„Ermutigung zum Gebet“: Montag, 23.3.20

Impuls: „Gott um Gott bitten“ (J.B. Metz)?

 Seinen Text „Gott um Gott bitten“[1] von 2007 beginnt Metz mit einer „biographischen Annäherung“:

„Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ich, 16jährig, aus der Schule herausgerissen und zum Militär gepresst. Nach flüchtiger Ausbildung in Würzburger Kasernen kam ich an die Front, die damals schon über den Rhein ins Land gerückt war. Die Kompanie bestand aus lauter jungen Leuten, weit über hundert. Eines Abends schickte mich der Kompanieführer mit einer Meldung zum Bataillionsgefechtsstand. Ich irrte die Nacht über durch zerschossene, brennende Dörfer und Gehöfte, und als ich am Morgen darauf zu meiner Kompanie zurückkam, fand ich nur noch Tote, überrollt von einem kombinierten Jagdbomber- und Panzerangriff. Ich konnte ihnen allen, mit denen ich Kinderängste und Jungenlachen geteilt hatte, nur noch ins erloschene tote Antlitz sehen. Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei. So sehe ich mich heute noch und hinter dieser Erinnerung sind wohl meine Kindheitsträume zerfallen.“[2]

 Beten ist von jenem „lautlosen Schrei“ durchdrungen – für Metz um so mehr, je klarer ihm die Situation, in der wir leben als Situation „nach Auschwitz“ bewusst wurde. Wer in dieser Situation betet, für den versammelt sich im Gebet die Krisen- und Katastrophengeschichte der Menschheit, die Erfahrungen all derer, die gelitten haben und zugrunde gegangen sind. Der Schrei richtet sich an Gott und hofft darauf, dass er nicht in der Leere des Alls verhallt. Diese Hoffnung ist ohne metaphysischen Halt, wohl speist sie sich aus dem Gedenken an Gottes Bund mit Israel und darin mit allen Menschen, vor allem mit den ‚Letzten‘, zu denen Israel in seiner Geschichte immer wieder gehörte ebenso wie sein Messias. Darin geht es um das ‚Ganze‘ und um ‚Alles‘, um ‚universale Solidarität.

Der Schrei richtet sich nicht an einen Gott, der unmittelbar zu unseren individuellen Wünschen und Bedürfnissen passt, sondern sie kritisch (negierend?) übersteigt. In diesem Sinn ist Gott nicht ‚beruhigend‘, sondern immer auch mit dem Leiden an Gott verbunden, der die Treue zu seinem Bund immer auch ‚vermissen‘ lässt und dennoch den Weg zu einer ‚universalen Solidarität‘ weist, die gerade in Zeiten von Corona dagegen zu erinnern ist, dass Solidarität auch von Kirchenvertretern auf das – durchaus nötige – Distanz-Halten reduziert wird. Aus solcher ‚Solidarität‘ fallen diejenigen gerade heraus, die kein Wasser zum Händewaschen – und noch weniger Seife und schon gar keine Desinfektionsmittel – haben[3].

Wenn es ‚um Gott‘ geht, geht es wesentlich um sie, wenn es dabei um ‚alle‘ gehen soll. Wer im Horizont so verstandener ‚universaler Solidarität‘ bittet, dem gilt die oft verspottete Verheißung „Wer bittet, der empfängt“ (Lk 11,10). Versprochen ist, dass „der Vater im Himmel den Heilgen Geist denen geben (wird), die ihn darum bitten.“ (Lk 11,13.) Im Horizont dieses Geistes geht es um alle und um alles und damit um Gott. Wer in diesem Sinne bittet und betet, ist nicht leicht zu trösten, aber er widersteht den Versuchungen, den Katastrophen das ‚letzte Wort‘ zu lassen und sucht Wege zu ‚universaler Solidarität‘.

Zur Lesung:

Sie spricht von einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“ (Jes 66,17). Jerusalem, die Stadt der Katastrophe, soll zu einem Ort des Friedens und der Gerechtigkeit werden. Darin werden Häuser und das, was auf dem Land angebaut wird, nicht mehr Eroberern gehören. Die Menschen werden alt und lebenssatt sterben. An diese Verheißung knüpft die Offenbarung des Johannes (Offb 21) an und bezieht auch die Toten ein. Wenn wir um den „neuen Himmel und die neue Erde“ bitten, bitten wir um Gott, der dann in der Mitte seines Volkes wohnen wird.

Text: Jes 65,17-21

17 Ja, siehe, ich erschaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, es kommt niemand mehr in den Sinn. 18 Vielmehr jubelt und jauchzt ohne Ende über das, was ich erschaffe! Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zum Jauchzen und sein Volk zum Jubel. 19 Ich werde über Jerusalem jubeln und frohlocken über mein Volk. Nicht mehr hört man dort lautes Weinen und Klagegeschrei. 20 Es wird dort keinen Säugling mehr geben, der nur wenige Tage lebt, und keinen Greis, der seine Tage nicht erfüllt; wer als Hundertjähriger stirbt, gilt als junger Mann, und wer die hundert Jahre verfehlt,/ gilt als verflucht. 21 Sie werden Häuser bauen und selbst darin wohnen, sie werden Weinberge pflanzen und selbst deren Früchte genießen.

