Das Evangelium nach Johannes – Teil 17 Johannes 6, 41- 59 – Bibelimpulse im Pastoralen Raum Andernach 

Nachdem Jesus der Menge erläutert hat, dass er das Brot des ewigen Lebens ist, treten nun die führenden Juden, die vermutlich aus Tiberias dazu gekommen sind, ohne das Brotwunder miterlebt zu haben, auf und beginnen ein ‚Streitgespräch‘, das Jesus mit der Weiterführung seiner Rede beantwortet.

Auch wenn der Hinweis trivial erscheint, muss man sich die verschiedenen Zeitkerne, die man zudem immer nur bruchstückhaft fassen kann, immer wieder bewusst machen, da man sonst von Beginn an in die Falle problematischer Interpretationen rutschen kann.

In diesem Teil der Rede stehen nun Fragen im Zentrum, die zum Kern der Auseinandersetzung zwischen der messianischen Gemeinde und der Leitungen der Synagogen, im Text „die Juden“ genannt, gehören. Die Auseinandersetzung ist so brisant, weil sie um die Frage des Verhältnisses zur römischen Herrschaft kreist.
Die ‚Messianer‘ bewegen sich in Opposition zu Rom, während „die Juden“ sich darum Sorgen, dass die Anhänger des Messias ihre Versuche konterkarieren, nach der Zerstörung Jerusalems und der Vertreibung von Juden nach Überlebensmöglichkeiten zu suchen, ohne wieder neu römische Repressionen und kriegerische Auseinandersetzungen zu provozieren.

Vom Anpassungsdruck bleibt aber auch die messianische Gemeinde nicht verschont. Viele sehen sich gezwungen ‚zu gehen‘. Johannes will, dass sie ‚bleiben‘, beim Messias und seinen Wegen der Befreiung und in der messianischen Gemeinde. Für das Überleben der Gemeinde ist der Messias als das „Brot des Lebens“ von entscheidender Bedeutung und zugleich ein Brennpunkt im Streit mit „den Juden“.

Doch schauen wir in den Text:

41 Da murrten die Juden gegen ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. 42 Und sie sagten: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen? 43 Jesus sagte zu ihnen: Murrt nicht! 44 Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. 45 Bei den Propheten steht geschrieben: Und alle werden Schüler Gottes sein. Jeder, der auf den Vater hört und seine Lehre annimmt, wird zu mir kommen. 46 Niemand hat den Vater gesehen außer dem, der von Gott ist; nur er hat den Vater gesehen. 47 Amen, amen, ich sage euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 So aber ist es mit dem Brot, das vom Himmel herabkommt: Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt. 52 Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? 53 Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. 54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. 55 Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank. 56 Wer mein Fleisch isst, und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm. 57 Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben. 58 Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Es ist nicht wie das Brot, das die Väter gegessen haben, sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit. 59 Diese Worte sprach Jesus, als er in der Synagoge von Kafarnaum lehrte.

41 Da murrten die Juden gegen ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.

Mit den Worten „Da murrten die Juden gegen ihn…“ leitet Johannes eine Auseinandersetzung um Jesu Anspruch, „das Brot des Lebens“ (Joh 6,35) zu sein, ein. Es ist eine Auseinandersetzung, die in der Zeit des Evangelisten geführt wird. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die Jesus als den Messias Israels verstehen, auf der anderen Seite „die Juden“. Gemeint sind nicht alle Juden, zumal sich Jesus und die messianische Gemeinde auch als Juden verstehen. Gemeint sind „die führenden Juden“, von denen sich die messianische Gemeinde verfolgt und in die Enge getrieben sieht. Mit ihnen wird die folgende Auseinandersetzung geführt.

