Zu Rainer Buchers ‚Christentum im Kapitalismus‘1
„Wir brauchen kein Christentum, das sich im Kapitalismus behauptet, sondern ein Christentum, das sich kritisch gegen den Kapitalismus und seine Dynamiken der Zerstörung stellt.“ So formuliert es Herbert Böttcher, Vorsitzender des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saar und des Vereins für kritische Gesellschaftswissenschaften „exit!“, das Fazit seiner kritischen Auseinandersetzung mit Buchers Buch ‚Christentum im Kapitalismus‘.
Das Thema Christentum und Kapitalismus liegt in der Luft. Papst Franziskus hat mit der Tabuisierung des Kapitalismus gebrochen und ist mit ‚Kapitalismuskritik‘ in die Offensive gegangen. Dass das Thema auch in der Pastoraltheologie angekommen ist, beweist Buchers Buch.
Wer jedoch gedacht hatte, es gehe dabei zentral um eine kritische Beschäftigung mit dem Kapitalismus, muss solche Erwartungen korrigieren. Es geht um die Kirche, genauer darum, wie sie sich im Kapitalismus gegen dessen kulturelle Dominanz behaupten kann. Deshalb dürfte es bei kirchlichen Reformern, die sich ansonsten weniger für den Kapitalismus, aber um so mehr für die Kirche interessieren, auf Nachfrage stoßen. Buchers Analyse der kirchlichen Geschlossenheit und die Kritik an dem essentialistischen Charakter kirchlicher Dogmatik und Moral kommt dem Bedürfnis nach ‚Lockerungen‘ entgegen.
In seiner Rezension macht Böttcher auf die Schlagseiten des Buches aufmerksam. Zum einen: Bucher reduziert den Kapitalismus auf dessen kulturelle Dominanz und Konkurrenz gegenüber der Kirche. Keine Rolle spielt die „verborgne Stätte der Produktion“ (Karl Marx). Bucher tut so, als habe der Kapitalismus mit Ökonomie und ihren Krisen und der auf sie reagierenden Politik nichts zu tun. Daher hat er keinen Blick für die sich verschärfenden Probleme sozialer Spaltung, von Hunger und Krieg, von Flucht und Migration bis hin zur Zerstörung der Lebensgrundlagen. Er kann nicht einmal wahrnehmen, dass auch die von ihm beschriebene kulturelle Dominanz mit wirtschaftlichen und politischen Konstellationen vermittelt ist. Auf der ‚Höhe‘ postmoderner Abrüstung gesellschaftstheoretischer Reflexion belässt er es beim Kulturellen.
Zum anderen spiegelt sich der postmoderne Kulturalismus auch in Buchers theologischen Überlegungen. Sie bewegen sich schwebend und balancierend zwischen ‚Sowohl‘ und ‚Als auch‘, zwischen ‚Schon‘ und ‚Noch nicht‘. Seine Bemerkungen zur jesuanischen Reich Gottes-Botschaft kommt ganz ohne ihre Verwurzelung in der jüdischen Tradition und damit ohne deren Empfindsamkeit für diejenigen aus, die unter Systemen von Unrecht und Gewalt leiden und nach Befreiung schreien. Statt um Befreiung von Herrschaft, statt um Widersprüche, die es zu überwinden gilt geht es bei Bucher um Spannungen und Paradoxien, die auszuhalten sind.
Das alles lässt Buchers Überlegungen zwar kirchenkritisch daher kommen, gesellschaftlich sind sie aber affirmativ. Sie segnen den Sieg des Kapitalismus ab und fragen nur noch danach, wie die Kirche in ihm bestehen kann, ohne ihm zu verfallen. Damit aber verharrt die Kirche in ihrer Liaison mit den Verhältnissen und ihre Reformen zielen darauf ab, im Rahmen der Verhältnisse besser mitspielen zu können.
Text von Herbert Böttcher zum Download
1Rainer Bucher, Christentum im Kapitalismus. Wider die gewinnorientierte Verwaltung der Welt, Würzburg 2019.