„Ermutigung zum Gebet“: Freitag, 27.3.20

Zum theologischen Nachdenken

Durch einen Impuls von Beate J.-E. wurde ich noch einmal auf das Verhältnis von Karl Rahner und Johann Baptist Metz gestoßen. Metz hat Rahners Theologie dahin gehend kritisiert, dass sie die reale Geschichte auf Geschichtlichkeit, also auf ein menschliches Existential, also eine Eigenschaft, die zum Wesen des Menschen gehöre, reduziere. Zugleich war er für ihn in der Art und Weise, in der Rahner über das Mysterium Gottes sprach „ein Vater des Glaubens“. Es war eine Art und Weise, die sich von begrifflicher und verfügender Zudringlichkeit fernhielt, um Gott in seiner Gottheit, in seiner Nähe und Ferne zu wahren. Unter der Überschrift „Ein Vater des Glaubens und selbst heimatlos“ heißt es bei Metz:

Nie hat uns Karl Rahner das Christentum als eine bürgerliche Heimatreligion interpretiert, der alle tödlich bedrohte Hoffnung, jede verletzliche und widerspenstige Sehnsucht ausgetrieben ist. Nie empfand ich sein Glaubensverständnis als eine Art Sicherheitsideologie, als eine feierliche Überhöhung des erreichten Stands der Verhältnisse, und seien es die fortschrittlichsten. Immer blieb Heimatlosigkeit, quer zu allem blieb eine Sehnsucht, die ich nie als sentimental empfand, nie auch als pausbäckig-optimistisch, nie als himmelstürmend, sondern eher wie einen wortlosen Schrei der Kreatur nach Licht vor dem verhüllten Antlitz Gottes.“

In den Zeilen vorher schreibt er:

Ein Vater des Glaubens – und selbst heimatlos. So waren sie, so sind sie wohl alle, diese Väter des Glaubens, diese Knechte Gottes – in den abrahamitischen Traditionen, in den paulinischen Traditionen, in den ignatianischen Traditionen. An ihnen zeigen sich die Spuren jener messianischen Heimatlosigkeit des Sohnes, der ein Leben lang seinem Gott treu war und der sich am Ende dieses irdischen Lebens von diesem Gott verlassen fühlte, und der doch der Gottesfinsternis standhielt.“1

Lesung:

Die Lesung aus dem Buch der Weisheit schildert Erfahrungen von Menschen, die versuchen, den Weisungen der Tora als Weisungen auf den Wegen der Befreiung zu folgen. Immer wieder trafen sie auf den Widerstand derer, die ‚Gottlose‘ genannt werden, weil sie sich den Wegen der Befreiung durch Unrecht und Gewalt in den Weg stellen. Wenn das Schicksal der „Gerechten“, die sich an Gottes Gerechtigkeit orientieren, dem des Messias Jesus gleicht, zeigt sich darin, dass Jesu Leidensgeschichte nicht von den Leidensgeschichten all der anderen getrennt werden darf, sondern mit ihnen zusammen fällt.

Text: Weish 2,1a.12-22

1 Sie tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen: Kurz und traurig ist unser Leben. 12 Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor und beschuldigt uns des Verrats an unserer Erziehung. 13 Er rühmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen, und nennt sich einen Knecht des Herrn. 14 Er ist unserer Gesinnung ein Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig; 15 denn er führt ein Leben, das dem der andern nicht gleicht, und seine Wege sind grundverschieden. 16 Als falsche Münze gelten wir ihm; von unseren Wegen hält er sich fern wie von Unrat. Das Ende der Gerechten preist er glücklich und prahlt, Gott sei sein Vater. 17 Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, und prüfen, wie es mit ihm ausgeht. 18 Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott seiner an und entreißt ihn der Hand seiner Gegner. 19 Durch Erniedrigung und Folter wollen wir ihn prüfen, um seinen Gleichmut kennenzulernen und seine Widerstandskraft auf die Probe zu stellen. 20 Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt. 21 So denken sie, aber sie irren sich; denn ihre Schlechtigkeit macht sie blind. 22 Sie verstehen von Gottes Geheimnissen nichts, sie hoffen nicht auf Lohn für Heiligkeit und erwarten keine Auszeichnung für untadelige Seelen.

