Das Ökumenische Netz Rhein-Mosel-Saar begrüßt die Initiativen für eine stärkere Förderung des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Zu recht sieht die Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) in ihm ein Instrument, um einen Prozess für einen ‚gerechten Frieden’ voranzutreiben. Dieser klare Beschluss im Friedenswort der EKiR, die Erwähnung jenes Prozesses im „Ökumenischen Wegzeichen“ des Bistums Trier und der EKiR sowie das Motto der Friedensdekade 2018 „Krieg 3.0“ weisen auf die Bedeutung der Themen des konziliaren Prozesses in einer Zeit zunehmender Militarisierung hin. Für die im Friedenswort enthaltenen Forderungen wie die Abschaffung von Atomwaffen und die Verhinderung von Rüstungsexporten hat sich das Ökumenische Netz in den vergangenen Jahren immer wieder stark gemacht und sich gegen die weltweite Militarisierung engagiert. Die kirchlichen Initiativen werden – so bleibt zu hoffen – zu einer Verbreitung dieser Forderungen und zu einer Stärkung des friedenspolitischen Engagements beitragen.
Der persönliche und politische Wille ist jedoch nicht ausreichend, um einen ‚gerechten Frieden‘ zu erreichen. Notwendig ist die Analyse der politisch-ökonomischen Zusammenhänge. Wachsende Militärbudgets und zunehmende Rüstungsexporte sowie immer zahlreichere (Bürger-)Kriege und damit verbundene Fluchtbewegungen machen deutlich, dass sich ‚ungerechte’ Strukturen verstetigt haben, um Rohstoffe (zur Energiegewinnung oder zur Produktion von Alltagsgegenständen) und Handelswege zu sichern sowie Flüchtlinge abzuwehren.
Wichtig wäre es, nicht nur abstrakt diese Verstetigung ‚ungerechter‘ Strukturen wahrzunehmen, sondern sie inhaltlich zu bestimmen. Sie wären als Ausdruck des globalen kapitalistischen Systems zu begreifen, das in seiner Krise immer dramatischere Katastrophen hervorbringt. Die immanent-rationalen Anteile an den Strategien der Krisenbewältigung sind Versuche, die Rest-Funktionsfähigkeit des ‚kapitalistischen Weltsystems’ (I. Wallerstein) mit militärischer Gewalt abzusichern. Gesichert werden die Orte, die für die kapitalistische Reproduktion von Bedeutung sind, während für die Wertschöpfung überflüssige Menschen ebenso wie zerfallende Staaten den sich verschärfenden sozialen und ökologischen Zerstörungsprozessen überlassen werden.
Im Kapitalismus sichert (Lohn-)Arbeit die materielle Grundlage des Lebens und die Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenleben, wobei die Reproduktion in Form der weiblich konnotierten Haushalts- und Sorgetätigkeiten die stumme und minder-bewertete Voraussetzung des Arbeitsprozesses ist. Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen (essen, trinken, wohnen…) haben dabei nur diejenigen, deren Arbeit verwertbar ist, d.h. die Geld verdienen können. Angesichts der zwangsläufigen Entsorgung von Arbeit auf Grund des technologischen Fortschritts in einem von Konkurrenz getriebenen System, sinkt die Zahl der Verwertbaren, während die Zahl der ‚Überflüssigen’ steigt. In den global wachsenden Überflüssigen ebenso wie in den um sich greifenden prekären Beschäftigungsverhältnissen wird die Krise der Kapitalverwertung deutlich. Mit schwindender Arbeit schwindet jene Substanz, ohne die Kapital nicht akkumulieren kann. Diese Grenze kann der Kapitalismus nicht mehr überwinden, da die Konkurrenz ihn zu immer höherer Produktivität und damit zum Ersetzten von Arbeit durch Technologie zwingt. Nach der mikroelektronischen Revolution kann der Verlust an Arbeit nicht mehr durch die Erweiterung von Märkten kompensiert werden.
