„Ermutigung zum Gebet“: Dienstag, 31.3.20

Was wir aus zusammenbrechenden Staaten gehört haben, droht mit Corona in der Krise des Kapitalismus auch in Europa: In Palermo auf Sizilien werden Supermärkte von der Polizei bewacht, um Plünderungen zu verhindern:

 Nach Berichten über Plünderungen wegen zunehmender Geldnöte in der Corona-Krise haben auf Sizilien bewaffnete Polizisten vor Supermärkten Stellung bezogen. Laut der Tageszeitung „La Republica“ verließ am Donnerstag eine Gruppe Einheimischer einen sizilianischen Supermarkt ohne zu zahlen. „Wir haben kein Geld, um zu bezahlen, wir müssen essen“, rief demnach einer von ihnen den Kassierern zu. Der „Corriere della Sera“ berichtete, in anderen sizilianischen Städten seien Inhaber kleiner Läden von Anwohnern unter Druck gesetzt worden, ihnen kostenlos Essen zu geben. Die Zeitung schrieb von einer tickenden „sozialen Zeitbombe“ in der Region.

Impuls: „Gott um Gott bitten“ (J.B. Metz)?

Als Akklamation auf die Kurzlesungen zur Terz im Stundengebet wird in der Fastenzeit als Gebetsruf angegeben: „Erschaffe mir, Gott, ein neues Herz. Gib mir einen neuen beständigen Geist.“

 Die Bitte um ein „neues Herz“ greift die Verheißung des Propheten Ezechiel auf: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch“ (36,26). Voraussetzung für den „neuen Geist“ ist die Reinigung „von allen euren Götzen“ (V. 24). Die Bitte um „ein neues Herz“ ist also keineswegs harmlos, erst recht wenn wir bedenken, dass „Herz“ in jüdischen Zusammenhängen nicht der Sitz des ‚Inneren‘ oder des Gefühls, sondern des Verstandes und damit der Ort kritischen Nachdenkens ist. „Götzen“ müssen also erkannt werden. Das geht nicht ohne gemeinsame Reflexion – sonst bleibt es bei dem, was wir immer schon in der Logik der herrschenden Vorstellungen, des Form- bzw. Fetischzusammenhangs, denken. Bei Ezechiel setzt die Verheißung des neuen Herzens und des neuen Geistes das Nachdenken über die Sünden voraus, die ins Exil geführt hatten. Das war vor allem die Etablierung eines Königtums, das mit sozialer Spaltung und Verarmung einherging. Aus kritischer Reflexion und Umkehr kann ein neuer Anfang nach der Rückkehr aus dem Exil entstehen. Dann kann aus Herzen aus Stein ein „Herz von Fleisch“ (V. 26) werden, ein Mensch der sich durch Empfindsamkeit für das leiten lässt, was Menschen erleiden (Compassion) und diese Empfindsamkeit mit dem Nachdenken über das Zusammenleben von Menschen und über Gott verbindet. Dann – so die Verheißung – werdet ihr „mein Volk sein, und ich werde Euer Gott sein“ (V. 28).

Die zweite Bitte zielt auf Beständigkeit. Der neue Geist soll also ein „beständiger Geist“ sein. Er soll die Kraft haben, bei dem „neuen Herzen“, „bei Gott“ zu bleiben. Beständigkeit impliziert biblisch immer Widerständigkeit. Damit wäre die Bitte aus dem Stundenbuch auch so zu verstehen: „Gib mir einen widerständigen Geist.“ Der neue Geist soll in der Lage sein, den herrschenden Götzen- und Fetischzusammenhängen zu widerstehen. Deshalb ‚brauchen‘ wir Umkehr und Erneuerung, Fastenzeit und Ostern immer wieder neu.

In einer der sog. Seligpreisungen bei Matthäus heißt es: „Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). Wenn es bei einem „reinen Herzen“ um die Reinigung von Götzen, also um Entfetischisierung geht, dann ist die Kehrseite davon die Möglichkeit, Gott zu „schauen“, zu erahnen, was gemeint sein könnte, wenn wir von Gott reden, von den Inhalten mit denen sein Name biblisch verbunden ist, und zugleich von seiner Unbegreiflichkeit und Unverfügbarkeit. Wenn wir – scheinbar harmlos-fromm – um ein „neues Herz“ und einen „neuen beständigen Geist“ bitten, bitten wir Gott um nicht weniger als um Gott selbst.

