweckten Messias. Sich verschärfende Konflikte führen zu Spaltungen zwischen Juden, die der Tora ohne Jesus folgen wollen, und solchen, die die Tora vom Messias Jesus her verstehen und den Messias von der Tora. Dieser Konflikt wird überlagert durch die Bedrohungen durch Rom, für deren Funktionäre die Unterscheidungen zwischen messianischen und (im Blick auf Jesus) nicht-messianischen Juden nicht nachvollziehbar waren. Wenn sich Messianer mit ihrer Berufung auf den von Rom Hingerichteten Messias und deren Praxis bei den Römern verdächtig machten, waren alle Juden bedroht, und der jüdische Status als einer erlaubten Religion (‚religio licita‘) stand in Frage. Die Proklamation von Jesu Macht scheint durch die Wirklichkeit widerlegt. Wenn das nicht zweifeln lässt! Und das umso mehr als die Jüngerinnen und Jünger ohne einen Messias gesandt sind, der in greifbarer Nähe mit ihnen geht.

Woran sie sich halten können, ist ein Versprechen: „Ich bin mit euch…“ (Mt 28,20). Es bildet die ‚Klammer‘ um das ganze Evangelium des Matthäus. Jesus bekommt den Namen „Immanuel …, das heißt übersetzt: Gott mit uns“ (Mt 1,23). Davon dass Israels Gott in seinem Messias nicht auf den Wegen der Sieger und des Triumphes, sondern durch Leid und Erniedrigung am Kreuz hindurch bei seinem Volk sein will, erzählt das Evangelium. Es reflektiert die Praxis der Gerechtigkeit in den Reden, die Jesus in den Mund gelegt werden, sowie in Bezügen zur Schrift.

Die Praxis der Gerechtigkeit und die Lehre der Tora vertraut Jesus den gesendeten Jüngerinnen und Jüngern an. An ihrer befreienden Kraft sollen – wie es den Traditionen Israels entspricht – die Völker teilhaben. Inmitten der Erfahrung von Unterdrückung und Gewalt sollen auch sie durch die Hoffnung auf und die Praxis von Befreiung aufgerichtet werden. Auf diesem Weg soll sich die Macht des Messias erweisen, bis am Ende Gott sein letztes Wort sprechen wird. Bis dahin werden auch die Zweifel nicht überwunden werden können. Die Jüngerinnen und Jünger werden aber in der Auseinandersetzung mit der Schrift und dem Weg des Messias immer wieder Schritte vom ‚Kleinglauben‘ zum Vertrauen tun können und sich für ihren Weg und ihren Auftrag stärken lassen können.

[1]     Klaus Wengst, Mirjams Sohn – Gottes Gesalbter. Mit den vier Evangelien Jesus entdecken, Gütersloh 2016, 45.