Zwischengesang: Ps 34,17-23

17 Das Angesicht des HERRN richtet sich gegen die Bösen, ihr Andenken von der Erde zu tilgen. 18 Die aufschrien, hat der HERR erhört, er hat sie all ihren Nöten entrissen. 19 Nahe ist der HERR den zerbrochenen Herzen und dem zerschlagenen Geist bringt er Hilfe. 20 Viel Böses erleidet der Gerechte, doch allem wird der HERR ihn entreißen. 21 Er behütet all seine Glieder, nicht eins von ihnen wird zerbrochen. 22 Den Frevler wird die Bosheit töten, die den Gerechten hassen, werden es büßen. 23 Der HERR erlöst das Leben seiner Knechte, niemals müssen büßen, die bei ihm sich bergen.

Evangelium: Joh 7,1-2.10.25-30

1 Danach zog Jesus in Galiläa umher; denn er wollte sich nicht in Judäa aufhalten, weil die Juden ihn zu töten suchten. 2 Das Laubhüttenfest der Juden war nahe. 10 Als aber seine Brüder zum Fest hinaufgegangen waren, zog auch er hinauf, jedoch nicht öffentlich, sondern im Verborgenen. 25 Da sagten einige Leute aus Jerusalem: Ist das nicht der, den sie zu töten suchen? 26 Und doch redet er in aller Öffentlichkeit und man lässt ihn gewähren. Sollten die Oberen wirklich erkannt haben, dass er der Christus ist? 27 Aber von dem hier wissen wir, woher er stammt; wenn jedoch der Christus kommt, weiß niemand, woher er stammt. 28 Während Jesus im Tempel lehrte, rief er: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin; aber ich bin nicht von mir aus gekommen, sondern er, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig. Ihr kennt ihn nur nicht. 29 Ich kenne ihn, weil ich von ihm komme und weil er mich gesandt hat. 30 Da suchten sie ihn festzunehmen; doch keiner legte Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen.

In dem Teil des Evangeliums nach Johannes (7,2-12,50), dem unser Text entnommen ist, geht es um die Frage, wer der Messias ist. Für Johannes ist er der Sohn Josefs und nicht der Sohn Davids. Darin zeigt sich die Skepsis des Johannes gegenüber allen Träumen, das Reich Davids wieder zu errichten. Die Frage, wer der Messias ist, bleibt im Evangelium des Johannes umstritten, bis „seine Stunde“, die Stunde seines Todes gekommen ist. Dann kann der Messias nicht mehr mit imperialen Träumen in Verbindung gebracht werden.

In den Konflikten mit „den Juden“, gemeint ist die jüdische ‚Obrigkeit‘, bleibt der Verweis auf seine Sendung. Er ist nicht ‚von sich aus‘ gekommen. Er handelt auch nicht aus sich selbst. Er ist gekommen und handelt als derjenige, den Israels Gott gesandt hat. Er ist gesandt, das unter römischer Herrschaft gelähmte Israel ganz aufzurichten (Joh 5), blinde Augen zu öffnen (Joh 9), das leichenstarre und schon stinkende Israel (Lazarus) zu neuem Leben aufzuerwecken. In ihm ist Israels Gott lebendig und gegenwärtig. Vom Geheimnis Gottes her muss der Messias Jesus verstanden werden. Gemeint ist Israels Gott, nicht ein metaphysisch durchschauter ‚unbewegter Beweger‘ oder einhöchstes Sein‘ wie ihn die griechische Philosophie kennt oder wie heute vulgarisierend von einem ‚höheren Wesen‘ geredet wird, das es wohl ‚geben‘ müsse. Als ‚Gesandter‘ von Israels Gott der Befreiung ist der Messias in seinem Handeln, in den Zeichen, die er setzt, ‚offenbar‘ und zugleich verborgen. Noch entzieht er sich dem Zugriff derer, die ihn festnehmen wollen. „Doch keiner legte Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen“ (7,30).

Seine Stunde“ ist da gekommen, das Ziel seines Weges da erreicht, wo am Kreuz alle imperialen Träume endgültig zerbrochen sind und er sein Leben, seinen Geist, dem Vater übergibt und hinein stirbt in die Verborgenheit Gottes. Auch nach seiner Auferstehung entzieht er sich dem Zugriff. „Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinauf gestiegen“, weist er das fromme Bedürfnis nach einem sicheren Halt zurück. Was bleibt, ist sein Geist, seine Gegenwart im Zeichen des Brotes. Das ist nicht wenig. Mit ihm leben wir als solche, die den Messias und mit ihm Gott selbst vermissen, und als solche, die „Gott um Gott bitten“, darum, dass er uns mit seinem Geist alles gebe.

1Johann Baptist Metz, Karl Rahner – ein theologisches Leben. Theologie als mystische Biographie eines Christenmenschen heute (1974), in: ders., Gesammelte Schriften, Band 6/1, Freiburg im Breisgau 2016, 321-341, 340.