Teil 13 der Johannes-Reihe aus dem Dekanat Andernach-Bassenheim – Joh 5,17-30

Das Evangelium nach Johannes –

Bibelimpulse im Dekanat Andernach-Bassenheim

Teil 13, Johannes 5,17-30

5, 17 Jesus aber entgegnete ihnen: Mein Vater wirkt bis jetzt und auch ich wirke. 18 Darum suchten die Juden noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch Gott seinen Vater nannte und sich damit Gott gleichmachte. 19 Jesus aber sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn. 20 Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut, und noch größere Werke wird er ihm zeigen, sodass ihr staunen werdet. 21 Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will. 22 Auch richtet der Vater niemanden, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen, 23 damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht, der ihn gesandt hat. 24 Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen. 25 Amen, amen, ich sage euch: Die Stunde kommt und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben. 26 Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben. 27 Und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. 28 Wundert euch nicht darüber! Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören 29 und herauskommen werden: Die das Gute getan haben, werden zum Leben auferstehen, die das Böse getan haben, werden zum Gericht auferstehen. 30 Von mir selbst aus kann ich nichts tun; ich richte, wie ich es vom Vater höre, und mein Gericht ist gerecht, weil ich nicht meinen Willen suche, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.

Im ersten Teil des 5. Kapitels beschreibt Johannes wie Jesus einen gelähmten heilt.

In diesem Kapitel deutet Jesus die Heilung des Gelähmten am Sabbat.

17 Jesus aber entgegnete ihnen: Mein Vater wirkt bis jetzt und auch ich wirke. 18 Darum suchten die Juden noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch Gott seinen Vater nannte und sich damit Gott gleichmachte.

Diese Heilung steht für die Heilung des unter der Herrschaft Roms ‚gelähmten‘ Israel. Es ist unfähig, sich als von Gott befreites Volk zu bewegen. Die ‚führenden Kreise‘ scheuen diese Heilung, denn sie fürchten verschärfte Repression durch Rom bis hin zur drohenden Vernichtung Israels wie der Krieg Roms gegen die Aufstände der Zeloten gezeigt hatte. Deshalb erscheint es ihnen klüger, dass Israel sich nicht bewegt, sondern in seiner Verirrung unter der Herrschaft verharrt. Es soll eben nicht – wie der Gelähmte nach seiner Heilung – aufstehen und nicht mehr sündigen, d.h. in Verirrung geraten, damit ihm „nicht noch Schlimmeres“ als die Lähmung „zustößt“ (V. 14).

Dass das gelähmte Israel aufstehen und sich befreit bewegen könnte, ist das ‚Anstößige‘ an Jesu Heilung des Gelähmten und der Grund Jesus zu verfolgen. Dass sie am Sabbat geschieht und Jesus genau das mit dem Hinweis darauf rechtfertigt, dass er im Einklang mit Israels Gott, seinem Vater, gehandelt habe, scheint den führenden Kreisen auch eine formale gesetzliche Grundlage zu geben, gegen Jesus vorzugehen.

Jesus tritt dem Vorwurf der Selbstanmaßung entgegen. Er macht deutlich: Sein Wirken kommt nicht aus ihm selbst, sondern von Gott. Der Sohn tut das, ‚was er den Vater machen sieht‘.

Im Blick auf den Sabbat heißt das: Gott wirkt auch am Sabbat. So tut es auch der Sohn. Wenn Gott aufhörte zu wirken, bräche die Welt zusammen. Gottes schöpferische Kraft wirkt also nicht nur am Anfang der Schöpfung, sondern ist auch darin schöpferisch, dass sie die Schöpfung am Leben erhält und zur Vollendung führt. Jesus legitimiert sich damit, dass sein Handeln eins ist mit dem Wirken des Vaters. Dies wird in den folgenden Versen exemplifiziert.

19 Jesus aber sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn. 20 Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut, und noch größere Werke wird er ihm zeigen, sodass ihr staunen werdet.

Den Messias als Sohn des Vaters und darin als eins mit dem Vater (vgl. 10,30) zu sehen, ist ein Grundzug des Evangeliums nach Johannes. Im Hintergrund steht die patriarchale Tradition, die den Sohn den Lebensweg des Vaters gehen lässt. Der Vater Jesu ist kein anderer als Israels Gott als Schöpfer und Befreier. Sein Weg geht der Messias als Sohn dieses Vaters. Auffällig ist, dass von Vers 20, wo davon die Rede ist, dass der Vater den Sohn liebt, Johannes nicht das Wort agapan oder agapä, was Solidarität zum Ausdruck bringt, benutzt, sondern von Lieben als fileo, also als von Lieben als einer freundschaftlichen Beziehung spricht. Analog dazu nennt Jesus die JüngerInnen seine „Freunde“ (15,9ff). Dabei unterscheidet er die freundschaftliche Beziehung von einer Herr-Knechts-Beziehung, die durch Über- und Unterordnung bestimmt ist. Während der Knecht nicht weiß, „was sein Herr tut“, ist Jesu Freundschaft mit den JüngerInnen davon geprägt, dass er sagen kann: „Ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (15,15).

