Joh 14,15-21
15 Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll, 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. 18 Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch. 19 Nur noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr leben werdet. 20 An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch. 21 Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
Die Frage nach Gott ist in der jüdisch-christlichen Tradition nicht beliebig, sondern inhaltlich durch den Namen Gottes bestimmt. Israels Gott offenbart sich als derjenige, der den Schrei aus dem Sklavenhaus hört, das Leiden der Versklavten kennt. Er sendet Mose, um die Hebräer zu befreien und sie zu seinem Volk zu machen. So lässt sich der Gottesname umschreiben mit „Ich will für Euch als Retter und Befreier geschehen.“ Das Sein Gottes und das Geschehen dessen, was sein Name beinhaltet, können nicht voneinander getrennt werden.
Der Gott Israels geschieht nach Überzeugung der Christen_innen – der Urgemeinde – in Jesus, dem Christus, dem Messias aus Israel. In seinem Leben, an der Seite der ‚Letzten’, der Geringsten der Geschwister, in seiner Verkündigung des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit wird er selbst zum Letzten. Unser Glaube bekennt, dass Israels Gott diesen Erniedrigten durch die Auferstehung zum ‚Ersten’ gemacht hat. In der Auferweckung des am Kreuz Erniedrigten lässt Gott in diesem einen Wirklichkeit werden, was er mit seinem Namen versprochen hat: Er hört die Schreie der Gequälten und geschieht als ihr Retter und Befreier.
In diesem Geschehen von Rettung und Befreiung ist Gottes Geist lebendig. Es ist Gottes Gabe der Befreiung, die, wie das Glaubensbekenntnis formuliert, „lebendig macht“. In der Kraft des schöpferischen Geistes, der schon „im Anfang“ über den Wassern des Chaos schwebte, kann die Auferweckung des Gekreuzigten als Anfang einer neuen Schöpfung geschehen. Gottes Geist, der lebendig macht, reinigt von den Götzen, die ohne Geist und deshalb leer sind. Sie erwecken den Anschein des Lebens, stehen aber für die Leere eines Nichts, das vernichtet und tötet, auch für eine Gesellschaft, die auf die Vermehrung von Geld ausgerichtet ist und die tötet, weil dieser Leere Menschen geopfert werden müssen.
Es ist gerade die Inhaltlichkeit des Evangeliums, die einen Horizont zur kritischen Reflexion und darin Wege eröffnet und so den Geist der Gemeinde bestimmt. Sie entzieht der Gemeinde jede Erlaubnis, sich von der Inhaltlichkeit Gottes und des Evangeliums zu entfernen und dann in Funktionalitäten aufzugehen.
Heute wäre der kritische Einspruch des Gottesglaubens gegen die Verschlossenheit einer Gesellschaft zur Geltung zu bringen, in der die Armen als Nicht-Verwertbare ausgeschlossen und die Verwertbaren immer rabiateren Regimen unterworfen werden bzw. animiert werden, sich selbst zu unterwerfen. Kritischer Einspruch wäre anzumelden gegen die Geschlossenheit einer Welt, die sich ‚alternativlos’ darstellt, gar als das ‚Ende der Geschichte’, und darin zum Ausdruck bringt, dass über die Welt, wie sie ist, nicht hinausgedacht und nach Alternativen gesucht werden darf.
Für das biblische Zeugnis ist wesentlich, dass sich Gottes Transzendenz nicht abstrakt mit der Welt bzw. mit der Geschichte verbindet, sondern mit den Letzten in der Welt und in der Geschichte. Ihnen gilt die Rettung zuerst und darin allen. Die Solidarität Gottes und seines Messias mit den ‚Letzten’ lässt sich nicht in moralischen Forderungen auflösen. Hier geht es um die Wirklichkeit Gottes selbst. Deshalb ist die ‚Option für die Armen’ in erster Linie eine theologische Kategorie.
Wenn Gott und die Letzten miteinander verbunden sind, bedeutet dies nicht, dass alle anderen ausgeschlossen wären. Im Gegenteil, die Rettung der Letzten zielt auf die Rettung aller. Eine menschliche Welt ist aber nicht zu haben, ohne dass Armut und Unrecht überwunden sind. Ein „neuer Himmel und eine neue Erde“ sind ohne Gerechtigkeit für die Opfer von Unrecht und Gewalt nicht denkbar. Ein so verstandener Glaube an Gott zielt auf das Überwinden von Grenzen zwischen dem Ich und dem Anderen, von Grenzen gesellschaftlicher Verhältnissen, die Unrecht und Gewalt hervorbringen. Er zielt auf die Überwindung der Grenzen geschichtlicher Epochen und darin auf die geschichtliche Einheit aller Menschengeschwister und letztlich auf die Überwindung der Grenze des Todes in der Auferweckung der Toten.
Solcher Glaube lässt sich nicht privatisieren, auf Entlastung für mich allein reduzieren. Als universaler Glaube, d.h. auf die Unteilbarkeit von Gerechtigkeit und Befreiung ausgerichtet, fragt er notwendig nach dem Unglück der anderen, die auf der Strecke bleiben.
Eine Kirche, die meint, sich Bedürfnisse nach Entlastung zunutze machen zu können und dabei den Menschen in seiner alltäglichen Bedürftigkeit bedienen zu können, betrügt sich selbst, in dem sie sich um ihre ureigenen Inhalte betrügt: Gottes Befreiungsgeste wird heruntergebrochen auf Funktionalität für den Zweck unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und hat nichts mehr mit dem Einspruch von Gottes Transzendenz gegen eine geschlossene Immanenz zu tun.
Ein Mensch, der in der Unmittelbarkeit seiner Bedürfnisse und der Welt, wie sie ist, aufgeht, der also das Ganze seines Lebens, von Geschichte und Welt nicht mehr reflektiert, droht nach Karl Rahner zu einem anpassungsschlauen Tier zu werden.
Um den Menschen in seiner Würde zu retten sind Erinnerung und kritische Reflexion konstitutiv. Sie sind die Grundbedingungen des menschlichen Lebens und damit auch des Glaubens. Die Erinnerung des Leidens gibt zu denken bis hin zum Ganzen einer Gesellschaft und der menschlichen Geschichte. Wenn kirchliche Pastoral wirklich dem Menschen verpflichtet ist, muss sie das Leiden von Menschen im gesellschaftlichen Zusammenhang bedenken, dann wird sie ihrer Berufung gerecht und wird erkennen: „Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch“ – Amen.