Osterzeit in der Pandemie

Ostern ist kein billiger Mutmacher. Der Auferstandene bleibt von seinen Wunden gezeichnet. Er mutet den Blick auf die Wirklichkeit zu – aktuell auf die Pandemie. Der Schrei nach ‚Lockerungen‘ hat die Wirklichkeit ignoriert. Einzelne Branchen forderten Lockerungen – jede ‚für sich‘ und ohne Rücksicht auf die Gesamtlage und schon gar nicht auf die Kranken und Sterbenden. Statt der Pandemie wurden die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung zum entscheidenden Problem stilisiert. Entgegen den inzwischen einhelligen Warnungen aus der Wissenschaft setz(t)en MinisterpräsidentInnen auf Lockerungen und bogen sich die Wirklichkeit zurecht: Der Inzidenzwert wurde zur Disposition gestellt, Infektionsgefahren im Erziehungs- und Bildungsbereich geleugnet, die sich zuspitzende Lage in den Krankenhäusern ignoriert. Öffnungen wurden mit Tests begründet, die noch nicht zur Verfügung standen. Als die Öffnungsstrategien mittels Tests auf Kritik stießen, hieß es, es gehe ja darum, die Ausbreitung des Virus zu erkennen:‚Freie Fahrt‘ dem Virus als Strategie im Kampf gegen seine Ausbreitung?!

Die Kanzlerin blieb einsame ‚Ruferin in der Wüste‘. Ihr und einer Mehrheit der Bevölkerung ist klar: An Kontaktbeschränkungen führt kein Weg vorbei. Sie müssen allerdings auch in der Arbeitswelt durchgesetzt werden. Erst wenn ein harter Lockdown greift, lässt sich mit Hilfe von Tests und Impfungen ‚lernen, mit dem Virus zu leben‘. Von Ostern zu lernen wäre, dass ein solcher Weg nur solidarisch zu bewältigen ist. Ihn kann nicht ‚jeder für sich‘ gehen, ohne dass dies zum ‚Kampf aller gegen alle‘ wird. ‚Jeder für sich‘ ist kapitalistische Logik und Zwang in einem. Ostern aber steht für die Auferweckung eines Gekreuzigten, der gegen die Zwänge tödlicher Herrschaft dadurch aufgestanden ist, dass er ihnen seine Solidarität mit deren Opfern entgegen gestellt hat.

Herbert Böttcher, Pastoralreferent i.R. (zuerst veröffentlicht in der „Rhein-Zeitung“ vom 10./11.4.21)