„Ermutigung zum Gebet“: Mittwoch, 8.4.20

Gott um Gott bitten“ (J.B. Metz)?

Du Gott, reich an Huld“ (Ex 34,6)

(Litanei vom barmherzigen Gott in der Corona-Epidemie)

Gott stellt sich dem Mose als Gott vor, der reich an Huld ist: „Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue.“ (Ex 34,6)

Der Begriff ‚Huld‘ dürfte zu den Begriffen gehören, mit denen ‚aufgeklärte Bürger/-innen‘ wohl ‚nichts anfangen‘ können. Was nicht der Aufklärung gleich gemacht werden kann, fällt eben durch. Dem Begriff ‚Huld‘ widerfährt dieses Schicksal, weil er feudal konnotiert ist. Der Herr gewährt dem Untergeben seine ‚Huld‘. Da gibt es keine Gleichheit, keinen Verkehr ‚auf Augenhöhe‘, der ja dem (post-)modernen Kapitalismus so wichtig ist, weil die damit verbundene Wertschätzung die Motivation und damit die Leistung fördert. Von feudaler Bevormundung befreite Menschen wollen sich ‚von oben‘ nichts schenken lassen. Sie wollen ‚selber machen‘ und ‚teilhaben‘. Bei der Vorliebe für den Begriff ‚Emanzipation‘ wird schnell übersehen, dass auch er auf die Freilassung eines Sklaven aus der Hand des Herren zurückgeht. Vom Lateinischen her ließe sich der Begriff umschreiben als ‚aus der Hand geben bzw. empfangen‘…

Wie auch immer, die Rede von einem Gott „reich an Huld“ hat es nicht leicht, es über die Hürde derer zu schaffen, die damit ‚nichts anfangen‘ können, weil sie sich über jede ‚Huld‘ erhaben fühlen und sie als eine Art ‚narzisstischer Kränkung‘ erleben. Dennoch sei der Versuch gemacht, seine befreiende Stärke – auch gegen das vermeintliche Selbstbewusstsein der Aufgeklärten – deutlich zu machen.

Die Rede von der Huld Gottes meint einen Gott, der seinem versklavten Volk als Befreier entgegenkommt. Er kann nicht aus der Geschichte oder aus einem Rechtsanspruch abgeleitet werden. Die Rede von Gottes entgegenkommender, befreiender ‚Huld‘ sichert Gottes Freiheit und Unabhängigkeit vor dem Zugriff von Menschen. Gottes ‚Unverfügbarkeit‘ steht gegen jeden verfügenden Zugriff. Karl Rahner, der zurecht darauf bestanden hat, dass Gott Menschen so geschaffen hat, dass sie als ‚Hörer des Wortes‘ für das Geheimnis Gottes offen sind, zugleich aber darauf bestanden, dass ‚Gottes Selbstmitteilung‘, also sein Entgegenkommen, nicht aus der ‚Natur‘ des Menschen abgeleitet werden kann, sondern als (huldvoll) entgegenkommende ‚Gnade‘ verstanden werden muss. Der Begriff ‚Gnade‘ ist die griechische Übersetzung des hebräischen Begriffs, der im Ersten Testament mit ‚Huld‘ übersetzt wird.

Das mag als theologische Begriffsakrobatik abgetan werden, ist aber nichts anders als die ‚Anstrengung des Begriffs‘, die notwendig ist, wenn wir nicht in den Fallen von Anpassung und Banalität enden wollen. Im Kern geht es darum, dass nur ein Gott, der Menschen aus freien Stücken ‚entgegenkommt‘, sich als Befreier und Retter erweisen kann. Als solcher kommt er dem versklavten Israel entgegen, um mit ihm Wege der Befreiung zu gehen. Er kommt uns in seinem Messias entgegen, der am Palmsonntag in Jerusalem einzieht und mit dem Ruf begrüßt wird: „Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn…“ (Mt 21,9). Ihm ist Gott entgegen gekommen, als er ihn nicht im Tod gelassen hat. Und so hoffen wir, dass Gott all den Gekreuzigten und auch uns entgegenkommt und sein letztes Wort der Rettung und Befreiung sprechen wird, das er über seinen Messias schon gesprochen hat. Nur wenn Gott seiner Welt entgegen kommt, kann die Verschlossenheit der Gräber nicht das ‚letzte Wort‘ sein. Ein Gott, der mit der Welt oder dem Selbst des Menschen verschmolzen ist, wird auch mit der Welt und dem Selbst zugrunde gehen.

Der Lobpreis „Du Gott, reich an Huld“ spricht Gott auf seinen Willen an, seiner Welt als Retter und Befreier entgegenzukommen. Er führt hinaus über Ägypten, über Babylon und Rom; er führt auch transzendierend über die Grenzen der kapitalistischen Welt hinaus, über das alternativlose Gefängnis des Kapitalismus und seine bürgerliche Welt. Diese Welt kann Gleichheit und Emanzipation nur im Rahmen des Kapitalismus und damit für die Verwertbaren denken. Sie geht über die Leichen derer, die in der kapitalistischen Gleichheit nicht aufgehen, sich nicht in sein Prokrustes-Bett einpassen lassen. „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“, heißt es in Ps 18,30. Dies Hoffnung hat ihren Grund darin, dass der Beter sagen kann: „Ja, du rettest das elende Volk, doch die Blicke der Stolzen zwingst du nieder“ (Ps 18,28).

Der Gott, der seinem Volk entgegenkommt, passt nicht zu den sich religiös artikulierenden Bedürfnissen nach Sicherheit und Glück, nach esoterischer Selbstgewissheit, die Gottes Sitz und Potentiale im eigenen Inneren erkoren hat. Gott kommt ‚von außen‘ entgegen. Nur so kann er in die Weite führen, über das eigene Selbst hinaus bis zu dem „elenden Volk“ zu den ‚Letzten‘, die zuerst gerettet werden müssen, wenn es denn wirklich um die Rettung aller gehen soll.