Lesung:

Bei seiner Wüstenwanderung muss das Volk Israel einen Umweg einlegen, damit es nicht durch das Gebiet des feindlichen Edom muss. Dem Volk ist der Umweg zu lang. Da kommt Wut auf – gegen Mose und gegen Gott. In der Wut vermischen sich Gefühl und Wirklichkeit. ‚Gefühlt‘ verhungert das Volk. ‚In Wirklichkeit‘ wird es aber mit Manna versorgt. Aber „vor dieser elenden Nahrung“ ekelt es sich (V. 5). Der Zank um die ‚eklige‘ Ernährung ist ‚Gift‘ für den Weg der Befreiung. Das kommt im Bild der Schlange zum Ausdruck. Nachdem das Volk zur Besinnung auf die Wege der Befreiung gekommen ist, hängt Mose „eine Schlange aus Kupfer an einer Stange auf“ (V. 9). Die so erhöhte Schlange wird zur Erinnerung an die Vergiftungen auf dem Weg der Befreiung und so zum ‚Gegengift‘ gegen weitere Verirrungen. Im Evangelium nach Johannes wird die Erhöhung der Schlange zum Bild für die Erhöhung des Messias am Kreuz. Der gekreuzigte Messias ist das ‚Gegengift‘ gegen die Versuchungen zur Anpassung an die römische und heute an die kapitalistische Welt.

Text: Num 21,4-9

4 Die Israeliten brachen vom Berg Hor auf und schlugen die Richtung zum Roten Meer ein, um Edom zu umgehen. Das Volk aber verlor auf dem Weg die Geduld, 5 es lehnte sich gegen Gott und gegen Mose auf und sagte: Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt? Etwa damit wir in der Wüste sterben? Es gibt weder Brot noch Wasser und es ekelt uns vor dieser elenden Nahrung. 6 Da schickte der HERR Feuerschlangen unter das Volk. Sie bissen das Volk und viel Volk aus Israel starb. 7 Da kam das Volk zu Mose und sagte: Wir haben gesündigt, denn wir haben uns gegen den HERRN und gegen dich aufgelehnt. Bete zum HERRN, dass er uns von den Schlangen befreit! Da betete Mose für das Volk. 8 Der HERR sprach zu Mose: Mach dir eine Feuerschlange und häng sie an einer Stange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht. 9 Mose machte also eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an einer Stange auf. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben.

 Zwischengesang: Ps 102,2-3.16-21

2 HERR, höre mein Bittgebet! Mein Schreien dringe zu dir! 3 Verbirg dein Angesicht nicht vor mir! Wenn ich in Not bin, wende dein Ohr mir zu! Wenn ich dich rufe, eile und erhöre mich!

16 Dann fürchten die Völker den Namen des HERRN und alle Könige der Erde deine Herrlichkeit. 17 Denn der HERR hat Zion dann wieder aufgebaut, er ist erschienen in seiner Herrlichkeit. 18 Er hat sich dem Bittgebet der verlassenen Stadt zugewandt, ihre Bittgebete hat er nicht verschmäht. 19 Dies sei aufgeschrieben für das kommende Geschlecht, damit den HERRN lobe das Volk, das noch erschaffen wird. 20 Denn herabgeschaut hat der HERR aus heiliger Höhe, vom Himmel hat er auf die Erde geblickt, 21 um das Seufzen der Gefangenen zu hören, zu befreien, die dem Tod geweiht sind.

Evangelium: Joh 8, (12-20) 21-30

(12 Als Jesus ein andermal zu ihnen redete, sagte er: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben. 13 Da sagten die Pharisäer zu ihm: Du legst über dich selbst Zeugnis ab; dein Zeugnis ist nicht wahr. 14 Jesus erwiderte ihnen: Auch wenn ich über mich selbst Zeugnis ablege, ist mein Zeugnis wahr. Denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe. Ihr aber wisst nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. 15 Ihr urteilt, wie Menschen urteilen, ich urteile über niemanden. 16 Wenn ich aber urteile, ist mein Urteil wahrhaftig; denn ich bin nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat. 17 Und in eurem Gesetz steht geschrieben: Das Zeugnis von zwei Menschen ist wahr. 18 Ich bin es, der über mich Zeugnis ablegt, und auch der Vater, der mich gesandt hat, legt über mich Zeugnis ab. 19 Da fragten sie ihn: Wo ist dein Vater? Jesus antwortete: Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; würdet ihr mich kennen, dann würdet ihr auch meinen Vater kennen. 20 Diese Worte sagte er, als er im Tempel bei der Schatzkammer lehrte. Aber niemand nahm ihn fest; denn seine Stunde war noch nicht gekommen.)