Dabei greift Jesus auf die jüdische Tradition, die Tora, zurück, genauer auf die Erzählung vom Weg der Befreiung, der durch die Wüste Sin führte. Auf diesem Weg „murrten die Juden“, weil sie Hunger und Durst litten und Angst bekamen, den Weg nicht durchstehen zu können (vgl. Ex 15,22-16,35; Num 14). Besser erschien es ihnen da, in Ägypten „durch die Hand des Herrn gestorben“ zu sein, „als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten“ (Ex 16,2). Sie werfen Mose und Aaron vor, sie „nur deshalb in die Wüste geführt“ zu haben, „um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen“ (Ex 16,3). Der Zusammenhang macht deutlich, dass es um mehr geht als in dem deutschen Wort „murren“ zum Ausdruck kommt. Gemeint ist eine verzweifelte und ‚biestige‘ Meckerei, verbunden mit haltlosen Vorwürfen. Mit dem Rückgriff auf die Tora zielt Johannes auf die „führenden Juden“ seiner Zeit. Ihnen wirft er vor, nicht dem Messias Jesus zu folgen, ihn sogar töten zu wollen (vgl. Joh 7f). Sie weigern sich anzuerkennen, dass er der Befreier ist, der sein Volk durch die Wüste, die von der Herrschaft Roms geschaffen wurde und wird, schleppt. Wenn er Jesus sagen lässt: „Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ stellt er ihn in den Zusammenhang des Mannas, das in der Wüste Sin vom Himmel gekommen ist, um Israel für den Weg durch die Wüste zu stärken.

42 Und sie sagten: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen?

Die „führenden Juden“ glauben zu wissen, woher Jesus kommt. Sie kennen seinen Vater und seine Mutter. Da kann er nicht „vom Himmel herabgekommen“ sein. Sie wollen nicht wahrhaben, dass „vom Himmel herabgekommen“-Sein heißt, ganz „eins zu sein“ mit Israels Gott und seinen Wegen der Befreiung. Aus Angst vor Rom und getrieben von der Sorge, wie denn die jüdische Tradition lebendig bleiben soll angesichts der Herrschaft Roms, wehren sie sich dagegen, dass dieser von Rom Hingerichtete, derjenige sein soll, der den Weg durch die Wüste Roms weist. Sie „murren“ wie damals die Wüstengeneration. Sie wollte lieber an Ägyptens Fleischtöpfen sterben, als den Weg der Befreiung zu gehen, der mit den Gefahren verbunden ist, die damals in der Wüste Sin und in der Gegenwart des Johannes in der Wüste drohen, die mit der Herrschaft Roms verbunden ist.

43 Jesus sagte zu ihnen: Murrt nicht! 44 Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag.

Mit dem Imperativ „Murrt nicht!“ fordert Jesus die „führenden Juden“ auf, sich nicht so zu verhalten wie die Generation, die Mose und Aaron durch die Wüste geführt haben. Sie sollen darauf vertrauen, dass diejenigen, die ihr Vertrauen auf den Messias setzen, dies nur können, weil der „Vater“, der den Messias „gesandt hat“, sie „zieht“. Damit ist auf Traditionen angespielt, nach denen Gott sein aus Ägypten befreites Volk durch die Wüste gezogen/geschleppt hat. Der Prophet Hosea spricht davon, dass Gott Israel als seinen geliebten Sohn aus Ägypten gerufen hat. „Mit menschlichen Fesseln zog ich sie, mit Banden der Liebe. Ich war da für sie wie die, die den Säugling an ihre Wangen heben. Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen“ (Hos 11,4).

Wie Israels Gott sein Volk durch die Wüste gezogen hat, so will der Messias Israel durch die Herrschaft Roms schleppen. In seinem Messias ist Gottes Solidarität, sein Dasein für sein Volk lebendig. Ausgerechnet von dem Ort, an dem die Treue zu Israels Gott und die Solidarität mit Israel als Gottes Volk seine Vollendung findet – am Kreuz der Römer – will Jesus alle zu sich ziehen. Für Johannes gilt, die Erniedrigung des Messias am Kreuz der Römer ist zugleich seine Erhöhung, weil Gott seinem Messias bis in den Tod treu geblieben ist, ihn auferweckt, ihm Recht gegeben und so in ihm messianische Wege der Befreiung eröffnet hat. Vor diesem Hintergrund sagt Jesus: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). Weil mit ihm eine neue Zeit (‚ewiges Leben‘) in der Zeit beginnt, kann er Israel aufrichten. Und weil diese neue Zeit auch über den Tod hinaus Bestand hat, kann er sagen, er werde diejenigen, die er an sich zieht, „auferwecken am Jüngsten Tag“.