In der Beziehung der Freundschaft statt der zu einem Untertan heißt es an unserer Stelle: „Der Vater“ zeigt dem Sohn „alles was er tut, und noch größere Werke wird er ihm zeigen“. Was gemeint ist wird im folgenden Vers deutlich:

21 Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will.

Israels Gott hat seinem Messias das Werk der Schöpfung gezeigt und er wird ihm zeigen, wie er auch in der Auferweckung der Toten wirkt. Er hat das im Exil tote Israel lebendig gemacht (Ez 37). So wird er auch den am Kreuz der Römer hingerichteten Sohn lebendig machen. Darin kann Israel neu auf(er)stehen und Wege der Befreiung gehen – bis die Schöpfung in der Auferweckung aller Toten zur Vollendung kommt.

Wie Gott aus Lähmung befreit, Tote auferweckt, so „macht auch der Sohn lebendig, wen er will“. „Der Vater macht darin lebendig, dass der Sohn lebendig macht“[1], so formuliert es Klaus Wengst. Das ‚wen er will‘, „ruft jene Vollmacht auf, die der Vater, der ‚fortgeschrittene an Tagen‘ aus der Danielvision, dem Sohn gegeben hat. Die er will ist also keine Willkür, sondern ist Resultat jenes Gerichtsverfahrens, das Daniel beschreibt.“[2]

Daher ist es kein Zufall, sondern konsequent, dass die Auferweckung der Toten mit der Vorstellung des Gerichts verbunden ist. Mit der Auferweckung der Toten sind Unrecht und Gewalt überwunden, sie sind ‚gerichtet‘ in einer Welt, die ganz ausgerichtet ist auf ein Leben der Befreiten jenseits von tödlicher Herrschaft.

22 Auch richtet der Vater niemanden, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen, 23 damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht, der ihn gesandt hat.

Auch das Gericht hat der Vater dem Sohn übergeben. Das ist nur konsequent; denn die Solidarität des Sohnes ist der Maßstab, an dem alles gemessen wird. In der Praxis der Solidarität bzw. ihrer Verweigerung geschieht bereits das Gericht. Vor diesem Hintergrund heißt es im Ersten Johannesbrief: „Wir wissen, dass wir vom Tod zum Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben“ (1 Joh 3,14). Weil an dieser Stelle für ‚lieben‘ das griechische Wort ‚agapaoo‘ steht, müssten wir sagen: „weil wir solidarisch unseren Brüdern“ bzw. Geschwistern sind. So heißt es auch in Vers 24: Wer Gottes Wort hört und dem Messias Jesus vertraut, „ist aus dem Tod ins Leben hinüber gegangen“.

Die Solidarität zwischen den Geschwistern wiederum ist eingebunden in die gegenseitige Solidarität von Vater und Sohn. Sie zeigt sich darin, dass der Sohn in seinem Wirken ‚eins‘ ist mit dem Vater und der Vater dem Sohn die Treue hält und sein Leben der Solidarität auch angesichts der Vernichtung durch Rom rettet. Darin richtet er den Sohn und Rom. Er gibt dem Sohn Recht und setzt Rom ins Unrecht. Der Maßstab für das Gericht ist der Menschensohn, da er in der Solidarität mit dem Vater lebt. So zeigt sich in seinem Leben und Wirken, was Gottes Solidarität beinhaltet.

Auch in der „Ehre“ sind Vater und Sohn miteinander verbunden. Den Sohn zu ehren heißt Gott zu ehren. Was dies vor allem im Blick auf den Zusammenhang zwischen Ehre und Gericht bedeutet, wird von Dan 7,14 her deutlich. Hier werden dem Menschensohn, der aus der Sphäre Gottes, aus dem Himmel, den Bestien der Herrschaft entgegentritt, „Herrschaft, Würde und Königtum gegeben“. Mit Würde wird das griechische Wort timä, das für Ehrung steht, übersetzt. Er steht in der Nähe von doxa, Verherrlichung, von der in unserem Evangelium immer wieder im Blick auf den Vater wie den Sohn die Rede ist. In seiner richterlichen Macht, zeigt sich die Ehre des Sohnes wie auch die des Vaters, der sie ihm übergeben hat. Deshalb sind Vater und Sohn zugleich zu ‚ehren‘.

Problematisch ist die negative Fortsetzung: Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht, der ihn gesandt hat. Man kann den Satz aber auch nicht exklusiv verstehen: „Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht als Vater dieses Sohnes, nimmt ihn nicht wahr als den, der diesen Sohn geschickt hat. Damit wäre nicht behauptet, dass er den Vater überhaupt nicht ehrt – ist doch auch im Johannesevangelium ‚der Vater‘ von vornherein als Gott Israels, als der in Israel bekannte Gott vorausgesetzt.“[3]

Ein nicht-exklusives Verständnis des Satzes würde also bedeuten: Wer den Sohn ehrt, kann ihn nur als Sohn des Gottes Israels ehren. Während auch diejenigen, die als Juden nicht an den Messias glauben, den Gott ihres Volkes ehren, aber „nicht als Vater dieses Sohnes“. Letzteres darf nicht ausgeschlossen werden. Im Gegenteil, es müssen die beiden Wege als Wege der Befreiung betont werden, den jüdischen Weg ohne den Messias Jesus wie auch den Weg mit dem Messias Jesus, der aber nicht anders verstanden werden darf als Messias aus Israel, als Sohn des Vaters.

