Osternacht 2020

Es ist, als ob der Karfreitag kein Ende nähme. Jede und jeder bleibt für sich. Wir können nicht zusammen kommen. Das ist aber nur ein kleiner Aspekt des Karfreitags gemessen an dem globalen Karfreitag, den das Corona-Virus dabei ist anzurichten. Menschen, die vom Virus befallen sind, werden isoliert und die Sterbenden bleiben ohne Kontakt zu ihren Angehörigen. Kranke und Sterbende müssen versorgt werden von medizinischem Personal, das über den Grenzen seiner Belastbarkeit im Einsatz ist. Auch diejenigen, die allein zu Hause bleiben, sind einer Situation ausgesetzt, in der Konflikte und häusliche Gewalt explodieren können.

Dabei trifft die Corona-Krise auf die Krise des Kapitalismus, der mit seinem neoliberalen Krisenprogramm auch das Gesundheitssystem durch Sparmaßnahmen, durch Deregulierung und Privatisierung zugerichtet hat. Auf dem Höhepunkt der Eurokrise wurde Italien ein Sparprogramm aufgezwungen, von dem auch das nun völlig überforderte Gesundheitssystem betroffen war. Besonders betroffen sind überall die Obdachlosen und Bettelnden. Ihre Chancen, Spenden von Passant_innen zu erhalten und Flaschen zu sammeln, sind durch die Ausgangsbeschränkungen drastisch eingeschränkt. Für von Hartz-IV betroffene Menschen verschärft sich die Ernährungssituation durch das Hamstern von Billigprodukten bis hin zum Ausfall von Tafeln und Suppenküchen. Die politische Solidarität reicht im besten Fall bis zu den Verwertbaren und ‚Systemrelevanten‘ und, wenn es hoch kommt, bis zu den Alten, die nach ihrem Arbeitsleben ihren verdienten Ruhestand verbringen sollen.

In Ländern der Peripherie trifft Corona auf Regionen, in denen die Strukturen von Markt und Staat zusammengebrochen sind. Mit ihnen – sofern überhaupt vorhanden – sind auch die Gesundheitssysteme eingebrochen. Menschen leben auf engstem Raum – ohne Abstand und Wasser für ein Minimum an hygienischer Vorsorge. In den Krisengebieten von Syrien gibt es nur noch wenige medizinische Geräte. In den überfüllten Lagern leben mehr als zehn Menschen in einem Zelt. Auf Distanz zu bleiben ist da eine Illusion. Genauso wie regelmäßiges Händewaschen. „Der Ausbruch einer Corona-Epidemie wäre eine Katastrophe für Tausende Menschen, um deren Gesundheitszustand es ohnehin wegen des Mangels an Nahrungsmitteln und sauberem Wasser und wegen Kälte nicht zum Besten steht“, warnt Misty Buswell, Sprecherin des International Rescue Commitee. In Afrika haben die Millionen, die mangelernährt sind, dem Virus kaum etwas entgegenzusetzen ebenso wenig wie diejenigen, die in Armutsvierteln dicht an dicht leben – mit Wasserstellen und Toiletten, die sich Hunderte teilen. Ebenso wenig sind die riesigen Armutsviertel Lateinamerikas dem Corona-Virus gewachsen.

In der Corona-Pandemie ist jeder Staat sich selbst der Nächste. Europäer, Amerikaner, Chinesen, Saudis und Russen konkurrieren weltweit um Restbestände an Masken und Beatmungsgeräten. Die reichsten Nationen liefern sich einen globalen Wettlauf um den besten Schutz – einen Wettlauf,  aus dem die sog. Schwellenländer und die Regionen mit zerfallenden Staaten ausgeschlossen sind. Dabei müsste allen klar sein, dass der Kampf gegen den Virus erst gewonnen ist, wenn es auch in Lateinamerika, Asien und auch in Afrika besiegt ist.

Aus welchen Ressourcen sollen solche Erkenntnisse wachsen und stark werden? Der Kapitalismus agiert in Gesellschaften, die auf eine Konkurrenz ausgerichtet sind, in der die Vernichtung derjenigen, die der Konkurrenz nicht gewachsen sind, billigend in Kauf genommen wird. Auch die einzelnen sind im Krisenkapitalismus darauf abgerichtet, sich als konkurrierende Individuen, als ‚unternehmerisches Selbst‘ zu behaupten. Das auf den ‚Kampf aller gegen alle‘ ausgerichtete Konkurrenzsubjekt droht sich auf einen immer hemmungsloser ausgetragenen sozialdarwinistischen Kampf ohne Rücksicht auf Verluste zuzubewegen.

Wir begehen die Osternacht in einer Situation, in der der globale Karfreitag vielen in seinen schlimmsten Auswirkungen noch bevorsteht. Theologische Antworten wie: „Corona als Strafe  Gottes zu bezeichnen ist zynisch“, sind nicht falsch, riechen aber nach einer etwas eilfertigen Rechtfertigung Gottes. Noch mehr hat diesen Geruch der Hinweis: „Übel und Naturkatastrophen  … sind Prozesse, die in der Evolution stattfinden und die haben ursächlich nichts mit dem Wirken Gottes zu tun.“ Er scheitert bereits an der simplen Gegenfrage: Wer hat denn die Welt so geschaffen?

In der Vorbereitung auf Ostern haben wir immer wieder auf „Ermutigung zum Gebet“ von Johann Baptist Metz zurückgegriffen. Für ihn ist die Frage nach Gott – nicht erst seit Corona – von der Frage nach den Katastrophen in der Geschichte nicht zu trennen. Angesichts der so gestellten Frage nach Gott gibt es Nachdenken über Gott und kein Beten zu Gott neben oder oberhalb der Leidensgeschichte von Menschen und der Menschheit. Nachdenken und beten speist sich nicht aus  sicherem Wissen über Gott, sondern aus dem Vermissen Gottes, das damit verbunden ist, dass wir vermissen, dass er wahr macht, was er in der Geschichte Israels und seines Messias versprochen hat. So sind wir auch in dieser Osternacht eingeladen, uns des Erbes zu erinnern, das uns Israel mit seinem Ringen um Gott und mit seinem Messias geschenkt hat.

Gebet

Gott, in dieser Nacht fragen wir uns: Was ist aus dem Menschen geworden, den du erschaffen hast? Was haben wir aus deiner Schöpfung gemacht? Wir fragen aber auch dich: Wo bleibst du, Gott, angesichts all der Gewalt und all der Toten, all der Zerstörungen? Wo bleibst du in einer Schöpfung, zu der Natur- und Gesellschaftskatastrophen gehören, von denen die Armen, die Dir doch besonders am Herzen liegen, am heftigsten getroffen sind? Dürfen wir dem Versprechen noch vertrauen, das du uns mit deinem Namen – Jahwe, ‚Ich werde bei euch sein’ – gegeben hast?

Schenke uns den Geist, in dessen Kraft wir auch in dieser Nacht voller Zweifel und Angst das tun können, was du Israel geboten hast. „Höre, Israel“, hast du gesagt. Höre auf deinen Gott und seine Wege der Befreiung, auf denen du auch uns herausführen willst aus dem Sklavenhaus unserer zerstörerischen Gesellschaft ebenso wie aus unseren oft in uns selbst verschlossenen Herzen.

Lesungen, Evangelium, Auslegung, Gebete und Fürbitten