45 Bei den Propheten steht geschrieben: Und alle werden Schüler Gottes sein. Jeder, der auf den Vater hört und seine Lehre annimmt, wird zu mir kommen.

Die Alternative zum Murren ist das Hören „auf die Stimme des HERRN, deines Gottes“ (Ex 15,26), der Israel befreit und ihm mit der Tora Weisungen zur Befreiung auf den Weg gegeben hat. Die Wüstengeneration hat nicht „auf die Stimme des HERRN“ gehört. Der Prophet Jeremia hat für die Zeit nach dem babylonischen Exil einen erneuerten Bund Gottes mit seinem Volk angekündigt (Jer 31,21ff). Dann wird Gott seine Weisungen „auf ihr Herz schreiben“ (Jer 31,33); dann haben sie in der Mitte des Volkes und der Einzelnen ihren Platz. Dann – so Jeremia – „wird keiner den anderen mehr belehren“ (Jer 31,34), weil alle Israels Gott und seine Wege der Befreiung erkennen. Ähnlich heißt es bei Jesaja als Verheißung für Jerusalem: „Alle deine Kinder sind Schüler des Herrn und groß ist der Friede deiner Kinder“ (Jes 54,13).

Wer auf Gottes Wegen der Befreiung in die Schule geht, also „Schüler Gottes“ wird, der wird zu dem Messias Jesus kommen. Diejenigen, die zum Messias, d.h. immer auch in die messianische Gemeinde gekommen sind, sind solche, die sich aus der Tora belehren lassen und deshalb alle „Geschulte Gottes“ sind wie Veerkamp übersetzt[1].

46 Niemand hat den Vater gesehen außer dem, der von Gott ist; nur er hat den Vater gesehen.

Dass nur der Messias den Vater gesehen hat, unterscheidet ihn in der Sicht des Johannes von Mose. Ihm hat Gott den Wunsch verweigert, seine Herrlichkeit von Angesicht zu sehen. Gewährt hat er ihm nur ihn im Vorüberziehen zu ‚sehen‘ (Ex 33,18-23); denn „Du kannst mein Angesicht nicht schauen; kein Mensch kann mich schauen und am Leben bleiben“ (Ex 33,20).  Oder: „Mein Angesicht kann niemand schauen“ (Ex 33,23). Daran anknüpfend heißt es bei Johannes als Abschluss des Prologs: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). Deshalb gilt es auf ihn zu sehen, in seine Schule zu gehen, um zu erkennen, dass in ihm die Befreiung geschieht, die Inhalt des Gottesnamens ist.

47 Amen, amen, ich sage euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens.

Mit diesem Vers wird das Thema des Brotes wieder aufgegriffen und weitergeführt. Wer dem Messias vertraut, bewegt sich schon in einer neuen Zeit, die mit der Herrschaft Roms gebrochen hat. Der Bruch mit Rom und die verheißene neue Zeit ist in dem Messias und denjenigen, die an ihn glauben, bereits lebendig. Dafür steht Jesus selbst. Weil er da ist („Ich bin…“) als Befreier und in ihm Israels Gott der Befreiung, deshalb ist er „das Brot des Lebens“.

49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 So aber ist es mit dem Brot, das vom Himmel herabkommt: Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben.