21 Ein andermal sagte Jesus zu ihnen: Ich gehe fort und ihr werdet mich suchen und ihr werdet in eurer Sünde sterben. Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen. 22 Da sagten die Juden: Will er sich etwa umbringen? Warum sagt er sonst: Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen? 23 Er sagte zu ihnen: Ihr stammt von unten, ich stamme von oben; ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt. 24 Ich habe euch gesagt: Ihr werdet in euren Sünden sterben; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben. 25 Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Jesus antwortete: Warum rede ich überhaupt noch mit euch? 26 Ich hätte noch viel über euch zu sagen und viel zu richten, aber er, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das sage ich der Welt. 27 Sie verstanden nicht, dass er damit den Vater meinte. 28 Da sagte Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, dass Ich es bin. Ihr werdet erkennen, dass ich nichts von mir aus tue, sondern nur das sage, was mich der Vater gelehrt hat. 29 Und er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht alleingelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefällt. 30 Als Jesus das sagte, kamen viele zum Glauben an ihn.

In der Kürze liegt nicht die Würze, sondern die Ver-kürz-ung. Und so wäre es, um unser Evangelium besser zu verstehen, gut, die Verse 12-20 mitzulesen. Hier wird die Überschrift über den Abschnitt 8,12-9,41 formuliert, der in die Heilung des Blinden mündet: „Ich bin das Licht der Welt…“ (V. 12). Der Messias ist der Lichtblick für das Leben unter und gegen die Finsternis der Welt(ordnung) des römischen Reiches. Dies wird angesichts einer Situation gesagt, in der die Konflikte zwischen Jesus und denen sich verschärfen, die meinen gegenüber der Welt(ordnung) loyal sein zu müssen. Sie stellen Jesu Legitimation in Frage.

Nach der Prozessordnung der Tora, die zwei Zeugen verlangt (Dtn 19,15) ist sein Anspruch unbezeugt. Dem hält Jesus entgegen: „Ich bin es, der über mich Zeugnis ablegt, und auch der Vater, der mich gesandt hat, legt über mich Zeugnis ab“ (V. 18). Das „Ich bin“ Jesu geht auf die Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3,14 zurück. Mit diesem Zusammenhang soll deutlich werden: Im Messias Jesus ist all das gegenwärtig, wofür der Gottesname steht. Als solcher ist er gesandt – ähnlich wie Mose zum Pharao gesandt wurde, um Israel aus Ägypten zu führen, und ihm als Legitimation auf den Weg gegeben wurde: „So sollst du zu den Israeliten sagen: Der Ich-bin hat mich zu euch gesandt…“ (Ex 3,14).

Der beschriebene Zusammenhang findet in dem Text, der als Tagesevangelium vorgesehen ist, seine Fortsetzung. Jesus kündigt an, er werde fortgehen. Gemeint ist sein Weg zum Vater, der über den Tod am Kreuz der Römer führt. Der Weg zum Vater ist aber für seine Gegner, die sich Rom beugen wollen, verschlossen. Das liegt an der Unterschiedlichkeit der Ausgangslagen: Sie stammen ‚von unten‘, d.h. sie gehören zur Weltordnung Roms. Jesus aber kommt ‚von oben‘. Er gehört zur Welt Gottes. Da gibt es keine Kompromisse. Darin spiegelt sich die Situation zur Zeit des Evangelisten und ihre Beurteilung durch Johannes. Unter den Bedingungen der Herrschaft Roms ist es nicht möglich die Tora und damit die Befreiung zu leben. Die Tora greift auf das ‚Ganze‘ aus, lässt sich also nicht in Nischen vermeintlicher Alternativen leben. Denen, die das wollen, wird gesagt: „Ihr werdet in euren Sünden sterben…“ (V. 24). Da geht es nicht einfach um einzelne moralische Verfehlungen, sondern um Verfehlung ‚des Ganzen‘, um die Verirrung, zu glauben, ‚man‘ könne in und unter den Bedingungen der Weltordnung Wege der Befreiung gehen. Das verstehen Jesu Gegner nicht, weil sie den Vater nicht verstehen. Eine Möglichkeit der Erkenntnis eröffnet Jesus, wenn er sagt: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, dass Ich es bin“ (V. 26). Am Kreuz der Römer wird Jesus sein Leben ganz dem Vater übergeben. Dann wird sich zeigen, dass der Vater ihn nicht allein lässt. Er hält ihm die Treue „weil ich immer das tue, was ihm gefällt“ (V. 29).