Wenn Menschen einen sozialpsychologischen Dienst in Anspruch nehmen, sollen sie nicht als Bittsteller auftreten müssen. Deshalb werden sie zu Kunden und Kundinnen geadelt. Denn Kunden sind ja König – so heißt es jedenfalls. Die Rede von Kunden mag in manchen Ohren danach klingen, als werde damit die königliche Souveränität derer betont, die einen Dienst in Anspruch nehmen. In Wahrheit wird hier deutlich, wie sehr wirtschaftliches Denken immer mehr Bereiche des Lebens bestimmt. Das versteckt sich hinter Begriffen, die wie Kunde nach Autonomie und Eigenständigkeit klingen, nicht nach Befehl und Gehorsam, sondern nach Kommunikation und Zusammenarbeit. Propagiert werden Mut zu neuen Wegen, zu Reformen und Veränderungen. Bei genauerem Hinsehen ist das Neue lediglich eine kostengünstige Form der Menschenverwaltung. Die Ökonomisierung sozialer Bereiche zielt darauf ab, in den sich verschärfenden Krisen des Kapitalismus Kosten zu sparen. Was Menschen in Armut und psychischer Not helfen soll, muss ‚sich rechnen‘.
Ein Dienst wird geleistet, wenn gezahlt wird. Das steckt hinter der Rede vom Kunden. Ein Kunde kann nur kaufen oder einen Dienst in Anspruch nehmen, wenn er zahlen kann. Das gilt nicht nur privat, sondern auch wenn öffentliche Institutionen als Geldgeber einspringen. Gezahlt wird nur, wenn definierbare und berechenbare Bedingungen erfüllt und Leistungen dokumentiert werden. Damit aber verschwinden Menschen mit ihrem individuellen Leiden und ihren Lebenszusammenhängen aus dem Blick. Nicht, was sie brauchen, zählt, sondern was in die vorprogrammierte Normierung der Leistungen passt und so die Bezahlung legitimiert und absichert. Dabei werden die vermeintlich individuellen und selbstständigen Kundinnen und Kunden einem auf Bezahlbarkeit genormten Leistungskatalog unterworfen. Individuelle Menschen werden zu austauschbaren Exemplaren der Gattung Mensch gemacht. Das ist ein Anschlag auf Menschlichkeit und ein Schritt in die Barbarei.
Wenn wir dem Sterben und dem Tod von Menschen begegnen, machen wir eine eigentümliche Erfahrung. Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Sterben und Tod unterbrechen eine Normalität, in der ökonomisierend kalkuliert, verwaltet und verfügt wird – selbstverständlich formal korrekt wie die Gesetze des Marktes und der Politik es befehlen, aber inhaltsleer im Blick auf die individuellen Menschen, ihre Lebenslagen und Bedürfnisse. Im Sterben und Tod von Menschen hingegen meldet sich die Erfahrung, dass wir Menschen vermissen, wenn sie nicht mehr da sind. Sie sind nicht zu ersetzen, sondern hinterlassen Lücken, die nicht zu schließen sind, eine Leere, die nicht zu füllen ist. Hier meldet sich ein Einspruch gegen die ökonomische Verwertung von Menschen und ihre Erniedrigung zu Humankapital. Es meldet sich ein Einspruch gegen die politische Menschenverwaltung und die Erniedrigung von Menschen zu zahlungsfähigen Kunden. Menschen sind nicht anonyme Exemplare ihrer Gattung, sondern einmalig. Sie sind individuelle Wesen, die einen Namen haben, den wir aussprechen können und der uns an sie erinnert. Sie sind Wesen, die als einmalige Menschen leiden und lieben können. So sind sie dazu in der Lage, ihre eigenen Grenzen hin auf ein solidarisches Zusammenleben aller Menschen zu überwinden und dabei sogar die Toten einzubeziehen.
In den biblischen Traditionen drückt sich die Erinnerung an die Einmaligkeit individueller Menschen und die Zusammengehörigkeit aller Menschen in der Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes aus. Im Buch Genesis heißt es:
Gen 1,1.26-28.2,1-3
26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. 27 Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. 28 Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!
1 So wurden Himmel und Erde und ihr ganzes Heer vollendet. 2 Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk gemacht hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk erschaffen hatte.
„Gott erschuf den Menschen als sein Bild“, heißt es in unserem Text. Dazu seien kurz drei Aspekte genannt:
1. Gott – so wie die Bibel von ihm spricht – ist nicht zu definieren, d.h. in begriffliche Grenzen einzusperren. Er bleibt ein Geheimnis, das den Menschen nahe kommt, sich aber zugleich verfügender Zudringlichkeit entzieht. Wenn Menschen nach dem Bild Gottes geschaffen sind, dann dürfen auch sie nicht definierender und verfügender Verwertung und Verwaltung unterworfen werden. Auch sie begegnen uns als ein Geheimnis, das sich uns schenkt und mitteilt, das wir nicht durchschauen und über das wir nicht herrschaftlich verfügen dürfen. Max Frisch hat gesagt: Das Gebot „Du sollst dir kein Bild machen!“ gilt nicht nur im Blick auf Gott, sondern auch im Blick auf die Menschen.
2. Den Auftrag, die Erde zu unterwerfen, sollen Menschen als Ebenbilder Gottes ausüben. Gott ist nach dem Zeugnis der Bibel Schöpfer der Welt und Befreier der Menschen. Sein ‚Herr-Sein‘ über die Schöpfung und das Leben der Menschen geschieht als Sorge um die Schöpfung als Grundlage allen Lebens und als Befreiung von Herrschaft. Dass genau das im hebräischen Text der Bibel gemeint ist, wird nicht deutlich, wenn übersetzt wird: Unterwerft Euch die Erde…! Im hebräischen Urtext geht es um den Auftrag, für die Erde zu sorgen und sie zu behüten. Als Ebenbilder Gottes sind Menschen berufen, Sorge für das Leben zu tragen und Herrschaft zu überwinden.
3. Die ganze Schöpfung ist auf die große Hoffnung eines Lebens in Gerechtigkeit und Frieden ausgerichtet, auf den Sabbat als Ziel der Schöpfung. Er ist der Tag der Ruhe. Gott und seine Ebenbilder haben endlich Ruhe und Frieden. Menschen haben endlich Ruhe davor, als Versklavte benutzt und erniedrigt, von Herrschaft unterdrückt und ruhig gestellt zu werden. Heute können wir den Sabbat als unterbrechenden Einspruch verstehen gegen die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Menschen für die Vermehrung von Kapital und ebenso gegen eine Menschenverwaltung, in der Menschen zu verfügbaren Exemplaren erniedrigt werden. Wenn wir um ewige Ruhe für die Toten bitten, empfehlen wir sie jenem Leben, für das die Ruhe des Sabbat steht. Das Licht dieses Lebens soll ihnen leuchten.
Herbert Böttcher