Vom Inhalt dessen, was in Jesus inmitten der Wüste Roms lebendig ist, wird noch einmal der Unterschied zum Manna in der Wüste Sin verdeutlicht. Das Manna war nur eine kurzfristige Intervention. Notlindernd aber nicht von Dauer. Das Volk gelangte erst ins gelobte Land, nachdem die Aufbruchsgeneration gestorben war, da man 38 Jahre lang umherirrte. Das Brot, das Zeichen für den Messias ist, beinhaltet eine Befreiung, in der Gott mit der Auferweckung des Messias sein ‚letztes Wort‘ des Gerichts über Rom und über alle Herrschaften und Herren spricht. Es eröffnet einen neuen Äon, eine neue Welt, in die auch die von den Herrschaften und Herren Hingerichteten und alle Toten einbezogen sind.

51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.

Eigentlich ist nun alles gesagt, aber Johannes setzt noch eins obendrauf, indem er das Brot mit seinem „Fleisch“ verbindet. Bereits im Prolog hatte es geheißen: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Und wenn es von der Herrlichkeit Gottes etwas zu „schauen“ gibt, dann im Fleisch des Messias.

Fleisch meint das verwundbare Leben. Bei Johannes läuft das auf das am Kreuz gefolterte Fleisch hinaus. Da hat der Messias sein Fleisch für die Befreiung gegeben. Genau das ist in dem Brot gegenwärtig, von dem er sagt, er werde es als sein Fleisch geben für „das Leben der Welt“. Damit kann ein zweifaches gemein sein: Es wird gegeben für die Befreiung von Herrschaft; es wird aber auch gegeben als Speise der Stärkung für das Leben unter Herrschaften und Herren, als Stärkung auf den Wegen der Befreiung und als Hoffnung dafür, dass diese Befreiung gegen allen Tod, den die Herrschaften und Herren betreiben, Bestand hat. Im Unterschied zum Manna ist es endgültige Stärkung auf den Wegen der Befreiung.

52 Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? 53 Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch.

Für die jüdischen Gruppen, die in Jesus nicht den Messias sahen, war das besondere Mahl der Messianer sicher ein Ärgernis. Wie kann ein Jude Menschenfleisch essen und noch schlimmer Blut trinken, das den Reinheitsvorschriften absolut zuwider war. „Nur Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, dürft ihr nicht essen.“ Gen 9,4 „Dieses sogenannte noachitische Verbot wird immer wieder eingeschärft: das Blut darf man nicht essen, man muß es wegfließen lassen bevor man Fleisch ißt; es muß koscher sein. Menschenfleisch kauen und zugleich sein Blut trinken ist für jedes Kind Israels eine widerliche Übertretung des fundamentalen Gebots, das auf der unbedingten Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben basiert, Gen 9,5f. Deswegen erklärt die Tora Blut zu einem unbedingten Tabu. Sicher meint Johannes mit diesem Ausdruck Fleisch essen eine vollständige Identifikation mit der politischen Existenz Jeschuas, unbedingte Nachfolge auf dem Weg des Messias.“[2]

Auf diesem Weg geht es um Leben und Tod. Auf diesem Weg zu ‚bleiben‘, sich angesichts der Gefahren von Verfolgung und Tod nicht vom Messias und der messianischen Gemeinde trennen zu lassen, ist für die Existenz der messianischen Gemeinde lebenswichtig. Daher ist es eine Frage des Überlebens, mit dem Fleisch des Messias, seinem Leben in seinem gefolterten Fleisch verbunden zu bleiben und genau darin die „Herrlichkeit Gottes“ zu sehen.

Johannes provoziert hier absichtlich, denn es geht um Leben und Tod. Denn für die Messianer war die Gegenwart Jesu im Zeichen von Brot und Wein überlebenswichtig. In diesen Zeichen konnte Leben, Tod und Auferweckung des Messias in seiner Bedeutung erfasst werden, als Perspektive des Lebens unter und gegen die Herrschaft Roms.

54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. 55 Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank.

Das Leben der messianischen Gemeinde zehrt vom Messias, dessen Fleisch sie verzehrt und dessen vergossenes Blut sie sich trinkend ‚zu eigen‘ macht. Im Fleisch und Blut des Messias ist Gottes Verheißung lebendig, dass er zu seinem Wort der Befreiung steht und alle aufstehen lassen will zur Befreiung bis hin zu den Toten.

