Stellungnahme zu ‚Maria 2.0‘

Die Frauen-Initiative ‚Maria 2.0‘ sorgt für Unruhe in der katholischen Kirche. Sie fordert zu recht, dass Frauen in der Kirche sichtbar und gleichgestellt werden – bis hin zum Zugang zu den Männern vorbehaltenen und mit einer Weihe verbundenen Ämtern. Durch sein mit der Aura der Unfehlbarkeit ausgestattetes Verdikt wollte Johannes Paul II. die Frage der Frauenordination für alle Zeiten vom Tisch haben. Der so synodale und scheinbar auch so partizipationsfreudige Trierer Bischof Ackermann verwies jüngst noch einmal auf die Endgültigkeit dieser Entscheidung.

Mit dieser Entscheidung Johannes Pauls II. und ihren oberhirtlichen Bekräftigungen flüchte sich die Kirche – so Maria 2.0 – in „überzeitliche Wahrheiten aus einer anderen Welt und in einer unverständlichen Sprache“. Statt an „überzeitlichen Wahrheiten“ solle sich Lehre und Verkündigung „an den Menschen unserer Zeit orientieren“1.

Nun ist das eine so falsch wie das andere. „Überzeitliche Wahrheiten“ kann es in der Geschichte nicht geben, weil Wahrheit ohne Zeit nicht zu haben ist. Die Orientierung „an den Menschen unserer Zeit“ macht die Menschen, wie sie heute – also in der kapitalistischen Krisengesellschaft – ihre Prägung finden, zur Norm, an der sich kirchliche Verkündigung und Lehre zu orientieren haben. Das passt zwar zu den von der Trierer Bistumssynode in individualistischem Denken propagierten Perspektivenwechsel „Vom einzelnen her denken“2, macht sie Sache aber nicht besser.

Statt die Individualisierung – die eigenverantwortliche Anpassung an die Krise des Kapitalismus in der Auflösung sozialer Sicherheit – abzufeiern, müsste eine in den biblischen Traditionen der Befreiung verwurzelte Kirche Einspruch dagegen erheben, dass ‚heutige Menschen‘ gezwungen sind, immer uneingeschränkter zu Anhängseln der sich immer krisenhafter zuspitzenden Verwertungsmaschinerie des Kapitals zu werden. Dies geht einher mit der männlich konnotierten Überhöhung von Arbeit und Geld sowie der Minderbewertung weiblich konnotierter reproduktiver Tätigkeiten. Genau das prägt das Denken und Handeln vieler Einzelner. So geprägte einzelne ‚heutige Menschen‘ können nicht unreflektiert und unmittelbar zum Bezugspunkt kirchlichen Handelns und zur Norm von Verkündigung und Lehre gemacht werden, ohne dass sich die Kirche der Welt, wie sie ist, anpasst.

Wie kirchliche Anpassung funktioniert, zeigt sich in der Esoterisierung kirchlicher Verkündigung. Die Wende nach Innen, zu einem vermeintlich ‚Eigentlichen‘, zu einem mystisch mit allem verschmolzenen Selbst, zu den Tiefen des eigenen Ichs, für das gesellschaftliche Dimensionen zu vernachlässigende ‚Äußerlichkeiten‘ sind, wird als Rettung der individualisierten Heutigen angeboten. Sie ist begleitet von einer Eventisierung, die das immer Gleiche als neu erscheinen lässt. So können Menschen bei Laune gehalten werden, für die die Zukunft nichts Neues zu bieten hat – außer der sich verschärfenden Krise dessen, was ist.

Der Preis, den die Kirche für solche Anpassung zu zahlen hat, ist der Verlust reflektierter theologischer Inhaltlichkeit, die ihre ‚Heutigkeit‘ in ihrer Verbindung zu einer kritischen Gesellschaftstheorie ausweist. Erst kritische Reflexion auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ließe verstehen, was es mit den ‚heutigen Menschen‘ im patriarchalen Kapitalismus konkret auf sich hat. Doch solche Inhaltlichkeit stört den Aktionismus und die Suche nach unmittelbaren Anschlussmöglichkeiten an die Lebenswelten heutiger Individuen. Sie wird als abstrakt und zu schwer verständlich denunziert. Störenfried einer unmittelbaren kirchlichen Heutigkeit ist letztlich das jüdisch-christliche Gottesgedächtnis selbst in seiner Verwurzelung in Unterdrückungs- und Leiderfahrungen im Kontext geschichtlicher Systeme der Herrschaft. Es drängt auf die Unterscheidung zwischen dem biblischen Gott der Befreiung und den Herrschaft legitimierenden Götzen. Heute wäre zu unterscheiden zwischen dem angesichts der Krise immer schärfer auf Anpassung drängenden Fetisch der Vermehrung von Kapital sowie der damit verbundenen Minderbewertung des Weiblichen und dem biblischen Gott der Befreiung, der heute aus der Sklaverei des patriarchalen Kapitalismus herausführen könnte. Dieser steht unter dem Zwang, allen stofflichen Reichtum in abstrakten Reichtum, also in Geld, zu verwandeln. Angesichts der immanent nicht zu lösenden Krise der Kapitalverwertung und der nicht zu überwindenden äußeren ökologischen Schranke führt dieser Zwang immer mehr hinein in die Vernichtung allen Lebens und seiner Grundlagen.

Wenn die Kirche die Inhaltlichkeit der biblischen und theologischen Traditionen einer unmittelbaren Heutigkeit opfert, muss sie sich nicht wundern, dass sie ‚nackend‘ da steht. Sie hat sich in ihrer Sucht nach Bedeutung blank und ‚leer‘ gemacht. Angesichts der Leere wird das Pochen auf vermeintlich überzeitliche Restbestände wie die Verweigerung der Frauenordination zum Ausdruck eines verzweifelten Festhaltens an etwas, das Identität und Halt verspricht. Die auf unmittelbare Heutigkeit pochende Bewegung Maria 2.0 und die auf ihre männliche Macht und überzeitliche Identität pochenden kirchlichen Autoritäten verhalten sich komplementär. Der Ausverkauf theologisch reflektierter Inhaltlichkeit an in falscher Unmittelbarkeit wahrgenommene ‚heutige‘ Menschen und Verhältnisse wird kompensiert durch das autoritäre Pochen auf Identität in der Aura von Unfehlbarkeit. Die beiden Pole stabilisieren sich gegenseitig.

So falsch sowohl die unreflektierte Anpassung an Heutigkeit als auch der Versuch ist, den Verlust an Inhaltlichkeit durch überzeitliche Wahrheiten unfehlbar zu sichern, so richtig ist die Forderung, den Zugang zu allen Ämtern für Frauen zu öffnen. Diese Forderung müsste aber in einer Perspektive gestellt werden, die sich nicht auf die Beteiligung an der herrschenden klerikalen Macht reduzieren lässt, sondern in der Frauen und Männer für eine Kirche kämpfen, in der der Vorrang der zeitempfindlichen und befreienden Inhaltlichkeit des Glaubens in Strukturen zum Ausdruck kommt, die herrschaftliche und damit auch patriarchale Verhältnissen der Über- und Unterordnung einen Riegel vorschieben.

AK Theologische Orientierung des Ökumenischen Netzes (Koblenz, 27.09.2019)

1 Joachim Frank, Menschenkette um den Dom, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 19.9.1919, 25.

2 heraus gerufen. Schritte in die Zukunft wagen. Abschlussdokument der Synode im Bistum Trier, Trier 2016, 15-17.