Das neoliberale ‚Fitmachen‘ für den Weltmarkt (Deregulierung, Privatisierung, Marktöffnung, kostengünstige Exportproduktion) ist vor diesem Hintergrund für das Gros der Weltregionen nutzlos. Die Folgen sind wirtschaftliche und politische Zusammenbrüche, die ‚verwilderte Staatsapparate’ (Robert Kurz) mit Klientelismus, Korruption und ausufernder, männlich dominierter Gewalt hinterlassen. Die Überreste von Staaten verlieren ihre Regulations- und Integrationsmacht und damit einen Großteil ihres Gewaltmonopols. Wo die Marginalisierung solche Ausmaße erreicht, dass an eine Überlebenssicherung durch Arbeit nicht mehr zu denken ist, werden Kriminalität und Bürgerkriege für Abertausende von Menschen zu einer perversen Möglichkeit des Überlebens.
Solange dies nicht die noch halbwegs funktionierenden ‚Zentren’ betrifft, wird kaum ein Problem darin gesehen. Wenn allerdings Krisen und Zusammenbrüche die Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Strukturen bedrohen, vor allem der Zugang zu Rohstoffen und die Sicherheit von Transportwegen ebenso wie die Abwehr von Flüchtlingen nicht mehr gewährleistet sind, dann kommt es zur Anwendung von Gewalt, die als ‚humanitäre‘ Intervention gerechtfertigt wird. Solche Rechtfertigung dementiert sich selbst, wenn zugleich Hilfe für Flüchtlinge rechtlich untersagt und militärisch verhindert wird. Terrorgruppen, Mafiabanden, Warlords, Piraten, aber auch Flüchtlinge werden zu militärisch-weltpolizeilichen Herausforderungen, jedenfalls dann, wenn solche ‚Störpotentiale’ zentrale Funktionsstellen des Systems bedrohen. Dann müssen die von Landesverteidigung auf schlagkräftige Truppen umstrukturierten Armeen im weltweiten Einsatz funktionierende Standorte und deren Zugang zu Rohstoffen sichern – und mithilfe der Überbleibsel staatlicher Zerfallsprodukte in Form eines ‚Ausgrenzungsimperialismus’ (Robert Kurz) ‚überflüssige’ Menschen fernhalten.
Hinzu kommt ein immer stärker werdendes irrationales Moment im Handeln staatlicher wie nicht-staatlicher Akteure, das nicht auf immanent-rationale (geopolitische) Gründe zurückzuführen ist, sondern eher der inhaltlichen Leere der Verwertungsmaschinerie und seiner verrückter werdenden politischen Regulationsinstanzen widerspiegelt – als Beispiele seien hier nur die Fieberträume der Türkei von einem neuen Osmanischen Reich oder des IS von einem neuen Kalifat genannt.
Diese Zusammenhänge machen deutlich, dass die Suche nach einem ‚gerechten Frieden’ illusionär zu bleiben droht, wenn sie sich nicht mit einer Kritik des Kapitalismus und seiner globalen Zerstörungsdynamik verbindet. ‚Gerechter Friede’ ist nur realistisch, wenn Wege zu einer Transformation des kapitalistischen Systems gefunden werden. Dies geht nicht ohne einen Bruch mit den gesellschaftlichen Kategorien (Wert, Arbeit, Geld, Abspaltung, Subjekt, Staat etc.), die das kapitalistische Weltsystem konstituieren. Damit werden das Einüben friedlichen Zusammenlebens auf verschiedenen Ebenen, die Hilfe für Flüchtlinge, Arme usw. sowie der Widerstand gegen die Verschärfungen von Konflikten (wie z.B. mit Rüstungsexporten) ‚natürlich’ keinesfalls unwichtig. Im Gegenteil, deren Bedeutung wird umso größer, je dramatischer die Krise voranschreitet. Deutlich ist aber auch: Ohne radikale, d.h. an die Wurzeln der Konstitution des Kapitalismus reichende Kritik als Voraussetzung seiner Überwindung werden sich die Krisen und Katastrophen und mit ihnen die Eskalation der Gewalt weiter verschärfen.