56 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.

Hier wird das Thema des Bleibens oder Gehens, das Johannes und die messianische Gemeinde umtreibt, ausdrücklich aufgegriffen. In der Frage des Gehens oder Bleibens spiegelt sich die Situation der Gemeinde wider, die von außen bedroht war von Denunziation und von innen von denen, die ihr aus Furcht oder Zweifel den Rücken kehren. Dieses Evangelium ist der beherzte Versuch, die an den messianischen Wegen der Befreiung Zweifelnden zum Bleiben zu bewegen. Und in der Gemeinde zu bleiben geht nur, wenn die Messianer auch mit dem Messias verbunden bleiben. Diese Verbindung ist aber keine leichte Kost. Es ist sicher kein Zufall, dass im griechischen Text für essen das Verb ‚trogein‘ steht, das eigentlich kauen oder zermalmen bedeutet. Das gefolterte Fleisch des Messias zu essen ist auch für die messianische Gemeinde eine Zumutung, konfrontiert es sie doch selbst immer wieder mit der römischen Weltordnung. Aber ihr zu widerstehen geht nur, indem man sich ihr stellt und vom Fleisch und Blut des Messias zehrt, der sich von seinem Einsatz für die Befreiung in seiner Treue zu Gott und seiner Solidarität mit den Opfern der Herrschaft hat ‚verzehren‘ lassen.

57 Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben.

Die Einheit zwischen Jesus und dem Vater ist lebendig in der Einheit zwischen Gemeinde und dem Messias. Die Verheißung durch den Messias zu leben, dürfen wir in einer doppelten Weise verstehen. Er richtet auf, auf den Wegen der Befreiung nicht zu resignieren und sein Leben enthält die Verheißung, dass alle zum Leben auferweckt werden, die wie er ihr Leben gegeben haben oder zu Opfern von Herrschaft geworden sind.

Der Messias ist der Erste all dieser Hingerichteten. In ihm ist die Hoffnung lebendig, dass alle Toten in die Hoffnung einbezogen sind, die sich auf der Rettung der in der Geschichte Hingerichteten richtet. Erst wenn es eine Rettung der Opfer gibt, kann es eine Rettung aller geben.

58 Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Es ist nicht wie das Brot, das die Väter gegessen haben, sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.

Dass es bei dem „Brot, das vom Himmel herabgekommen“ ist und das der Messias ist, um die endgültige Rettung aller geht, der Opfer zuerst, unterscheidet es vom Manna. Es war lebenswichtig für Israels Überleben in der Wüste und dafür das Ziel des verheißenen Landes zu erreichen. Im Brot des Messias geht es auch um das Überleben, um das Überleben in der Wüste Roms, aber auch um das endgültige Leben der Befreiung, das in den Horizont der Hoffnung gekommen ist, weil – in der Überzeugung des Johannes – Gott sein richtendes Wort über Rom und sein rettendes Wort über den hingerichteten Messias als sein ‚letztes‘ und endgültiges Wort gesprochen hat.

Genau das ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Dieses Brot ist das Zeichen für den Bruch mit der Weltordnung. Es zu essen bedeutet der Weltordnung zu widersagen und dem Messias treu zu bleiben.

59 Diese Worte sprach Jesus, als er in der Synagoge von Kafarnaum lehrte.

Für Johannes ist klar, das ist die Lehre Gottes und die Belehrten sind nun Schüler Gottes.

Alexander Just

[1] Ton Veerkamp, Das Evangelium nach Johannes, Texte & Kontexte, Sonderheft Nr. 3, 2015, 55.

[2] Ton Veerkamp, Der Abschied des Messias. Eine Auslegung des Johannesevangeliums, I. Teil: Johannes 1,1-10,21, Texte und Kontexte Nr. 109-111, 2006, 122.