Dankt dem Herrn, denn er ist gut, denn seine Huld währt ewig. So soll Israel sagen: Denn seine Huld währt ewig“ (Ps 118,1f). So beginnt das sog. ‚Hallell‘, der große Lobgesang, den Israel am Paschafest anstimmt im Vertrauen darauf, dass Gott hält, was er mit seinem Namen versprochen hat.

Lesung:

In der Lesung begegnet uns das dritte Lied vom Gottesknecht. Weil er „Hörer des Wortes“ (Karl Rahner) ist, gerät er in Konflikt mit denen, die sich den babylonischen Verhältnissen beugen, sich mit ihnen abfinden, sich in ihnen einrichten wollen. Dagegen tritt der Knecht als einer auf, der dem wichtigsten Gebot Israels folgt: „Höre Israel!“ (Dtn 6,4) Es soll hören auf das Wort der Befreiung, mit dem sein Gott ihm auch in Babylon entgegen kommen will, um es auch über diese Grenze hinauszuführen. Weil der Knecht dafür eintritt, muss er seinem Volk ‚die Stirn‘ bieten, seinen Rücken wie einen Esel schlagen, sein Gesicht bespucken lassen, sein „Gesicht hart machen wie einen Kiesel“ (50,7). Er tut es im Vertrauen darauf, dass Gott ihn freisprechen, ihn rechtfertigen, im Recht geben wird.

Text: Jes 50,4-9a

4 GOTT, der Herr, gab mir die Zunge von Schülern, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich höre, wie Schüler hören. 5 GOTT, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. 6 Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und meine Wange denen, die mir den Bart ausrissen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. 7 Und GOTT, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate. 8 Er, der mich freispricht, ist nahe. Wer will mit mir streiten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer ist mein Gegner im Rechtsstreit? Er trete zu mir heran. 9 Siehe, GOTT, der Herr, wird mir helfen. Wer kann mich für schuldig erklären?

Zwischengesang: Ps 69,8-10.21-22.33-34

8 Denn deinetwegen erleide ich Hohn und Schande bedeckt mein Angesicht. 9 Entfremdet bin ich meinen Brüdern, den Söhnen meiner Mutter wurde ich fremd. 10 Denn der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt, die Verhöhnungen derer, die dich verhöhnen, sind auf mich gefallen. 21 Die Verhöhnung bricht mir das Herz, ich bin krank vor Schmach und Schande. Ich hoffte auf Mitleid, doch vergebens, auf Tröster, doch fand ich keinen. 22 Sie gaben mir Gift als Speise, für den Durst gaben sie mir Essig zu trinken. 33 Die Gebeugten haben es gesehen und sie freuen sich! Ihr, die ihr Gott sucht, euer Herz lebe auf! 34 Denn der HERR hört auf die Armen, seine Gefangenen verachtet er nicht.

Evangelium: Mt 26,14-25

14 Darauf ging einer der Zwölf namens Judas Iskariot zu den Hohepriestern 15 und sagte: Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere? Und sie boten ihm dreißig Silberstücke. 16 Von da an suchte er nach einer Gelegenheit, ihn auszuliefern. 17 Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote gingen die Jünger zu Jesus und fragten: Wo sollen wir das Paschamahl für dich vorbereiten? 18 Er antwortete: Geht in die Stadt zu dem und dem und sagt zu ihm: Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist da; bei dir will ich mit meinen Jüngern das Paschamahl feiern. 19 Die Jünger taten, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte, und bereiteten das Paschamahl vor. 20 Als es Abend wurde, begab er sich mit den zwölf Jüngern zu Tisch. 21 Und während sie aßen, sprach er: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. 22 Da wurden sie sehr traurig und einer nach dem andern fragte ihn: Bin ich es etwa, Herr? 23 Er antwortete: Der die Hand mit mir in die Schüssel eintunkt, wird mich ausliefern. 24 Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre. 25 Da fragte Judas, der ihn auslieferte: Bin ich es etwa, Rabbi? Jesus antwortete: Du sagst es.

Das Abendmahl steht im Zeichen der Auslieferung Jesu an Rom. Es ist überschattet von einem Verrat, der aus dem engsten Kreis der Zwölf begangen wird, von einem, von dem Jesus sagt, dass er „die Hand mit mir in die Schüssel eintunkt“ (V. 23). Wir können davon ausgehen, dass es bei dieser Geschichte nicht nur um den Verrat des Judas geht. Solchen Verrat erlebten die messianischen Gemeinden immer wieder. Menschen, die zu ihnen gehört hatten, die mit ihnen das Brot geteilt und den Wein getrunken hatten, verrieten ihre ehemaligen Geschwister an die Römer und lieferten sie der Verfolgung oder gar dem Tod aus. Darin wurde der Menschensohn erneut verraten. Das mag die harsche Reaktion, die gegen Judas geschmettert wird, verständlicher machen, ohne dass damit ein Urteil Gottes oder Jesu über Judas verbunden werden darf.

Die „dreißig Silberstücke“ (V. 15) sind aus Ex 21,32 bekannt. Da müssen sie gezahlt werden als Preis für einen Sklaven, der von einem Rind gestoßen wurde. Damit verweist Matthäus auf die Geringschätzung Jesu bei den Hohepriestern. Sie zahlen einen Sklavenpreis. Der steht im Gegensatz zu der Salbung Jesu mit kostbarem Öl, die der Passionsgeschichte vorausgegangen war bzw. sie eingeleitet hatte (26,6ff).