 Zwischengesang: Ps 30, 2 u. 4.-6.11-12a u. 13B

 2 Ich will dich erheben, HERR denn du zogst mich herauf und ließest nicht zu, dass meine Feinde sich über mich freuen. 3 HERR, mein Gott, ich habe zu dir geschrien und du heiltest mich. 4 HERR, du hast meine Seele heraufsteigen lassen aus der Totenwelt, hast mich am Leben erhalten, sodass ich nicht in die Grube hinabstieg. 5 Singt und spielt dem HERRN, ihr seine Frommen, dankt im Gedenken seiner Heiligkeit! 6 Denn sein Zorn dauert nur einen Augenblick, doch seine Güte ein Leben lang. Wenn man am Abend auch weint, am Morgen herrscht wieder Jubel. 7 Im sicheren Glück dachte ich einst: Ich werde niemals wanken. 8 HERR, in deiner Güte hast du meinen Berg gefestigt. Du hast dein Angesicht verborgen. Da bin ich erschrocken. 9 Zu dir, HERR, will ich rufen und zu meinem Herrn um Gnade flehn: 10 Was nützt dir mein Blut, wenn ich zum Grab hinuntersteige? Kann Staub dich preisen, deine Treue verkünden? 11 Höre, HERR, und sei mir gnädig! HERR, sei du mein Helfer! 12 Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, mein Trauergewand hast du gelöst und mich umgürtet mit Freude, 13 damit man dir Herrlichkeit singt und nicht verstummt. HERR, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit.

Evangelium: Joh 4,43-54

43 Nach diesen beiden Tagen ging er von dort nach Galiläa. 44 Jesus selbst hatte nämlich bezeugt: Ein Prophet wird in seiner eigenen Heimat nicht geehrt. 45 Als er nun nach Galiläa kam, nahmen ihn die Galiläer auf, weil sie alles gesehen hatten, was er in Jerusalem auf dem Fest getan hatte; denn auch sie waren zum Fest gekommen. 46 Jesus kam wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser in Wein verwandelt hatte. In Kafarnaum lebte ein königlicher Beamter; dessen Sohn war krank. 47 Als er hörte, dass Jesus von Judäa nach Galiläa gekommen war, suchte er ihn auf und bat ihn, herabzukommen und seinen Sohn zu heilen; denn er lag im Sterben. 48 Da sagte Jesus zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht. 49 Der Beamte bat ihn: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt! 50 Jesus erwiderte ihm: Geh, dein Sohn lebt! Der Mann glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte, und machte sich auf den Weg. 51 Noch während er hinabging, kamen ihm seine Diener entgegen und sagten: Dein Junge lebt. 52 Da fragte er sie genau nach der Stunde, in der die Besserung eingetreten war. Sie antworteten: Gestern in der siebten Stunde ist das Fieber von ihm gewichen. 53 Da erkannte der Vater, dass es genau zu der Stunde war, als Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er wurde gläubig mit seinem ganzen Haus. 54 So tat Jesus sein zweites Zeichen, nachdem er von Judäa nach Galiläa gekommen war.

 Das Evangelium erzählt von der Heilung des Sohns eines „königlichen Beamten“. Er ist also kein römischer Hauptmann, sondern Beamter eines von den Römern eingesetzten Klientelkönigs aus dem Haus Herodes, also ein ‚verlorenes Schaf‘ aus dem Haus Israel. Geheilt wird nicht sein Knecht, sondern sein Sohn, mit dem seine Zukunft verbunden ist. Jesu Satz: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht“ (V. 48) ist nicht als Kritik zu deuten. Mit ‚Zeichen und Wundern‘ ist der Weg der Befreiung aus Ägypten verbunden. Es geht um Zeichen der Befreiung. In diesem Sinn ist auch die Heilung des Sohnes des „königlichen Beamten“ zu verstehen. Sie ist ein Zeichen dafür, dass Israel in und aus der Unterdrückung durch Rom aufgerichtet wird, dass sie nicht das ‚letzte Wort‘ hat. Es geht also nicht um den isolierten Einzelnen. Seine Heilung ist – im Unterschied zu damaligen Wunderheilern – ein ‚Zeichen und Wunder‘, weil in dem einen sichtbar wird, dass ganz Israel und darin alle gerettet werden sollen. In diesem Sinn gilt es, an den Messias als Befreier Israels und aller Volker zu ‚glauben‘, d.h. darauf zu vertrauen, dass in ihm Gott allen alles geben will.

[1]     Vgl. Johann Baptist Metz, Sis eis deus: Gott um Gott bitten (2007), in: Gesammelte Schritten, Band 7: Mystik der offenen Augen, Freiburg im Breisgau 2017, 43 – 52.

[2]     Ebd., 43.

[3]     Vgl. Andreas Helgermann, Julia Lis, Universale Solidarität wider die Feinde des Ausnahmezustands, feinschwarz.net