24 Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen.

In diesem Vers wird noch einmal ausdrücklich ausgesprochen, was es heißt, dass „das Gericht ganz dem Sohn übertragen“ (V. 22) wurde. Wer Jesu Wort hört, hört Gottes Wort, das aufrichtet und lebendig macht. Er bewegt sich bereits im „ewigen Leben“, d.h. im Leben der Welt, die mit dem Messias Jesus zum Durchbruch kommt, eine Welt ‚jenseits‘ von Unrecht und Gewalt. Daher kommt er nicht mehr ins Gericht, sondern ist schon ‚gerichtet‘, d.h. ausgerichtet auf jene Welt der Befreiung, die für alle Wirklichkeit werden soll.

25 Amen, amen, ich sage euch: Die Stunde kommt und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben.

„Tote“ sind diejenigen, die tot sind, obwohl sie physisch noch leben. Tot ist Israel unter der Herrschaft Roms. Es soll in seinem Grab die aufrichtende und auf(er)weckende Stimme des Sohnes hören, wie sie Lazarus gehört hat, den Jesus aus seinem Grab heraus gerufen hatte (11,43), damit er von seinen „Binden“ befreit werden konnte (11,44). Diese Stunde ist schon da, das soll von allen gehört werden, damit sie aufstehen können.

26 Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben. 27 Und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.

Bei der Formulierung „das Leben in sich haben“ mögen manche an ontologische Qualitäten denken. Solches ‚Denken‘ ist Johannes fremd. Er denkt jüdisch: Die ganze Macht des Lebens, die in Israels Gott wirksam wird, wirkt auch im Sohn. Sie zeigt sich vor allem in seiner „Vollmacht … Gericht zu halten“. Dies tut er nach Daniel 7,14ff als Menschensohn. Seine Aufgabe ist es, bestialischer Herrschaft entgegen zu treten (7,1ff), sie zu richten und die Welt auf Befreiung ‚auszurichten‘. Genau darin zeigt sich Jesu Sendung, sein ‚Eins-sein‘ mit Israels Gott und das Leben, das ‚in ihm steckt‘.

28 Wundert euch nicht darüber! Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören 29 und herauskommen werden: Die das Gute getan haben, werden zum Leben auferstehen, die das Böse getan haben, werden zum Gericht auferstehen.

In diesem Vers wird wieder Daniel aufgegriffen. Es geht sowohl darum, die schon im Leben Toten aus ihren Gräbern zu holen, also die Welt auf Befreiung von tödlicher Herrschaft auszurichten, aber auch darum, dass denen Gerechtigkeit widerfährt, deren Leben unter Unrecht und Gewalt ausgelöscht wurde, vor allem denjenigen, die sich für Solidarität und Gerechtigkeit eingesetzt haben. Die Gewalttäter bzw. die Strukturen von Unrecht und Gewalt sollen nicht das letzte Wort haben. Vor diesem Hintergrund heißt es in Dan 12,2: Die einen werden erwachen „zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu“. Daraus ‚Hölle‘ und ‚ewige Verdammnis‘ abzuleiten wäre verfehlt. Es geht darum, dass es zum Bruch mit Unrechts- und Gewaltverhältnissen kommt, wer auch noch im letzten Gericht daran festhält, sich also nicht ausrichten lassen will auf ein Leben für alle Menschengeschwister, schließt sich selbst vom Leben dieser kommenden Welt aus.

30 Von mir selbst aus kann ich nichts tun; ich richte, wie ich es vom Vater höre, und mein Gericht ist gerecht, weil ich nicht meinen Willen suche, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.

Was der Messias tut, ist Frucht von Israels Tradition der Befreiung. Darin ist das Wort des Vaters als Israels Gott hörbar und wirksam. Es richtet aus auf Befreiung und ein Leben als Befreite. Darin besteht die Gerechtigkeit des Gerichts; darin steckt der Wille dessen, der seinen Messias gesandt hat, die Welt neu auszurichten.

 Zusammengestellt von

Alexander Just

 

[1] Wengst, Klaus, Das Johannesevangelium. 1. Teilband: Kapitel 1-10, Stuttgart 2000 (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament Bd. 4), 198 [Wengst, Johannesevangelium].

[2] Ton Veerkamp, Der Abschied des Messias. Eine Auslegung des Johannesevangeliums, I. Teil: Johannes 1,1-10,21, Texte und Kontexte Nr. 109-111, 2006, 96. [Veerkamp, Abschied]

[3] Wengst, Johannesevangelium 199.